Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Das waren bislang schlechte Zeiten für die deutsche Sicherheitspolitik. Zuerst das Werben um einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem vollmundigen Versprechen, mehr Verantwortung übernehmen zu wollen. Dann die Enthaltung bei der Libyen-Resolution. Damit nicht genug. Um die Verärgerung der Bündnispartner zu mindern, wir hatten ja mit wichtigen Freunden wie China und Brasilien gestimmt, plötzlich die Zustimmung zum AWACS-Einsatz in Afghanistan, der noch wenige Wochen vorher strikt abgelehnt worden war. Stattdessen Rückzug aus der AWACS-Flotte über dem Mittelmeer. Und der Höhepunkt: Politisch ein Waffenembargo zu vertreten, gleichzeitig aber die deutschen Schiffe aus dem dafür einsetzbaren NATO-Verband abzuziehen.
Das sind schon olympiareife Volten, die aber nur eins bewirkt haben: Man nimmt Deutschland in der Sicherheitspolitik nicht mehr ernst, weder in den USA noch in der NATO noch in der EU.
Zur Bundeswehr: Am Anfang stand das Sparpaket. Richtig, denn die Bundesrepublik lebt schon lange weit über ihre Verhältnisse. Deshalb muss gespart werden, um wieder eine solide Finanzpolitik betreiben zu können. Dass die Streitkräfte davon nicht auszunehmen sind, ist nachvollziehbar.
Folgerichtig wäre es jetzt gewesen zu fragen, wo sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren geändert hätte, wo Aufgaben zurückgefahren werden könnten, wo Einsatzerfahrungen Anlass zur Straffung böten, wo sich noch abbaubare Redundanzen befänden. Der Bericht der Weise-Kommission lieferte zwar Ansätze zur Straffung der Führungsorganisation, blieb ansonsten aber widersprüchlich. Doch ohne diesen konzeptionellen Ansatz wurden schnell zwei Entscheidungen gefällt: Aussetzung der Wehrpflicht und Reduzierung des Personals auf bis zu 185 000 Mann.
Nun, mit dem neuen Minister, scheint Struktur in die große Reform zu kommen. Grundlage sind die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR), in denen die Landes- und Bündnisverteidigung wieder in den Vordergrund rückt. Richtig angesichts der Umwälzungen an unserer Südflanke, deren Auswirkungen auf die Sicherheitslage noch unabsehbar sind. Finanzpolitisch ist der Spielraum wohl etwas größer geworden, auch wenn dies nicht über die weiterhin fast dramatische Unterfinanzierung der Streitkräfte hinweg täuschen darf. Skeptisch wird auch die Gewinnung von freiwillig Wehrdienstleistenden gesehen, die Rücknahme auf vorerst 5.000 statt der ursprünglich vorgesehenen 15.000 macht daher Sinn.
Dennoch bleiben genug Baustellen. Noch immer steht das Attraktivitätsprogramm nicht. Dieses wäre jedoch dringend nötig, um den jungen Männern und Frauen zu sagen, was ihnen der Dienst in den Streitkräften tatsächlich bringen wird. Und wie steht es dabei eigentlich mit ES (Referat Ermittlung in Sonderfällen). Wird weiterhin jungen Offizieren, die beispielsweise Luft- und Raumfahrt studiert und in die diesem Fachgebiet auch in der Bundeswehr gearbeitet haben, nach ihrem Ausscheiden ein Wechsel in die entsprechende Rüstungsindustrie durch ES verweigert? Attraktivität ist etwas anderes. Unklar auch, wer über die zukünftige Ausrüstung der Bundeswehr befindet, wer die Materialverantwortlichkeit hat, wer über Anpassung von Waffen und System verfügt. Gut, dass die Gesamtplanung beim Generalinspekteur verbleibt, das las sich in dem früheren Entwurf zum Ministerium anders. Aber welche Verantwortung, welche Mitwirkung werden die Inspekteure in Zukunft noch haben? Auf die Ergebnisse des Gremiums, das der Minister zur Ausrichtung des Rüstungs- und Nutzungsprozesses einrichten will, darf man daher gespannt sein. Offen auch noch, welche Standorte Bestand haben werden und welche aufzulösen sind. Zurzeit also mehr Fragen als Antworten.
Die Struktur der Marine, wie sie im MF 5/2011 vorgestellt wurde, ist angesichts der Rahmenbedingungen zweckmäßig – sie scheint nach den Ausführungen des Ministers vom 18. Mai auch politisch akzeptiert zu sein. Dennoch, sowohl für die Marine wie für das Heer und die Luftwaffe bedeutet es letztlich eine deutliche Minderung der bisherigen Fähigkeiten. Dies mit Effizienzsteigerung verkaufen zu wollen erscheint unredlich. Die wirtschaftlich potente Bundesrepublik hat sich sicherheitspolitisch und militärisch aus ihrer ehemals tragenden Rolle in NATO und EU abgemeldet. Ob dies jemals wieder ausbalanciert werden kann, bleibt fraglich. Dabei wäre es so wichtig bei den Sparzwängen, denen auch die anderen Partner unterworfen sind, zur gemeinsamen Aufgabenerfüllung, vielleicht sogar zur Aufgabenteilung zu kommen. Nur, wer wird bereit sein, mit Deutschland zusammenzugehen, wenn zu befürchten ist, dass dieser Partner dann, wenn ein gemeinsamer Einsatz ansteht, aus parteipolitischen Gründen verweigert.
Zum Schluss noch eine Mahnung. In der Bonner Republik gab es viele Jahre über die Parteigrenzen hinaus einen breiten Konsens in den Grundfragen unserer Sicherheits- und Bündnispolitik. Ein Konsens, der erst mit dem NATO-Doppelbeschluss in Gefahr geriet, als sich die SPD gegen ihren eigenen Kanzler wandte. In Berlin täten die Parteien gut daran sich zu erinnern, dass die Bundeswehr eine Armee des ganzen Volkes ist und zu versuchen, abseits der aktuellen tagespolitischen Streitigkeiten eine gemeinsame und langfristig tragende Linie in den großen strategischen Fragen unserer Sicherheit zu finden.
Zum Autor
Vizeadmiral a.D. Hans Frank war nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst bis 2004 Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik