Marine konzentriert sich auf Fähigkeitserhalt
Damit wandte sich Admiral Lange den weiteren Einfluss nehmenden Parametern bei der Neuausrichtung der Marine zu. Mit der Veröffentlichung der VPR und des Kabinettsbeschlusses zum Haushaltsentwurf 2012 vom 6. Juli sind wesentliche Ausgangsgrößen für die aktuelle Strukturreform der Bundeswehr verlässlicher geworden.
Was den Haushalt betrifft, machte Lange deutlich, dass der künftig zur Verfügung stehende Finanzrahmen enger wird. Die Ergebnisse der Haushaltsklausur vom März haben deutlich gemacht, dass die Diskussion über eine Ausnahmeregelung für den Verteidigungshaushalt beendet ist. Der Sparzwang gilt auch für die Bundeswehr, obwohl gewisse Zugeständnisse vom Finanzminister gemacht worden sind. Der Einzelplan 14 wird in 2012 eine Höhe von ca. 31,7 Mrd. € haben und dann bis 2015 auf 30,4 Mrd. € absinken. Froh stimmte Lange die Erwartung, dass im nächsten Jahr eine signifikante Erhöhung des Materialerhaltungstitels, genauso wie eine Verstetigung des Anteils für militärische Beschaffungen durch den Fortfall der Globalen Minderausgabe möglich würde. Als Fazit zu dieser Thematik stellte der Stellvertreter fest, dass Raum für einen Fähigkeitszuwachs derzeit kaum vorhanden ist, und der Haushalt zur Konzentration auf den Fähigkeitserhalt zwingt – genauso wie dies vom Präsidenten des DMI bei der Pressekonferenz angesprochen worden war.
Hinsichtlich der NATO-Verpflichtungen führte Admiral Lange aus, dass die Deutsche Marine auch künftig die NATO Response Forces (NRF) durch die Teilnahme an den vier Standing NATO Maritime Groups und MCM-Groups unterstützen wird. Für viele Tagungsteilnehmer waren die Aussagen von Admiral Lange zum Thema Missile Defence besonders interessant. Die NATO hat sich bis zum Jahr 2020 zum Ziel gesetzt, die Fähigkeit zur Abwehr ballistischer Raketen aufzubauen. Auch Deutschland, so Lange, ist hier gefordert, einen zuverlässigen Beitrag zu leisten. Neben der Einbindung der Patriot- Batterien der Luftwaffe könnte dies u.U. auch eine Einbindung der Fregatten Klasse 124 mit einschließen. Dies ist aber vor dem Hintergrund der Machbarkeit und vor allem der Finanzierbarkeit noch zu prüfen.
Damit wandte sich Admiral Lange dem Personalumfang der Marine zu. In seiner Rede zur Neuausrichtung der Bundeswehr hatte Bundesminister Dr. de Maizière zum Umfang der Streitkräfte die Formel: 170 + 5 + X geprägt. Damit werden in Zukunft bei den Streitkräften 170.000 Berufs- (BS) und Zeitsoldaten (SaZ) dienen und 5.000 neue freiwillig Wehrdienstleistende (FWD), die finanziell auch gesichert und damit garantiert sind. Das X steht für weitere FWD, von denen noch bis zu 10.000 Stellen vorgesehen sind, die – soweit finanzierbar – auch besetzt werden sollen.
Für die Marine stellt sich, so Lange, aus diesen Vorgaben das Bild wie folgt dar: 12.500 Dienstposten für BS und SaZ, 500 FWD sowie bis zu 800 weitere FWD. Damit ergibt sich eine Marine in der Größenordnung zwischen 13.000 und 13.800 Dienstposten. Hinzu kommen noch Stellen für Schüler. Das sind im Vergleich zu den in den VPR von 2003 angestrebten 14.000 Dienstposten zwar deutlich weniger, im Vergleich zu den Überlegungen in der jüngeren Vergangenheit, in denen Umfänge der Marine von rund 7.000 bis 8.000 Dienstposten auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, aber ein Mehr.
Damit wird nach Auffassung des Stellvertreters deutlich, was die Marine künftig wird leisten müssen: Bei einem Anteil von rund 8 Prozent am Gesamtpersonalumfang sind künftig bis zu 1.000 Seeleute dauerhaft für Einsätze verfügbar zu halten. Da die Marine im Jahr 2010 durchschnittlich ca. 860 Soldaten und Soldatinnen in Einsätzen gebunden hatte, ergibt sich auch hier keine Reduzierung der Anforderungen.
Grafik: FüM |
Wenn die Deutsche Marine also in Zukunft ähnlich gefordert sein wird wie heute, aber die Zahl der Schiffe und Boote reduziert wird, muss sich die Struktur verändern. Auf einer Folie stellte Admiral Lange den Grobentwurf für die künftige Marine vor. Dabei ist besonders zu beachten, dass Teile des Führungsstabes der Marine mit Anteilen von Flottenkommando und Marineamt in dem neu aufzustellenden »Marinekommando« vereint werden. Die genaue künftige Rolle des Inspekteurs der Marine unterhalb der ministeriellen Ebene ist dabei noch nicht eindeutig definiert. Die Einsatzflottillen sollen u.a. durch die Übertragung der Verantwortung für die Stützpunkte und Häfen sowie Teile der Einsatzausbildung gestärkt werden. Für den Bereich der Einsatzunterstützung soll ein neues Kommando Einsatzlogistik Marine (KELM) entstehen. Mit diesen Ausführungen bestätigte Admiral Lange die weitere Ausformung des bereits im MarineForum 5–2011 vorgestellten Rational für die zukünftige Organisation der Marine.
Flotte der Zukunft
Lange beließ es aber nicht bei diesen Hinweisen zur Grobstruktur, sondern wandte sich jetzt konkret der Frage zu, wie die Flotte in Zukunft aussehen soll. Die dann von ihm gezeigte Grafik war für die meisten Tagungsteilnehmer neu und höchst interessant.
Grafik: FüM |
Derzeit hat die Marine 15 Fregatten im Bestand. Noch nicht abgeschlossen ist das Beschaffungsvorhaben Korvette Klasse 130. Bisher sind zwei Einheiten in Dienst gestellt worden, mit der vollen Einsatzbereitschaft dieser Klasse kann in 2012 gerechnet werden. Die künftig insgesamt 16 Fregatten und Korvetten setzen sich aus 11 Fregatten (4x F125, 3x F124, 4x F123) und 5 Korvetten zusammen. Zur mittel- bis langfristigen Sicherung ihrer Zukunftsfähigkeit plant die Marine bis zum Anfang des nächsten Jahrzehnts die Beschaffung des Mehrzweckkampfschiffes 180, welches auf der Übersicht noch keine Berücksichtigung findet. Die aktuelle Klassenvielfalt der Minenabwehreinheiten soll bereinigt und gleichzeitig die Anzahl an Einheiten reduziert werden. Zu den weiteren Projekten der Marine gehören noch die Beschaffung des neuen Marinehubschraubers und die Nachfolge für die Betriebsstofftransporter RHÖN und SPESSART. Nach wie vor ist auch die streitkräftegemeinsame Beschaffung des Joint Support Ships (JSS) beabsichtigt. Damit soll die streitkräftegemeinsame Fähigkeitslücke »Gesicherter Militärischer Seetransport« geschlossen werden.
Die Gesamtzahl der seegehenden Einheiten soll künftig etwa 50, die der Hubschrauber 30 Einheiten betragen. Damit wird die Flotte in der Lage sein, eine Regeneration von Fähigkeiten und eine durchhaltefähige Beteiligung an laufenden und zukünftigen Einsätzen sicherzustellen. Hier wagte Admiral Lange eine Prognose, indem er wörtlich meinte: »Gleichwohl hat die absehbare Reduzierung von etwa 40 Prozent der Flotte zur Konsequenz, dass wir künftig in einem Einsatz über die Zeitachse gesehen wohl auch mal eine operationelle Pause einlegen müssen«.
Zur Sicherstellung eines Einsatzumfangs von bis zu 1.000 Männern und Frauen – bei einer reduzierten Anzahl von Plattformen – gewinnt die Ausformung von Mehrbesatzungsmodellen für die Marine herausragende Bedeutung. So werden z.B. für die vier Einheiten der Fregatten Klasse 125 acht Besatzungen ausgeplant, damit diese Einheiten lange im Einsatzgebiet stehen können. Ein weiterer Aspekt ist nach Auffassung von Lange außerdem – auch vor dem Hintergrund knapper Ressourcen – die verstärkte Zusammenarbeit mit Partnern, insbesondere im europäischen Rahmen. Dies kann ebenfalls dazu beitragen, Synergien zu nutzen und Fähigkeiten im europäischen Rahmen abzubilden.
Anschließend wandte sich der Stellvertreter noch einmal den VPR zu, in denen ausdrücklich angesprochen wird, dass die derzeit laufenden Einsätze lediglich eine Orientierung für die künftigen Fähigkeiten der Streitkräfte sind. Das aktuell in der Erstellung befindliche »priorisierte Fähigkeitsprofil Bundeswehr« hat sich hieran auszurichten und soll die einzelnen Fähigkeiten der Streitkräfte nach Art, Qualität und Umfang festlegen. Insofern ist, so Lange, das Ziel vorgegeben, auch künftig eine möglichst große Vielfalt an maritimen Fähigkeiten bereitzuhalten. Das kann zu Auswirkungen bei der Qualität und der Quantität der einzelnen Schiffs‑, Boots- und Luftfahrzeugklassen führen. Diesen Aspekt gilt es nach Überzeugung von Admiral Lange im Auge zu behalten, wenn die Marine über die Reduzierung der Flotte entscheidet und damit auch über ihre Standorte befindet.
Auch wenn für die Marine die Befähigung zum multinationalen Zusammenwirken mit Partnern in NATO und EU seit Jahrzehnten üblich ist, so gilt es dennoch, durch einen konsequenten Aus- und Aufbau modularer und interoperabler Fähigkeitspakete diese Kooperation zu verbessern und zu erweitern. Das Alleinstellungsmerkmal der Marine ist ihre Fähigkeit zum militärischen Handeln in allen drei Dimensionen der maritimen Domäne: d.h. auf, über und unter der Wasseroberfläche. Seestreitkräfte sind zudem in der Lage, an der Schnittstelle von »See und Land«, einen wirkungsvollen Beitrag zur Unterstützung von Luft- und Landstreitkräften von See aus zu leisten. Eine modulare Zusammenstellung eines Maritimen Einsatzverbandes in Abhängigkeit geforderter Fähigkeiten je nach Bedrohungs-/Einsatzszenario gewährleistet eine hohe Flexibilität vor dem Hintergrund weltweiter Mobilität.
Der Stellvertreter Inspekteur schloss seinen Vortrag mit der Feststellung, dass die Marine der Politik einen breiten Fächer von Handlungsoptionen zur Verfügung stellt. Bereits jetzt sei der »Kampf« das Maß aller Dinge bei der praktizierten Einsatzausbildung der Deutschen Marine. Alle Einheiten und Waffensysteme der Flotte befinden sich bereits seit Jahren im Einsatz und werden konsequent auf streitkräftegemeinsame und multinationale Einsätze ausgerichtet.
Champions League — aber nicht mal die Finanzausstattung für die Kreisklasse
Welche Auswirkungen die Reform auf die Menschen bei der Bundeswehr hat, stellte vor der abschließenden Podiumsdiskussion Major André Wüstner dar. Eine von Wüstners Schlussfolgerungen lautete, dass die Bundeswehr unterfinanziert ist. Wüstner wörtlich: »Mit Blick auf die Auslandseinsätze und das Engagement, das Deutschland laut Minister de Maizière in der internationalen Gemeinschaft spielen soll, heißt das: Wir wollen in der Champions League spielen und haben nicht mal die Finanzausstattung für die Kreisklasse.« Nach Auffassung Wüstners geht die Reform mit zu vielen Ankündigungen, Verzögerungen und Aufschüben einher. Das Einzige, was geklappt hat, so Wüstner, war die Abschaffung der Wehrpf licht. Das geschah allerdings überstürzt. Noch während im Bundestag der kürzere Grundwehrdienst »W 6« nach dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung diskutiert wurde und die Streitkräfte versuchten, noch etwas Nutzbringendes für die sechs Monate einzuplanen, stand die »Freiwilligenarmee Bundeswehr« bereits fest.
Zum Abschluss des Sicherheitskolloquiums bezogen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, Ingo Gädechens (CDU/CSU)-und Karin Evers-Meyer (SPD), Stellung zur Rolle der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Die 1. Vizepräsidentin des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern, Renate Holznagel (CDU), wies auf die Bedeutung der Marine für ein Küstenland und insbesondere für den Raum Rostock/Warnemünde hin und brachte vor allem landespolitische Aspekte in die Diskussion ein. Die Moderation der Podiumsdiskussion oblag dem Präsidenten des DMI, Vizeadmiral a.D. Lutz Feldt. Für die Veranstalter, die Karl-Theodor-Molinari- Stiftung (KTMS) und das Deutsche Maritime Institut (DMI), war die positive Bewertung der Teilnehmer des Kolloquiums Anregung und Ansporn zugleich, in 2012 eine Fortsetzung der Veranstaltungsreihe ins Auge zu fassen.