Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Kolloquium zu den zukünftigen maritimen Fähigkeiten der Bundeswehr in Rostock
Die Bundeswehrreform, die darin enthaltene Ausgestaltung der Deutschen Marine und damit die zukünftigen maritimen Fähigkeiten Deutschlands standen im Mittelpunkt des 11. Rostocker Maritimen Sicherheitskolloquiums. Die Schirmherren der Veranstaltung, Rostocks Oberbürgermeister Dipl.-Ing. Roland Methling, und der Amtschef des Marineamtes, Konteradmiral Dr. Horst-Dieter Kolletschke, konnten rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Bundeswehr zur Tagung begrüßen.
Foto: PIZ Marine |
In einem Pressegespräch vor Beginn der Veranstaltung machte Admiral Kolletschke bereits darauf aufmerksam, dass er keinerlei Aussagen zur neuen Struktur der Bundeswehr und damit auch keine Fragen zur zukünftigen Stationierung der Marine beantworten könne, da die dazu erforderlichen Entscheidungen im BMVg noch nicht getroffen worden seien.
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Der Präsident des Deutschen Maritimen Instituts, Vizeadmiral a.D. Lutz Feldt, fasste die teilweise noch bestehenden Probleme der gegenwärtigen Einsätze in dem griffigen Satz zusammen: »Die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz haben ein besseres Zuhause verdient«, und stellte dabei deutlich heraus, dass die Motivation der Angehörigen der Bundeswehr nicht nur eine Frage des Geldes sei. Feldt konnte den Teilnehmern des Pressegesprächs verdeutlichen, dass es für die Marine jetzt ganz besonders darauf ankomme, alle Fähigkeiten im Grundsatz zu erhalten, da jede – auch temporär gemeinte – Aufgabe von Fähigkeiten letztendlich ihren völligen Verlust bedeutet.
Der Vorsitzende Marine im DBwV, Kapitänleutnant Uwe Sonntag, und der 2. Stellvertretende Bundesvorsitzende des DBwV, Major André Wüstner, machten insbesondere auf die ihrer Meinung nach mangelnde Unterstützung der Politik bei der anstehenden erneuten Reform der Streitkräfte aufmerksam. Sonntag wies insbesondere auf die in bestimmten Bereichen nicht mehr gegebenen Perspektiven für das Personal hin. Er stellte fest, dass z.B. bei Hubschrauberpiloten die Motivation stark leide, weil dieses Personal früher stark umworben wurde, und jetzt die erforderlichen Fluggeräte nicht in ausreichender Anzahl zur Erhaltung von Flugpraxis zur Verfügung stehen. Wüstner formulierte seine Auffassung in der Forderung, dass die zukünftige Bundeswehr nicht nur vom Einsatz her gedacht werden dürfe, sondern vor allem von den Menschen, die in ihr dienen.
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Auf die Rüstungsprojekte der Marine angesprochen, wies der Amtschef des Marineamtes auf die vier Fregatten Klasse 125, zwei U‑Boote der Klasse 212A, den Einsatzgruppenversorger BONN und die Beschaffung des Marinehubschraubers hin. Darüber hinaus seien das neue Projekt Mehrzweckkampfschiff 180 und das Joint Support Ship (JSS) konzeptionell von der Marine begründet, so Kolletschke.
Die Tagung selbst wurde durch den Geschäftsführer der Karl-Theodor-Molinari- Stiftung (KTMS), Christian Singer, eröffnet, der sich über die rege Teilnahme an dem Kolloquium freute und stolz auf die Tradition der Tagung in Rostock hinwies. Oberbürgermeister Dipl.-Ing. Roland Methling verdeutlichte in seinem Grußwort an die Tagungsteilnehmer seine Haltung zu den Streitkräften, indem er erklärte: »Ich bin für die Bundeswehr und als Vertreter der Hansestadt Rostock bin ich für die Deutsche Marine am Standort. Ich spreche mich auch für die Ausbildung auf dem Segelschulschiff GORCH FOCK aus« und dankte der Marine für die Entsendung ihres Rahseglers zur Hanse Sail.
Konteradmiral Dr. Kolletschke machte in seiner Einleitung zum Kolloquium deutlich, dass die sicherheitspolitische Zielsetzung Deutschlands – und die dafür notwendigen Streitkräfte neben der klassischen Landes- und Bündnisverteidigung, den Beiträgen zum Heimatschutz und der humanitären Hilfe – mehr denn je zur internationalen Konfliktbewältigung beitragen müsse. Für die Marine sei die Gewinnung des erforderlichen Personals dabei die wichtigste Voraussetzung, um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden. »Eine attraktive Aus- und Weiterbildung ist besonders wichtig, damit sich die Bundeswehr auf einem enger werdenden Markt behaupten kann«, so der Amtschef.
Deutschland fehlt die strategische Sicherheitsdiskussion
Der Tagungsablauf sah eine Reihe von Vorträgen mit kurzen Aussprachen und eine abschließende Podiumsdiskussion zum Thema »Parlamentsarmee Bundes- wehr – die Rolle des Parlaments für eine zeitgemäße und zukunftsorientierte Bundeswehr « vor. Die Inhalte können hier nur stark verkürzt – mit Ausnahme des Vortrages über die Zukunft der deutschen Marine durch den Stellvertreter Inspekteur der Marine, Konteradmiral Heinrich Lange – wiedergegeben werden.
Den Anfang bei den Vorträgen machte Oberst i.G. Stefan Perschke, Angehöriger des Planungsstabes. Er erwähnte zunächst, dass die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) ein Ressortkonzept des BMVg darstellen und interministeriell nicht abgestimmt sind. Dennoch bilden sie die Grundlage für alle Entscheidungen im Zusammenhang mit der Neuausrichtung der Bundeswehr. Sicherheit könne nicht mehr geografisch eingeschränkt werden. Eine internationale Aufgaben- und Rollenteilung sei auch eine Chance, die knappen Ressourcen zu schonen. Die aus nationaler Sicht unverzichtbaren Fähigkeiten seien aber auch weiterhin vorzuhalten, so Perschke weiter, da sonst nicht gewünschte Abhängigkeiten entstehen könnten. Der freie Zugang zur See und damit den Welthandelswegen sei in den VPR verankert. Hinsichtlich der Neuausrichtung der Bundeswehr meinte Perschke, dass dafür eine verlässliche Finanzierung Vorbedingung sei.
Prof. Dr. Joachim Krause von der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel leitete seinen Vortrag zu den zukünftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen und der Rolle Deutschlands in der internationalen Politik mit der Feststellung ein: »Deutschland fehlt die strategische Sicherheitsdiskussion «. Ironisch merkte er an, dass »die deutsche Politik sich an den großen Idealen orientiert, z.B. den finanziellen Möglichkeiten«. Krause argumentierte, dass derzeit eine langfristig angelegte globale Machtverschiebung stattfinde, in dessen Verlauf der Westen und Russland absteigen, Brasilien, Indien, China und die Türkei dagegen aufsteigen würden. Krause machte anschließend folgende Sicherheitsgefährdungen für die Zuhörer deutlich:
- Globale Kräfteverschiebung zugunsten von Mächten, welche die westlich geprägte internationale Ordnung herausfordern,
- Zunehmend unsichere Regionen, die in dauerhafte Krisen und Unregierbarkeit abrutschen,
- Terrorismus und extremistischer Islam,
- Ausbreitung von Nuklearwaffen,
- Energieknappheit und Konflikte über Rohstoffe.
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Konteradmiral Dipl.-Kfm. Heinrich Lange, Stellvertretender Inspekteur der Marine, stellte anschließend die Überlegungen zu den zukünftigen maritimen Fähigkeiten und der Struktur der Deutschen Marine vor. Wegen der grundsätzlichen Aussagen des Vortages werden die Inhalte hier ausführlicher wiedergegeben.
Admiral Lange ging zunächst auf die maritime Sicherheitslage ein, indem er deutlich machte, dass die Globalisierung und die zunehmende Ballung der Weltbevölkerung in Küstenregionen dazu führen, dass die maritime Komponente von Streitkräften in künftigen Konflikten und Krisen deutlich an Bedeutung gewinnen wird. Hauptaufgabe der Bundeswehr ist und bleibt die Landesverteidigung im Rahmen des Bündnisses. Dennoch sind Einsätze zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung auch künftig wesentlich wahrscheinlicher als die Landesverteidigung. Der Rechtsstatus der Hohen See ermöglicht es Seestreitkräften, sich weltweit ungehindert zu bewegen und bereits in der frühen Phase eines Konflikts oder einer Krise in ein betroffenes Gebiet verlegt zu werden. Dort können sie dem politischen Willen Deutschlands Ausdruck verleihen, flexibel und ohne sich an Land befinden zu müssen und dennoch mit der Möglichkeit zur Wirkung von See in ein Land hinein.
Eine starke maritime Komponente im Rahmen der Konfliktbewältigung ist immer dann geboten, so Lange, wenn ein Einsatzgebiet nahe der Küste liegt oder ggf. auch nur über See zugänglich ist. Für künftige Einsätze der Bundeswehr ist daher ein im Vergleich zu heute zumindest nicht kleiner werdender Bedarf an leistungs- und durchhaltefähigen maritimen Fähigkeiten zu erwarten. Es ist sogar davon auszugehen, dass die See künftig für streitkräftegemeinsame Operationen vermehrt genutzt werden wird, um die politischen wie operationellen Handlungsoptionen zu erweitern. Der Stellvertreter dazu wörtlich: »Die Ausrichtung der Deutschen Marine erfolgt daher vor dem Hintergrund der gültigen konzeptionellen Grundlagen der Streitkräfte zur Sicherung der eigenen Küsten und Seeverbindungslinien sowie für Einsätze weit entfernt von Deutschland«.
Es lag Admiral Lange sehr daran, den Tagungsteilnehmern zu verdeutlichen, dass maritime Fähigkeiten während einer Operation an Land als Multiplikator wirken können und u.U. streitkräftegemeinsame Operationen an Land erst ermöglichen. Marinen allgemein können über ihre tatsächliche numerische Größe hinaus erheblich zur Erweiterung des Einsatzspektrums der Streitkräfte insgesamt beitragen. Dazu zitierte Lange aus den VPR: »Sicherheit für unser Land zu gewährleisten, bedeutet heute insbesondere, Auswirkungen von Krisen und Konflikten auf Distanz zu halten […].« Mit ihrer konzeptionellen Ausrichtung ist nach Auffassung des Stellvertreters die Marine gut aufgestellt.