SACHSEN ist da!
Als Fregatte SACHSEN im Herbst 2002 einen Monat früher als geplant von der Industrie an das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) übergeben wurde, war die »Erfolgsgeschichte F 124« geboren. Nicht nur im MARINEFORUM wurde an verschiedenen Stellen darüber berichtet. Zu diesem Zeitpunkt war es die Erstbesatzung der Fregatte SACHSEN, die als Experten neben der aufwendigen Erprobungstätigkeit zur Grundlagenarbeit und Konzeptentwicklung herangezogen wurde.
Es wurde ernst, F 124 war zwar »da«, tatsächlich aber in der Marine noch nicht angekommen. Die zwischenzeitlich im WZ F 124 zusammen getragenen Fakten führten zwangsläufig zur alarmierenden Einsicht, dass »die Marine« auf F 124 nicht vorbereitet war, mehr noch, dass die Komplexität der Systeme – nicht nur die des CDS – die Marine ohne entsprechend angepasste Organisation überfordern würde. Teilweise war diese Organisation erst im Aufbau begriffen, die Ansprechpartner noch nicht entsprechend ausgebildet oder erfahren. In anderen Bereichen war aber die Notwendigkeit zu angepassten Strukturen noch nicht erkannt worden.
Wie komplex das Einsatzsystem wirklich war, musste allen Betroffenen spätestens klar werden, als die ersten Lehrgänge für das Einsatzsystem F 124 beim Kommando Marineführungssysteme geplant wurden. Mit der aus Regenerationsgründen notwendigen Vorgabe der damaligen Zerstörerflottille: »Maximal 4 Monate CDS-Ausbildung« konnte nur noch modular und fachspezifisch ausgebildet werden. Anders als bei früheren Systemen gibt es auf F 124 keinen Offizier oder PUO mehr, der das gesamte Einsatzsystem kennt, geschweige denn, alle Programmteile bedienen könnte.
Jetzt war Konzeptarbeit gefragt
Ab Oktober 2003, als S3 des im Aufbau befindlichen 1. Fregattengeschwaders – der künftigen »Heimat« F 124 – gehörte die konzeptionelle Grundlagenarbeit für die künftige Nutzung F 124 zu meinem Auftrag. Die Schiffs-STAN musste den sich nun abzeichnenden Realitäten der Automation angepasst, ein Ausbildungskonzept für die erforderlichen Jägerleitoffiziere (NATO FC1A) entwickelt und die neuen Möglichkeiten des streitkräftegemeinsamen Einsatzes in der vernetzten Umwelt mussten konzeptionell aufbereitet werden. Die Marine selbst aber war dafür denkbar schlecht aufgestellt. Die Arbeitsgemeinschaft Flugabwehr der Marine (AG FlaM) »ruhte«, das Weiterentwicklungszentrum Marine (WEM) war gerade erst im Aufbau begriffen, den verschiedenen streitkräftegemeinsamen Projekten mangelte es in entscheidenden Bereichen an maritimer Expertise. An den Entwürfen von wesentlichen Basisdokumenten wie Anwenderforderungen oder Systemfähigkeitsforderungen (AF/SFF) zur vernetzten Flugabwehr wurde mangels Personal nur mit Verzögerung mitgearbeitet. Ein Strukturelement »Luftverteidigung« gab es in der Marine noch nicht.
Bereits im Jahr 2000, als das Fact-Finding zur Einrichtung des seit 2002 im Jahresrhythmus stattfindenden German/Dutch Air Warfare Officer Course die Erkenntnis brachte, dass F 124 den Schritt in die streitkräftegemeinsame Vernetzung bringt, wurde deutlich, dass die Deutsche Marine sich intensiv in die konzeptionelle Grundlagenarbeit einbringen musste. Die niederländische Marine nahm folgerichtig seit dem Jahr 2000 an der jährlichen multinationalen und streitkräftegemeinsamen Übung Joint Project Optic Windmill (JPOW) mit einem Aufwand teil, der ihr eine gewisse Teilhabe und Mitsprache bei der Entwicklung der Konzepte in der »Erweiterten Integrierten Luftverteidigung « sicherte. In der Deutschen Marine wurde diese wichtige und für die aktuellen Leuchtturmprojekte der NetOpFü richtungweisende Einbindung erst ab 2004 erreicht. Allerdings sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Bundeswehr – auch dank des besonderen Engagements der Marine – innerhalb von 2 Jahren aufgeholt hat und zwischenzeitlich zu den weltweit führenden Streitkräften im Bereich Weiterentwicklung der vernetzten Operationsführung (NetOpFü) zählt. Das diesbezügliche nationale CD&E‑Projekt »Common Umbrella« war mit über 800 Teilnehmern von Streitkräftebasis, Heer, Luftwaffe und Marine das größte und wichtigste NetOpFü-Unternehmen in 2006, seitdem wird das Projekt in 2 Übungen jährlich weitergeführt.
Zum Flugkörperschießen um die Welt!
Die Softwareintegration F 124 nach der Übergabe des Schiffes Ende 2002 an das BWB blieb zunehmend hinter dem Zeitplan zurück. Just in diesem Zeitraum kam unbeabsichtigt »Rettung« für die Industrie aus den USA: Durch die Schließung der Schießgebiete bei Roosevelt Roads in der Karibik verzögerte sich das Abnahmeschießen und damit die entscheidende und durch den ehemaligen Admiral Marinerüstung, FltlAdm Karl-Heinz Kelle ausdrücklich geforderte Voraussetzung für die Indienststellung der First-of-Class um mehr als ein Jahr. Es war nun drängende Aufgabe des BWB und der Marine, ein neues Schießgebiet zu finden. Als Teilnehmer im Range-Finding-Team musste ich erfahren, wie die Komplexität der Aufgabenstellung dieses Abnahmeschießens selbst routinierte US-amerikanische Ingenieure und Sicherheitsverantwortliche an ihre Grenzen heranführte.
Im November 2004 durfte ich als Erster Offizier der Fregatte SACHSEN dieses Abnahmeschießen der neuen Flugkörpersysteme ESSM und SM‑2 auf der Pacific Missile Test Range Pt. Mugu nördlich von Los Angeles miterleben. Das Test-Schießen war erfolgreich – mit einem entsprechend optimierten Doktrinensatz zeigte das Waffensystem F 124 eine exzellente und dem US AEGIS-System weit überlegene Performance.
Indienststellung
Nach der Rückkehr des Schiffes stand endlich am 4.11.2004 die Indienststellung der ersten F 124 bevor. Eine neue Ära für die Deutsche Marine brach an. Dies dokumentierte sich eindrucksvoll bereits am darauf folgenden Montag durch die Tatsache, dass Fregatte SACHSEN, nach einer 4‑monatigen Seereise mit über 21.500 nahezu störungsfrei zurückgelegten Seemeilen, quasi »über Nacht« die Betriebserlaubnis verlor. Das Schiff lag nun – nachdem die Ausnahmegenehmigungen des Präsidenten BWB für die Zeit der Erprobung in der Marine keine Gültigkeit mehr hatten – an der Pier fest. F 124 war in der Marine angekommen!