Das Projekt F 124 wurde unterschätzt
»Die Marine hat die Komplexität der Fregatte F 124 unterschätzt«, so urteilt der Stabsabteilungsleiter FüM III, FltlAdm Klaus von Dambrowski, in einem Vortrag vor der Mitgliederversammlung der MOV am 5. Mai 2007 in Bonn. Man kann der Marine zugute halten, dass sie diese Komplexität gar nicht abschätzen konnte, in treuem Glauben an die Versprechungen seitens der Industrie.
Als »ehemaliger Insider« möchte ich nachfolgend eigene Erfahrungen aus den Jahren 1995 bis 2006 zum Thema F 124 aufführen, die einzeln und für sich betrachtet nicht sonderlich relevant wirken mögen, in der Kombination und über den Zeitstrahl jedoch eine Antwort auf die Frage geben können, wie es zur erwähnten »Unterschätzung« F124 seitens der Marine gekommen sein mag. Motivation für meinen Beitrag ist die Hoffnung, F 125 auch zu einem Projekt der Deutschen Marine und nicht – wie F 124 – allein zu einem Projekt der Deutschen Industrie zu machen.
Im Nachfolgenden wird der Begriff »die Marine« absichtlich in dieser Form genutzt. Die implizierten Versäumnisse sind nicht einer Dienststelle oder gar einer Person zuzuordnen. Dass die drei Einheiten der Klasse F 124 die gesamte Marine in ein neues Zeitalter führen würden, wurde in vielen Bereichen zu lange verkannt. So kam es statt zu einer allmählichen Transition zu einem »unbequemen Sturz« in diese neue Ära. Tatsache ist, dass F 124, drei Jahre nach der Indienststellung der ersten Einheit – anders als das niederländische Pendant LCF mit seinem zugegebenermaßen weniger komplexen Einsatzsystem – noch immer nicht voll einsatzfähig ist.
Meine erste Berührung mit dem Thema »F 124« hatte ich ab 1995 als OP151 im Flottenkommando. Das Einsatzkonzept wurde damals dem weltpolitischen Wandel angepasst, 1996 ging es um die Frage, ob für die Hauptsensoren das bewährte AEGIS-Konzept oder die innovative aber mit Risiken behaftete SIGNAAL (heute Thales)-Lösung gewählt werden soll. Das heute an Bord F 124 so schmerzlich vermisste Surface-Radar »Triton‑G« fiel damals den »Mehrkosten« des AAW-Systems zum Opfer.
Im Jahr 1998 hatte die Marine auf Drängen der Industrie eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die innerhalb von drei Monaten die erforderliche Zuarbeit zum Thema »Doktrinenmanagement« leisten sollte. Mit »Doktrinenmanagement« wird die automatische flexible Konditionierung des Einsatzsystems der Fregatte auf sich verändernde Rahmenbedingungen (Seegebiet, Rules-of-Engagement, Bedrohung, etc.) bezeichnet. Diese Doktrinensteuerung ist der tatsächliche Quantensprung, der F 124 weltweit so führend macht. Der mit vielen Experten besetzte und mit Hochdruck arbeitende Brain-Pool brauchte aber vier Monate und legte – statt des gewünschten Doktrinensets – ein Grundlagenpapier vor, welches sinngemäß feststellte, dass das in das Einsatzsystem F 124 integrierte Doktrinensteuerungssystem eine kompetente Begleitung durch die Marine über die gesamte Entwicklungs- und Nutzungsdauer der Fregatten notwendig macht. Doktrinen lassen sich nicht »mal eben« und schon gar nicht »für alle Zeiten« entwickeln.
Das Waffensystemzentrum F 124 wird aufgestellt
Als Reaktion auf diese noch heute hoch aktuelle Grundlagenarbeit der Ad-hoc-Arbeitsgruppe wurde zwei Jahre später zum 1. Oktober 2000 – nach einem gemeinsamen »STANologoischen Klimmzug« des damaligen Befehlshabers der Flotte und des damaligen Amtschefs – beim Kommando Marineführungssysteme das »Waffensystemzentrum F 124« (WZ F 124) aufgestellt. Ab Dezember 2000 war ich dort als »Sachbearbeiter Operative Doktrinen« tätig.
Von Anbeginn an kam es zu intensiver Zusammenarbeit zwischen Industrie und WZ F 124. Die Industrie hatte großen Klärungsbedarf. Schnell wurde deutlich, dass es zum Thema »Einsatzsystem F 124« nicht DEN EINEN kompetenten Ansprechpartner bei der Industrie gab, sondern dass dieses Einsatzsystem (Combat Direction System – CDS) sowohl software- wie auch hardwareseitig in eine Unzahl kleiner »Kuchenteile« zerstückelt war. Dies sollte zum einen vielen deutschen Unternehmen eine Beteiligung an dem lukrativen Rüstungsprojekt F 124 sichern, zum Anderen aber auch das Entwicklungsrisiko minimieren und Synergieeffekte nutzbar machen.
Sichtbare Auswirkung dieser Maßnahme ist die Tatsache, dass die ca. 1.000 Menüfenster des CDS sich in Aufbau und Ergonomie je nach Herkunft (EADS, T‑Systems, STN, etc.) unterscheiden. So musste das WZ F 124 offene Fragen für einzelne Programmteile und teilweise buchstäblich für einzelne Menüfenster mit unterschiedlichen Entwicklern unterschiedlicher Firmen klären. Häufig waren diese Anfragen der erste Kontakt eines Entwicklers mit Marinepersonal, meist war es aber bezogen auf den Entwicklungsstand bereits »5 vor 12«, manchmal sogar schon »5 nach 12«.
Ungeklärte Interdependenzen
Zunächst beschränkte sich die Arbeit im WZ auf die Theorie. Das angekündigte Software- Tool zur Erstellung von Doktrinen direkt am Schreibtisch des Sachbearbeiters im WZ war erst ab 2003 verfügbar, das bei Kommando Marineführungssysteme vorhandene Einsatzsystem (»EZ/AZ« – der Nachbau einer realen F 124-Operationszentrale) stand dem Doktrinen-Team ab Sommer 2001 faktisch durchschnittlich nur zwei Stunden wöchentlich zur Verfügung, die Softwareentwicklung war noch in vollem Gange und hatte naturgemäß Priorität. Viel zu selten auch gab es Gelegenheit für uns »Doktrineure«, ab Sommer 2002 an Bord der Erprobungsplattform Fregatte SACHSEN am Einsatzsystem zu arbeiten.
Schnell wurde aber deutlich, dass F 124 eine nie geahnte Komplexität aufwies. Das Schlagwort der »ungeklärten Interdependenzen« wurde WZ-intern geprägt. Dahinter verbarg sich die Erkenntnis, dass die Industrie zwar jeweils die den Einzelunternehmen anvertrauten Spezifikationen dem Buchstaben nach erfüllte, die Programmteile insgesamt beziehungsweise im Zusammenspiel sich aber nicht verstanden oder Bedienereingaben an anderen Stellen nicht vorhersehbare Reaktionen auslösten. Häufig wurden industrieseitig marineeigentümliche, den Entwicklern nicht geläufige Begriffe falsch interpretiert oder vage gedeutet. Kurzfristige Nachbesserungen durch die Programmierer waren nicht möglich, da dies teure Änderungen der Basisdokumentation nach sich gezogen hätte. Teilweise wurden also bekannte Fehler bis zu zwei Jahren »mitgeschleift«, bis ein umfangreicher Änderungsdienst wirtschaftlich vertretbar war.
Der Industrie fehlte bis weit nach 2002 hinein in vielen Bereichen die Begleitung durch die Marine. Der Vorhabensoffizier mit seinem für dieses komplexe Projekt zu kleinen Team konnte diese notwendige, teilweise sehr intensive Begleitung nicht alleine leisten.