Das MERZ in der »Basis See«
Bei dem gebotenen fähigkeitsorientierten Ansatz trägt die an Bord der EGV verfügbare sanitätsdienstliche Komponente entscheidend dazu bei, auch an entfernten Küsten durchhaltefähig gegenüber militärischen Gegnern operieren zu können oder andere Aufträge durchzuführen. Es gilt, sich dabei immer wieder zu vergegenwärtigen, dass die Maxime, jeden Soldaten in einem Auslandseinsatz im Ergebnis entsprechend dem medizinischen Standard zu versorgen, zu einer individuellen Hochleistungsmedizin unter schwierigen Umständen führt. Das MERZ ist hierzu ein wichtiger Baustein. Es ist ein bedeutendes Glied zur Sicherstellung der Rettungskette eines möglichen Einsatzes im Rahmen der »Basis See«.
Das MERZ besteht aus 26 ISO Containern, einer Bettenstation mit bis zu 43 Betten, 3 Operationssälen, Intensivpflegeplätzen und weiteren medizinischen Einrichtungen, die es den Soldaten des Sanitätsdienstes erlauben, eine Versorgung nach deutschem Standard in allen möglichen Einsatzgebieten sicherzustellen. Das MERZ wird ständig durch eine achtköpfige Unterstützungsgruppe aus medizingerätetechnisch und logistisch erfahrenen Marinesoldaten instand gehalten und für einen möglichen Einsatz vorbereitet. Die Ausrüstung umfasst alle bisher erlebten Einsatzszenarien.
Die materielle Einsatzfähigkeit ist nach absolviertem Einsatzausbildungsplan (EAP) des EGV vorgesehen. Innerhalb von wenigen Tagen kann das System auf eine höherwertige Einsatzkonfiguration gebracht, d.h. personell bedarfsorientiert aktiviert werden. Aktivierung bedeutet Zuführung von Sanitätspersonal des Marinesanitätsdienstes, des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr und von restlichem Sanitätsmaterial, wie z.B. Blutkonserven, mit kurzer Halbwertszeit. Der zeitliche Ansatz vom Einsatzbefehl bis zum Eintreffen des Personals an Bord beträgt ca. 1 Woche. Bereits erfolgreich erprobt wurde zudem die kurzfristige Aktivierung eines MERZ in einem Auslandshafen.
Operation im MERZ während UNIFIL 2006 (Foto: V. Hartmann)Der Personalansatz ist nicht statisch, sondern wird flexibel bedarfsabhängig zusammengestellt. Ein begrenztes Einsatzkontingent, z.B. bei Operationen geringerer Intensität und Bedrohungslage, benötigt eine geringere Anzahl von Ärzten und Sanitätspersonal. Allerdings sind bestimmte Schlüsselqualifikationen, wie Intensivpfleger, Labor‑, Röntgen- oder Sterilisationsassistenten in jedem Falle zu besetzen. Bei Katastropheneinsätzen kann bis zu einem maximalen Aufwuchs von 58 Personen (einschließlich Schiffslazarett- und Unterstützungsgruppe) ausgegangen werden. Zudem besteht je nach Einsatzprofil bzw. ‑gebiet die Möglichkeit, den Hauptfokus der medizinischen Unterstützung von chirurgischen bzw. intensivmedizinischen Kautelen (Vorsichtsmaßregeln) hin zu einem infektiologisch-mikrobiologischen Schwerpunkt zu legen. Vor Sumatra wurden auch Kleinkinder durch Kinderärzte an Bord versorgt.
Ausdrücklich ist zu betonen, dass selbst ein originärer sanitätsdienstlicher Auftrag oder bedeutende medizinische Erfordernisse nicht andere Teile des Fähigkeitsspektrums des EGV beeinträchtigen müssen. Im Gegenteil: Die Erfahrung des Einsatzes vor Indonesien nach der Tsunami-Katastrophe zeigt, dass bei stringenter Planung sich die möglichen Anteile unmittelbar ergänzen und sogar strikt aufeinander angewiesen sind. Die Helikopter verbrachten am Morgen Aufbaupersonal des Schiffes und Hilfsgüter zum Krankenhaus nach Banda Aceh und kamen mit Patienten zurück an Bord. Auch mit aktiviertem MERZ behält der EGV seine Fähigkeiten als logistische Plattform für zu unterstützende operative Vorhaben.
Das Schiff wird nicht, wie landläufig dargestellt, zu einem Hospital- oder Lazarettschiff. Dieses sanitätsdienstliche Versorgungsprinzip hat sich in der Geschichte überlebt, auch die US-Navy rückt davon ab. Im Zeitalter der flugkörpergestützten Kriegsführung und verschiedenartiger maritimer asymmetrischer Bedrohungen bieten Multipurpose-Plattformen wie der EGV mit kryptierten Kommunikationseinrichtungen sowie Flug- und Personenabwehr-Equipment nicht nur ausreichende Möglichkeiten der Einbindung in zumeist komplexe Gesamtoperationen. Vielmehr ermöglichen sie durchaus auch einen besseren Schutz für den Verwundeten, im Vergleich zu notifizierten und damit den strengen Kriterien der Genfer Konvention unterliegenden Schiffen.
Bisher wurde kaum beachtet, dass das MERZ nicht nur in Bezug auf die Versorgung der Besatzungen oder im Rahmen der humanitären Hilfe, sondern gerade auch hinsichtlich des streitkräftegemeinsamen Ansatzes einen bedeutenden Faktor für das Konzept der »Basis See« darstellt. Es bietet nämlich für alle an Land einwirkenden Kräfte und Mittel eine sofort verfügbare höherwertige sanitätsdienstliche Versorgungskapazität an und zwar vom ersten bis zum letzten Tag einer Operation. Diese Verfügbarkeit ist dabei garantiert und unabhängig von nicht kalkulierbaren landseitigen Beeinträchtigungen, die einen koordinierten Aufbau einer medizinischen Versorgungsleistung behindern können. Dies ist ein entscheidender Vorteil, auch gegenüber den mobilen landgestützten Systemen. Es entfallen die für Landeinsätze typischen vulnerablen (verletzlichen) Auf- und Abbauphasen, zudem wird die Einrichtung durch die Mittel der »Basis See« geschützt.
Als Beispiel für einen solchen Einsatz kann die eine geplante NEO-Operation vor der westafrikanischen Küste im Spätherbst 2005 gelten. Sie zeigte, dass ein EGV im Rahmen der Krisenvorsorge in einem gewissen Rahmen fähig sein kann, durch Bündelung seiner Möglichkeiten nur durch eingeschiffte Kräfte eine Militärische Evakuierungs Operation (MilEvakOp) durchzuführen. Schiffsführung und an Bord kommandierte Verbindungs- und Unterstützungselemente der Einsatzflottille und der Division Spezielle Operationen entwickelten damals einen Operationsplan für eine so genannte »bewaffnete Abholung «. Hierzu wurde eine gesonderte Rolle »Aufnahme zu Evakuierender (ECHOs)« unter Einbeziehung der MERZ-Führung entwickelt. Diese Handlungsanweisung sowie die Durchführung weiterer interner Maßnahmen im Rahmen einer möglichen Aufnahme von ECHOs an Bord des EGV konnte während der Transitphasen in das Operationsgebiet erprobt und geübt werden. In diesem Zusammenhang wurde auch die Rolle »Aufnahme von Verletzten im MERZ« angepasst und mit den vorhandenen Kräften mehrfach geübt.
Die sanitätsdienstlichen Fähigkeiten des Schiffes bieten in einem solchen Rahmen nicht nur die Aufnahme, Untersuchung und Mitbetreuung zahlreicher (bis zu 450 PX) an Bord kommender Flüchtlinge, u.a. Frauen, Kindern, älteren Menschen und Gebrechlichen.
Vielmehr werden auch Verletzte und schwerer Erkrankte über allgemein- und rettungsmedizinische Möglichkeiten hinaus notfallchirurgisch und prolongiert (verlängernd) intensivmedizinisch nach deutschem Standard über mehrere Tage im MERZ behandelt. Danach kann von einem sicheren Drittland aus die Repatriierung solcher Patienten mittels STRATAIRMEDEVAC-Verfahren direkt vom Schiff zum Flughafen vorgenommen werden. Eine fremde Host Nation Support (HNS)-Einrichtung muss nicht genutzt werden.