Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Ansprache des Inspekteurs der Marine, anlässlich der 50. Historisch Taktischen Tagung (HiTaTa) in Warnemünde
von Vizeadmiral Wolfgang E. Nolting
Vizeadmiral Wolfgang E. Nolting Bildquelle: Marineforum |
Für jeden Inspekteur der Marine war es stets eine willkommene Gelegenheit, auf Einladung des Befehlshabers der Flotte die jährliche HiTaTa mit einer Ansprache zu beschließen. Dies im Jubiläumsjahr zu können, empfinde ich als besondere Freude. Wir alle können mit Stolz und Begeisterung auf die 50. Historisch Taktische Tagung zurückblicken. Nicht nur die Anwesenheit unseres parlamentarischen Staatssekretärs, Herrn Thomas Kossendey, hat die besondere Bedeutung dieser Veranstaltung unterstrichen. Auch die einzigartigen Vorträge, die die Geschichte der Deutschen Marinen in verschiedenen Epochen beleuchteten, gaben dieser Jubiläumsveranstaltung einen mehr als würdigen Anstrich.
Zudem haben die Grußworte und das eindeutige Bekennen zu unseren Aufgaben durch die Repräsentanten unserer Heimatstädte unserer Seele gut getan. Ich bin mir sicher, dass jeder von Ihnen auch dieses Mal wieder die Gelegenheit hatte, den einen oder anderen Rees an Backbord zu halten.
Für die Ausrichtung einer ausgesprochen gelungenen Jubiläumsveranstaltung danke ich dem Befehlshaber der Flotte. Wie Sie alle wissen, wird es das letzte Mal sein, dass ich als Ihr Inspekteur vor diesem Auditorium stehe. Der eine oder andere mag deshalb erwarten, dass ich heute ein erstes persönliches Resümee meiner Dienstzeit als Inspekteur der Marine ziehe.
Doch Vorsicht: Mahatma Gandhi hat einmal gesagt: »Wenn du etwas 2 Jahre lang gemacht hast, betrachte es sorgfältig! Wenn du etwas 5 Jahre lang gemacht hast, betrachte es misstrauisch!« Ich bin ergo noch nicht bei Misstrauen angekommen und deshalb ist mir der Blick in die Zukunft wichtiger. Das gilt genauso für derzeitige wie für kommende Pensionäre, stets der maritimen Sache verpflichtet, aber nicht mehr der Pflege des eigenen Egos zugewandt.
Mit Recht möchten Sie vom Inspekteur wissen, wo die Marine heute steht und wohin uns der anliegende Kurs führen wird. Ich werde Ihnen also meine Positionsbestimmung geben und den »way ahead« der Marine in der gebotenen und von mir zu verantwortenden Zeitspanne skizzieren.
Exkurs zum Marine Ehrenmal
Dennoch gestatte ich mir zu Beginn einen kurzen, aber notwendigen Exkurs mit Appellcharakter. Dies vor allem aus der Erkenntnis, dass die HiTaTa in all den Jahren stets auch Fragen unseres Traditionsverständnisses berührt hat. Eine unserer Traditionslinien gilt dem ehrenden Gedenken verstorbener oder gefallener Kameraden. Wir brauchen den Blick zurück, um unsere Verantwortung für das Geschehene zu erkennen und daraus Konsequenzen für unser tägliches Handeln zu ziehen. Vergangenheit und Zukunft sind eng miteinander verknüpft. Für uns war und ist das Marineehrenmal Laboe ein solcher Ort der Verantwortung und gedanklicher Konsequenzen.
Marine-Ehrenmal in Berlin Bildquelle: Marineforum |
Seit dem 9. September 2009 hat die Bundeswehr ein eigenständiges Ehrenmal in Berlin. Dies wirft viele Fragen auf, auch aus unseren Reihen. Der Ehrenpräsident des DMB hat seine Gedanken im MARINEFORUM veröffentlicht und seiner Sorge Ausdruck verliehen, dass Laboe seinen Platz in der Gedenkkultur der Marine verliert. Ich denke, diese Sorge sollte unbegründet sein. M.E. steht das Ehrenmal der Bundeswehr nicht in Konkurrenz zum Marine-Ehrenmal Laboe und auch nicht zu den Ehrenmalen der anderen Teilstreitkräfte. Es erhebt gerade nicht den Anspruch, erster und einziger Ort der öffentlichen Trauer und des Gedenkens zu sein!
Es ergänzt vielmehr deren Gedenken, ohne im Falle Laboe die gewachsene Marine-Tradition zu verändern oder gar infrage zu stellen. Im Ergebnis soll es im Gegenteil sogar eher dazu beitragen, dass das Bewusstsein für alle anderen Ehrenmale und damit auch für unser Marine-Ehrenmal steigt.
Beide Ehrenmale sind mit Blick auf ihren unterschiedlichen Ursprung, ihre Entstehungsgeschichte und Zweckbestimmung komplementär. Das Ehrenmal der Bundeswehr schließt eine Lücke in unserer Erinnerungskultur, verdrängt aber nicht bewährte Gedenkorte. Als nationales Zeichen ist der Standort Berlin mit Blick auf die Verantwortung von Regierung und Parlament, aber auch angesichts der gesamtgesellschaftlichen Wirkung, richtig gewählt. In unserem Selbstverständnis von Innerer Führung und unserem parlamentarischen System war die Schaffung einer derartigen Möglichkeit zum ehrenden Gedenken, zur Trauerarbeit und zur Mahnung an die Entscheider in der Bundeshauptstadt überfällig.
Eine Exklusivität bundespolitischen Gedenkens in Berlin kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Vielmehr gilt es, die positiven Effekte des Ehrenmals der Bundeswehr für die Teilstreitkräfte nutzbar zu machen und alle Ehrenmale entsprechend ihrer jeweiligen Zweckbestimmung zu nutzen.
Jedoch müssen wir Marinesoldaten uns dafür unserer Exklusivität des maritimen Umfeldes, der See und seiner darüber liegenden Lufträume, immer bewusst bleiben. In diesem Kontext habe ich im Einvernehmen mit den Höheren Kommandeuren entschieden, das Ehrenbuch der Flotte in ein Ehrenbuch der Marine umzuwandeln. Das Marine-Ehrenmal Laboe müssen wir in unser Herz einschließen, aber auch Taten folgen lassen, wenn es um seine Nutzung und seinen Erhalt geht!
Soweit mein Exkurs, mein Appell an Sie.
Positionsbestimmung mit Vorkopplung
Doch nun zu der versprochenen Positionsbestimmung. Wie es guter Navigation entspricht, werde ich auch ein Stück vorkoppeln und den »way ahead« der Marine skizzieren. Vor uns liegen schwierige Aufgaben. Der finanzielle Rahmen, in dem wir uns bewegen, ist seit Jahren eng und wird noch enger. Die Personallage spannt sich weiter an. Nach der Wahl gilt es jetzt, eine ganze Reihe offener Enden, die noch verknüpft werden wollen, zusammenzubinden.
Ich beginne mit der Transformation der Bundeswehr. Ein Begriff, der wie kein Zweiter als Argument und Rechtfertigung herhalten musste. Dabei wurde er oft missbraucht und auch häufig missverstanden – und erscheint vielleicht schon recht abgegriffen. Zugleich aber ein Begriff, der seinem Inhalt nach seine Berechtigung behalten wird. Es ist und bleibt richtig, uns laufenden Anpassungen zu unterziehen, um den wechselnden Anforderungen gerecht zu werden. Der Erfolg der Transformation bemisst sich an der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte. Dies muss bei all unserem Tun der oberste Maßstab sein.
Unsere Marine hat sich mit ihrem bisher eingeschlagenen Kurs eine gute Position erarbeitet. Sie hat den streitkräftegemeinsamen Ansatz der Bundeswehr verinnerlicht. So sind im Sprachgebrauch aus den vormaligen »Fähigkeiten der Marine« die »Maritimen Fähigkeiten der Bundeswehr« geworden – und das ist weit mehr als Semantik. Nach meiner Überzeugung gibt es zum streitkräftegemeinsamen Ansatz unserer Bundeswehr keine Alternative. Dieser Weg ist richtig.
Bildquelle: dt. Marine |
Die Deutsche Marine stellt ihre hohe Einsatzfähigkeit seit Jahren unter Beweis. Neu ist, dass im Zusammenhang mit der Operation Atalanta – wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – der Nutzen und die Bedeutung maritimer Fähigkeiten – und damit die unserer Marine – auch für eine breitere Öffentlichkeit deutlich sichtbar werden. Allerdings müssen wir darauf achten, nicht auf die Funktion von Piratenjägern reduziert zu werden.
Die Aufgaben der Marine sind umfassender. Maritime Sicherheitsvorsorge geht über die Sicherung von Seeverbindungslinien und der natürlichen Ressourcen der See hinaus. Eine wichtige Aufgabe auf und über See ist und bleibt die Konfliktprävention sowie die Krisenbewältigung vor Ort. Der Export von Risiken und Gefahren nach Europa muss verhindert werden. Gleiches gilt für humanitäre Hilfsoperationen, die sowohl politisches Verantwortungsbewusstsein als auch hohes zwischenstaatliches Engagement demonstrieren.
Ich will hier keine Eulen nach Athen tragen – Sie alle kennen das Spektrum von Aufgaben und Aufträgen der Marine. Sie wissen, welche Fähigkeiten wir erhalten oder aufbauen müssen, um diesen Aufgaben nachzukommen. Ich bin in diesem Zusammenhang sehr zufrieden, dass Atalanta im letzten Jahr viele unserer Argumente sichtbar dargestellt hat und dadurch die Relevanzdebatte aus dem Fokus gerückt wurde. Im Gegenteil, es steht sogar im Raume, dass wir noch weitere Aufgaben übertragen bekommen. Ich nenne nur das Stichwort »Geiselbefreiung in See«, wenn denn die Vereinbarkeit mit unserem Grundgesetz geklärt ist.
Es ist noch nicht lange her, dass in der Öffentlichkeit die Frage gestellt wurde, ob eine Marine notwendig ist. Heute gilt es nur noch zu klären, wie eine Marine aussehen soll. Die militärpolitische Bedeutung der weltweiten Einsätze der Marine ist heute unumstritten. Der Wert unserer Einsatzbeteiligung wird über Atalanta hinaus hoch eingeschätzt.
Wir unterstreichen unsere Bündnissolidarität
Dies wird am Beispiel UNIFIL sehr deutlich. Sowohl von libanesischer wie auch israelischer Seite besteht der ausdrückliche Wunsch nach einer weiteren signifikanten Beteiligung Deutschlands. Darüber hinaus darf jedoch auch unsere bilaterale Ausbildungsunterstützung für den Libanon nicht vergessen werden. Es muss unser Ziel bleiben, den Libanon zur souveränen Wahrnehmung seiner hoheitlichen Verpflichtungen zu befähigen. Je früher, desto besser.
Mit unserer Beteiligung an OAE und OEF unterstreichen wir unsere Bündnissolidarität. Umfang und Form der Beteiligung an diesen Einsätzen können sich zwar durchaus ändern, ihre militärpolitische Bedeutung bleibt jedoch nach wie vor hoch.
Lassen sie mich noch ein Wort zu den SNMGs (Standing NATO Maritime Group) verlieren: Wir werden vorerst nur noch eine Einheit in die jeweilig nicht am Horn von Afrika operierende SNMG entsenden. Die Entscheidung der NATO, den Einsatz »Ocean Shield« mangels anderer Kräfte über die SNMG zu alimentieren, wird von deutscher Seite nicht mitgetragen. Es widerspricht unserem Verständnis der SNMGs als maritimen Anteil der NRF (NATO Reaction Force) und als wesentliche Säule für die Aufrechterhaltung der Expertise in den klassischen Warfare-Areas. Diese Fähigkeiten benötigen wir, sie gilt es aufrecht zu erhalten.
Maritimes Jahrhundert mit steigender Bedeutung
Ich sagte es bereits: Die Relevanzdebatte über den Sinn einer Marine stellt sich nicht mehr. Vielmehr ist das 21. Jahrhundert ein maritimes Jahrhundert mit steigender Bedeutung. Globalisierung und technischer Fortschritt sind einerseits Motor unserer Wohlfahrt, andererseits haben sie auch unliebsame Kehrseiten, wenn kriminelle Energien die Oberhand gewinnen. Die maritime Dimension unserer Sicherheit ist und bleibt das Produkt aus gesichertem Zugang zu Ressourcen, freien Seewegen und einer funktionierenden maritimen Infrastruktur. Da jedes Produkt bereits an einem Nullfaktor scheitert, gilt es, jeden dieser Faktoren schützen und gegebenenfalls durchsetzen zu können.
Befehlshaber der Flotte, Staatssekretär Kossendey und der Inspekteur der Marine Bildquelle: Marineforum |
»Nicht mehr das Land, sondern das Meer bestimmt die Koordinaten der zukünftigen Weltordnung« sagt Sts. Kossendey und er fährt fort: »Weltmacht ist mehr als je zuvor Seehandelsmacht – einschließlich der Bereitschaft diese zu verteidigen«.
Neben der aktuellen Situation in den Einsätzen kommt hinzu, dass die Marine ihre Hausaufgaben hinsichtlich einer konsequenten Einsatzausrichtung frühzeitig und gut gemacht hat – auch in struktureller Hinsicht. Mit Anerkennung und Respekt wurde in den Bereichen außerhalb der Marine die Neuausrichtung der Flotte in zwei Einsatzflottillen, das Vorhalten dreier Einsatzstäbe sowie die Umstrukturierung des AZS (Ausbildungszentrum Schiffssicherung) im Marineamtsbereich zu einem EAZS (Einsatz Ausbildungszentrum Schiffssicherung) wahrgenommen.
Das gilt übrigens auch und gerade für die Leitungsebene des Verteidigungsministeriums. Wir sehen uns deshalb in diesen Strukturentscheidungen bestätigt. Die beiden Einsatzflottillen, das Flottenkommando und das Marineamt sind heute die Kompetenzträger maritimer Einsatzformen der Bundeswehr und stellen dies kontinuierlich unter Beweis. Gleichzeitig ist diese Struktur aber sehr schlank und mit nur geringen Redundanzen ausgelegt. Das bedeutet, dass wir für lang anhaltende Operationen nur eine begrenzte Durchhaltefähigkeit besitzen.
Wir laufen Gefahr, aus der Substanz zu leben
Dies führt mich zum zweiten Aspekt meines kurzen Resümees, dem Personal.
Unsere Einheiten unterliegen unverändert einem hohen Operationstempo. Es ist unseren Soldatinnen und Soldaten zu verdanken, dass wir dieses über viele Jahre aufrecht erhalten konnten. Auf die Dauer laufen wir jedoch Gefahr, aus der Substanz zu leben. Die hohe Abwesenheit wird mehr und mehr zum Thema – sowohl für unsere heute dienenden Soldatinnen und Soldaten, wie auch im Wettbewerb um Talente, also für die Marineangehörigen von morgen. Das Stichwort lautet hier Demografie.
Die Einsatzbeteiligung der Marine ist unter Berücksichtigung des Streitkräfteproporzes bisweilen doppelt so hoch wie bei den anderen Teilstreitkräften. Abwesenheit umfasst bei der Marine eben nicht nur mandatierte Einsätze, sondern generell JÜEP (Jahresübungs- und Erhaltungsplan) Vorhaben incl. Werftliegezeiten abseits des Heimatstützpunktes. 240 Abwesenheitstage pro Jahr sind für unser Personal keine Seltenheit. Um Familie und Beruf zu vereinbaren, ist neben einer Reduzierung der absoluten Belastung mehr Planungsverlässlichkeit erforderlich.
Bildquelle: Marineforum |
Das Konzept der Personalergänzung hat diese Probleme mindern, keinesfalls jedoch vollständig lösen können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die nutzbare Freizeit ein bestimmender Faktor ist – Stichwort: »worklife-balance«. Man darf daher nicht so tun, als könnten wir auf diese Erwartungen ohne erheblichen Mehraufwand angemessen reagieren. Wer zu uns kommt und bei uns ist, zeigt eine grundsätzlich hohe Bereitschaft, größere Abstriche von seiner individuellen Lebensqualität zu machen. Diese Bereitschaft ist aber nicht unendlich.
Gegenwärtig wird ein signifikanter Rückgang der Personalgewinnung in Verbindung mit einem Attraktivitätsverlust der Marine beobachtet. Es wird zu überlegen sein, wie u.a. die JÜEP-Steuerung anzupassen ist. Weiterhin entwickeln wir tragfähige Konzepte für attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen, die die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen berücksichtigen.
In diesem Zusammenhang betrachte ich zugleich den Verlauf der öffentlichen Debatte um das Bombardement im Kunduz und den Umgang mit Oberst Klein mit Sorge. Denn vor dem Hintergrund der Anforderungen des Dienstes und der hohen Verantwortung, die Sie als Soldaten tragen, ist es durchaus von Bedeutung, dass Sie nicht nur das vom Bundespräsidenten skizzierte wohlwollende Desinteresse, sondern vor allem Rückhalt und Handlungssicherheit aus Politik, Gesellschaft und Kirche erfahren. Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages birgt die große Gefahr der endgültigen Polarisierung in sich und wird die Attraktivität unseres Berufsbildes kaum mehren.
Abwesenheiten zu minimieren war auch ein wesentlicher Beweggrund für die Einführung der »Stützpunktnahen Einsatzausbildung der Marine (SEAM)«. Nach Fertigstellung des Konzeptes wurden im Jahr 2009 umfangreiche Arbeiten zur Bedarfsermittlung bezüglich Infrastruktur, Personal und Ausbildungsmaterial sowie zu seiner Umsetzung und Ausgestaltung durchgeführt. Diese Arbeiten gilt es fortzusetzen, um einerseits die für SEAM benötigten Ressourcen verfügbar zu machen und andererseits das heute schon Machbare auch zügig in die Praxis umzusetzen. Die Realisierung dieses Konzeptes wird eine der wichtigsten Änderungen der Ausbildungslandschaft der Marine in den kommenden Jahren darstellen – aber: Sie wird nicht zum Nulltarif zu erhalten sein!
Im Zusammenhang mit einer Innovation der Ausbildung wird auch der Ruf nach einer veränderten Offiziersausbildung lauter. Das dringend benötigte Personal muss schneller für die Flotte verfügbar gemacht werden. Ziel ist eine stärkere Konzentration der Ausbildung auf die Qualifikationen, die auf den unmittelbar nachfolgenden Dienstposten benötigt werden. Dazu ist die Erstausbildung nach dem Studium zu straffen. Frei werdende Ausbildungsressourcen sind vermehrt in gezielte, hochwertige Ausbildungen in einer späteren Phase der Laufbahn eines Offiziers zu re-investieren. Eine Umsetzung der neu geordneten Offizierausbildung ist für 2011 geplant. Frühestens für 2012 ist eine neu konzipierte fachliche Folgeausbildung anvisiert, die möglicherweise den bisherigen B‑Lehrgang modifiziert oder ersetzt.
Mit Blick auf die überproportionale Einsatzbeteiligung der Marine lohnt es sich meines Erachtens auch, streitkräftegemeinsam über eine Veränderung – sprich Erweiterung – des Dienstpostenumfangs der Marine nachzudenken. Die vor uns liegenden Veränderungen, die mit der Arbeit der Strukturkommission voraussichtlich auf die Bundeswehr zukommen, eröffnen die Chance, diesen »Review« erneut zu thematisieren.
Es sind aber nicht allein die Besatzungen der Schiffe und Boote, nicht allein die Marineflieger und auch nicht unsere bewährten Spezial- und spezialisierten Kräfte, die eine zunehmende Belastung tragen. Dies gilt auch für die Angehörigen der Ausbildungseinrichtungen, die im Rahmen von Ausbildungsunterstützung immer mehr gefordert werden – sei es im Rahmen von Rüstungsexportunterstützung oder auch im Zusammenhang mit Stabilisierungseinsätzen. Ich denke hier beispielsweise an die zuvor erwähnte Ausbildungsunterstützung für den Libanon.
Den gegenwärtigen Spagat zwischen der Deckung des originären Ausbildungsbedarfs der Marine und extern auferlegter Ausbildungsaufträge werden wir nicht mehr lange durchhalten können. Es kommt daher auch hier darauf an, den als notwendig und sinnvoll erachteten Aufgaben auch Ressourcen zuzuweisen und dabei auch die wirtschaftlichen Nutznießer dieser Leistungen – also die Rüstungsindustrie – angemessen in die Pflicht zu nehmen. Die konsequente Einsatzorientierung der Marine muss sich auch in der Weiterentwicklung und Beschaffung des erforderlichen Materials sowie geeigneter Infrastruktur manifestieren. Damit komme ich zu meinem dritten Aspekt.
Finanzrahmen und Bundeswehrplan als bestimmende Faktoren für eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung
Während der Arbeiten am Entwurf des BwPlanes 2011 wurde schnell deutlich, dass der Bedarf aller Ausgabenbereiche – aufgrund der finanzplanerischen Situation – nicht mehr vollumfänglich gedeckt werden kann.
Um den laufenden Betrieb nicht akut zu gefährden, musste der Ausgabenbereich MatErhalt (Material-Erhaltung) der Streitkräfte insgesamt zulasten der militärischen Beschaffungsvorhaben gestärkt werden. Gleichwohl besteht im Bereich Materialerhaltung in 2010 eine deutliche Lücke zwischen logistischem Bedarf und finanzieller Ausstattung. Für die Marinefliegergeschwader mussten deshalb Flugstundenobergrenzen vorgegeben werden, die deutlich unter den operativen Forderungen liegen.
Um die Schere zwischen verfügbaren Haushaltsmitteln und erforderlichem Leistungsbedarf zu schließen, wird es erforderlich, diverse planmäßige Materialerhaltungsvorhaben von 2010 nach 2011 zu schieben. Für die Weiterentwicklung der Marine bedeuten die Finanzvorgaben die vorläufige planerische Nichtabbildung der Korvetten K 131 und des Projektes »Joint Support Ship« – obwohl der grundsätzliche Bedarf an diesen Einheiten, über die Marine hinaus, als unstrittig gesehen wird.
Absicht des Fü S ist es, diese Vorhaben zumindest im Textteil des BwPlanes 2011 zu dokumentieren. Dies hilft uns, überhaupt an den Projekten weiter zu arbeiten. Eine Realisierung ist damit jedoch zunächst weiter in die Ferne gerückt. Erfreulich hingegen ist, dass andere Vorhaben – entsprechend ihrer aktuellen Projektstände – abgebildet sind und einer Realisierung damit soweit nichts entgegensteht. Lassen Sie mich ein paar positive wie negative Beispiele geben:
Marinehubschrauber:
Insbesondere bei der Beschaffung eines neuen Marinehubschraubers sehe ich eine positive Entwicklung Beharrlichkeit zahlt sich eben doch aus. Es ist gelungen, einen streitkräftegemeinsam abgestimmten Forderungskatalog zu entwickeln. Zudem dürfen bei der Plattformauswahl die von uns festgelegten operativen Mindestforderungen nicht unterschritten werden. Eurocopter und Sikorski wurden hiernach zu einem konkreten Angebot aufgefordert. Ziel ist es, noch in 2010 einen den heutigen und künftigen Anforderungen der Deutschen Marine entsprechenden Hubschrauber auszuwählen und unter Vertrag zu nehmen.F 125:
Nach anfänglichen Schwierigkeiten im Projekt F 125 sind in 2009 sowohl auf Auftragnehmerseite als auch im Bereich des öffentlichen Auftraggebers organisatorische Maßnahmen ergriffen worden, die den weiteren Projektablauf vereinfachen sollen. Wir haben hier wieder zum dialogischen Prinzip zwischen Industrie, dem BWB und der Marine zurückgefunden. Dies sollte generell der »Way ahead« zukünftiger Rüstungsprojekte sein.K 130:
Kommen wir zur K 130. Vor nahezu einem Jahr wurden die Getriebeprobleme der Korvetten bekannt. Bisher wurde jedoch keine tragfähige Lösung zur Behebung der Problematik gefunden. Die Gesamtsituation bei den Korvetten K 130 ist euphemistisch »komplex«. Derzeit suchen wir gemeinsam mit der Hauptabteilung Rüstung nach einem Ausweg. Es gibt daher leider noch keinen genauen Zeitplan, wann die Einheiten wieder ihren Fahrbetrieb aufnehmen und damit auch andere Einheiten entlasten können. Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Verantwortlichen mit Hochdruck nach Lösungen suchen. Gleichwohl ist die Situation besorgniserregend. Ich schließe nicht aus, dass der Rücktritt vom Gesamtvertrag erwogen werden sollte.
Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben. Der finanzielle Spielraum wird nicht größer, sondern kleiner. Reserven für »Unvorhergesehenes« oder »Zusätzliches« sind nicht vorhanden. Dies erfordert letztlich auch Selbstdisziplin von jedem von uns. Auch der Verteilungskampf wird sich verschärfen. Und alle an diesem Kampf Beteiligten haben gute Argumente für die eigene Sache. Daher müssen wir uns in bewährter Tradition der BdL (Beurteilung der Lage) in den Gesamtzusammenhang des Auftrags der Bundeswehr einordnen.
Mit den beiden in der ZVM (Zielvorstellungen Marine) hergeleiteten Prinzipien »Project« und »Protect« sind wir für die durch den Minister angekündigte, noch deutlichere Ausrichtung der Bundeswehr auf Einsätze im nächsten Jahr gut aufgestellt.
Damit komme ich zurück zum ersten Aspekt meiner Rede – die Transformation. Es wird entscheidend sein, den Fähigkeitsgewinn für die Bundeswehr insgesamt durch unsere Projekte überzeugend herauszustellen. Nur so können wir unsere Vorhaben mit gewisser Erfolgsaussicht gegen die harte Konkurrenz positionieren. Dies im Sinne des irischen Dramatikers und Satirikers George Bernhard Shaw (1856–1950), der empfiehlt: »Versuche das zu bekommen was du liebst, sonst bist du gezwungen, das zu lieben, was du hast.«
Umbrüche und neue Aufgaben
Ich komme zum vierten und letzten Aspekt: Meine Erwartungen an die neue Legislaturperiode, die mit ihr verbundenen Umbrüche und die Aufgaben, die sich uns stellen.
Ich will eines vorweg stellen: Leider habe ich keine Kristallkugel. Vieles, was da kommen mag, ist offen. Gesichert ist noch wenig. In der einen oder anderen Frage mögen sich Tendenzen abzeichnen – wie sich Änderungen und Anpassungen konkret und in welcher Zeittaktung vollziehen werden, lässt sich jedoch noch nicht absehen. Aber, um es mit unserem Altbundeskanzler Willy Brandt zu sagen: »Der beste Weg die Zukunft vorauszusagen, ist sie zu gestalten«. Lassen Sie mich daher einige Worte zur Strukturkommission sagen. Es wird keinen Neuanfang der Bundeswehr im Sinne einer völlig neuen Struktur geben.
Wie sehen die Vorgaben aus? Der Umfang von 250.000 Soldaten und 75.000 zivilen Mitarbeitern soll grundsätzlich erhalten bleiben. Die Streitkräfte müssen in ihrem Gefüge optimiert werden, dies mit besonderem Blick auf eine Steigerung der Einsatzfähigkeit. Insbesondere geht es darum, die Dienstgradgruppen zu stärken, die Hauptträger der Einsätze sind, nämlich die Besoldungsstufen A5 bis A15.
Hierzu wird jeder Org-Bereich zunächst eine Defizitanalyse unter Beteiligung des nachgeordneten Bereichs durchführen. Dieser Prozess soll bereits gegen Ende dieses Quartals abgeschlossen sein. Die zusammengetragenen Ergebnisse werden dann in einem iterativen Prozess durch eine interne bzw. externe Kommission bewertet und aus ihnen Lösungsvorschläge entwickelt. Zum Ende des Jahres wird dann der Bundesverteidigungsminister über die Ergebnisse und somit die Neuausrichtung der Bundeswehr entscheiden.
Es zeichnet sich ab, dass insbesondere die Struktur von Führungskommandos und Ämtern in der Bundeswehr einer Überprüfung unterzogen wird. Alle OrgBereiche verfügen über Führungskommandos und Ämter. Hinzu kommen die Führungskommandos der SKB: das Einsatzführungskommando und das Kommando Operative Führung Eingreifkräfte. Es liegt auf der Hand, den Umfang dieser Kommandos zu durchleuchten. Synergieeffekte müssen identifiziert werden und Optimierungsmöglichkeiten sind konsequent zu erarbeiten.
Was für die Führungskommandos gilt, trifft in gleicher Weise auch für die Ämter zu. In diesem Zusammenhang kann ich, ohne in fremden Gewässern zu fischen, feststellen, dass die Marine ihre Hausaufgaben gemacht hat:
Das Flottenkommando (FlottenKdo) führt tatsächlich – im täglichen Grundbetrieb wie auch in den einsatzgleichen Verpflichtungen von NATO Reaction Force (NRF).
Die Flotte spielt eine anerkannte Rolle als Submarine Operating Authority (Sub-OpAuth).
Das FlottenKdo nimmt mit dem SAR-Dienst hoheitliche Aufgaben im Grund-betrieb wahr, es ist national und multinational in das Netzwerk maritimer Sicherheit eingebunden und entwickelt sich zu einem wichtigen Knotenpunkt in den vielfältigen Verknüpfungen der beteiligten Stellen und Behörden und – es ist als EU MCC (European Union Maritime Component Command (EU-Marine-Hauptquartier) in die Führungsstruktur der EU integriert.
Im Marineamt hat man in den vergangenen Jahren alle Optimierungsmöglichkeiten streitkräftegemeinsamer Zusammenfassung bereits ausgeschöpft – z.B. im Bereich der Schulen.
Wir haben damit bereits jetzt einen Optimierungsgrad erreicht, auf den wir durchaus stolz sein können. Dies lässt uns aber nur noch wenig Spielraum für weitere Kürzungen.
Die Umgestaltung der Wehrpflicht zu W6 wird zwangsläufig Veränderungen nach sich ziehen. Glauben sie mir, ich habe keine Freudensprünge gemacht, als ich von der Verkürzung der Wehrpflicht erfuhr. Doch alles Lamentieren hilft nichts. Jetzt gilt es, diese Herausforderung anzunehmen, die Rahmenbedingungen so gut es geht auszugestalten und zu unserem Vorteil zu nutzen. Vorbehaltlich weiterer Prüfungen – der ministerielle Abstimmungsprozess ist noch nicht abgeschlossen – ist die Position der Marine wie folgt:
Die 3‑monatige Allgemeine Grundausbildung soll erhalten bleiben,
Wehrdienstleistende (WDL) sollen vorzugsweise in der Nähe der Flotte eingesetzt werden, Stichwort Attraktivität und schließlich sollen
Parallelstrukturen nur für WDL vermieden werden.
Veränderungen werden aber nicht nur auf die Truppe, sondern sicherlich auch auf das Ministerium selbst zukommen. Die Stimmen, die von einem vollständigen Umzug des BMVg von Bonn nach Berlin sprechen, wollen nicht verstummen. Jeder kann sich die Vor- und Nachteile eines solchen Umzuges selbst ausrechnen.
Über diese Frage der Dislozierung hinaus gibt es Überlegungen hinsichtlich der Struktur des Ministeriums. Bislang beschränken sich diese Überlegungen ebenfalls auf eine erste Lagebilderstellung. Wie weit reichend eine Reorganisation aussehen könnte, lässt sich heute noch nicht prognostizieren. Ich kann allerdings sagen, dass zurzeit keine Tendenzen bestehen, die Inspekteure als ministerielle Instanz abzuschaffen. Wohl gibt es aber Überlegungen, die Führungsstäbe zu verkleinern und sorgfältig zu prüfen, welche Aufgaben wirklich ministerieller Art sind und welche besser im nachgeordneten Bereich angesiedelt sein könnten.
Streitkräftegemeinsames Denken und Handeln schließt das Bewahren der eigenen Identität nicht aus
Und inständig hoffe ich, dass es auch gelingt, generell Verantwortlichkeiten wieder eindeutig zuzuordnen und die vielen »Fluchtburgen« wie Projektgruppen, Prozessgruppen usw. einzudämmen. Auch dies schafft letztendlich eine bessere Berufszufriedenheit.
Über diese Anmerkungen hinaus werde ich mich nicht an weiteren Spekulationen beteiligen. Wir werden unsere Positionen einbringen, wenn es soweit ist. Sie dürfen auch sicher sein, dass wir uns auf die Fragen, die in diesem Kontext gestellt werden könnten, gut vorbereiten.
Konzeptionell werden wir weiter daran arbeiten, unsere Fähigkeiten harmonisch in das Konzert der Teilstreitkräfte einzubinden. Richtschnur bleibt dabei die konsequente Einbindung in die Transformation der Bundeswehr, die strikte Orientierung an den Einsätzen und die kontinuierliche Anpassung an die Einsatzerfordernisse.
Unabhängig von den Ergebnissen der Strukturkommission werden die Einsatzanforderungen aus Regierung und Parlament nicht weniger werden. Die Politik hat die Möglichkeiten maritimer Fähigkeiten als sicherheitspolitisches Instrument entdeckt und setzt diese auch ein. Genau darin begründet sich die Relevanz der Marine als dem maritimen Fähigkeitsträger der Bundeswehr. Angesichts der Belastung der Frauen und Männer der Marine wird es deshalb darum gehen, mit einem sehr spitzen Bleistift zu prüfen, welche Vorhaben wir neben den Einsatzverpflichtungen noch wahrnehmen wollen und können.
Zugleich müssen wir darauf hinwirken, das Wichtige und Notwendige zu bewahren, Bewährtes zu sichern – gegebenenfalls zu verbessern – und: Harmonisierung um der Harmonisierung willen zu vermeiden. Konformität mag in der Gesellschaft und bei einigen Politikern heutzutage Konjunktur haben, für uns ist es von Nachteil! Streitkräftegemeinsames Denken und Handeln schließt das Bewahren der eigenen Identität nach meiner Auffassung nicht aus, sondern macht es sogar notwendig.
Wir werden bei unseren Bemühungen auch Rückschläge erleben. Wir brauchen einen langen Atem, denn für alle berechtigten Forderungen aller OrgBereiche reichen die Mittel nicht aus. Die aktuelle Situation bietet uns jedoch die große Chance, unsere Themen verständlich an den Mann zu bringen. Selten haben unsere Vorleistungen soviel Anerkennung gefunden. Und das stimmt mich als Inspekteur zuversichtlich, auch wenn noch eine gehörige Portion Arbeit vor uns, bzw. Ihnen liegt.
Lassen Sie mich angesichts der vielen offenen Fragen hinsichtlich der Zukunft unserer Marine mit den Worten des französischen Schriftstellers Victor Hugo (1802–1885) schließen: »Die Zukunft hat viele Namen. Für die Schwachen ist sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie das Unbekannte. Für die Tapferen ist sie die Chance.«
Marinesoldaten waren, sind und werden auch zukünftig tapfer sein und dort tatkräftig mit anfassen, wo es nötig ist. Darauf konnte sich die Marineführung stets verlassen. Ich wünsche uns allen eine gute, lohnende Zukunft, viel Erfolg bei den Vorhaben in 2010 und immer die sprichwörtliche Handbreit Wasser unter dem Kiel.