Obwohl das neue Personalstrukturmodell (leider) noch nicht steht, wird der Abbau im Bereich der Marineuniformträger moderat sein. Insgesamt wird es in der Marine künftig deutlich mehr »Längerdiener« geben. Sie müssen aber auch gewonnen bzw. gehalten werden.
Allerdings stehen neben strukturellen Gewinnen auch Verluste: Wir verlieren an Einfluss in der Material- und auch der Personalverantwortung. Die Zuständigkeiten werden neu geschüttelt und werden Auswirkung auf unser Rollen- und Führungsverständnis haben. Damit muss das Ergebnis nicht unbedingt schlechter werden. Wir müssen aber künftig viele Dinge anders machen, und die Zeiten des Überganges werden uns viel abverlangen.
So manches in der neuen »Prozesslandschaft « lässt sich noch nicht abschließend bewerten und sollte fairerweise auch noch nicht abschließend bewertet werden. Eine meiner wichtigen Botschaften an Sie ist also: Geben wir dem Neuansatz eine Chance! Wir wollen mitgestalten und nicht alles gleich wieder schlecht reden. Es gilt, nach vorne zu schauen, auf das, was nun im Rahmen der Neuausrichtung angepackt, gemeinsam angepackt werden muss.
Mit den gebilligten Umfangzahlen, der Grobstruktur und den Stationierungs- und Standortentscheidungen haben wir eine konkrete Ablaufposition mit einem weitgehend klaren Ziel. Auch unser künftiges Fähigkeitsprofil steht. Wir behalten genügend Substanz, mit der sich unsere Marine zukunftsfähig aufstellen kann, ohne marginalisiert zu werden.
Dies ist erfreulich. Und, es ist unser Erfolg! Die gute Zusammenarbeit aller »im blauen Tuch« trägt Früchte, und dafür danke ich Ihnen allen. Überdies haben die deutliche Sichtbarkeit und die Professionalität der Marine im Einsatz die Argumentationen der Marineführung befördert. Eine neue Relevanzdiskussion im Sinne einer Erklärungs- und Rechtfertigungsdebatte ist uns so erspart geblieben.
Ich bin auch weiterhin davon überzeugt, dass das 21. Jahrhundert ein maritimes Jahrhundert sein wird und die nationale Politik mehr als bisher über die Präferenz der maritimen Option nachdenken wird. Um mangelnde Aufgaben für unsere Marine mache ich mir keine Sorgen, eher um die anhaltend hohe Belastung. Diese Sorge behalte ich natürlich nicht bei mir, sondern trage sie, insbesondere in Berlin, vor.
Wie geht es nun weiter?
Einige wichtige Wegmarken bis zum Ziel müssen bundeswehrweit in den nächsten Wochen und Monaten noch festgelegt werden. Prominente Beispiele sind etwa:
- Die endgültige Festlegung der Rolle und der Aufgaben der Inspekteure (Berliner Erlass/Führungsweisung);
- Erhalt der Führungsfähigkeit im Übergang
- Das neue PSM (Anm.d.Red.: Personal Struktur Modell)
Wir haben Ende letzten Jahres eine Steuerorganisation mit verschiedenen Steuerköpfen eingerichtet. So können wir über die Feinstruktur- und Realisierungsplanung die Folgearbeiten angehen. Bei allen offenen Enden und Herausforderungen halte ich die zu bewältigenden Aufgaben auch im engen Zeitrahmen für beherrschbar, wenn wir so diszipliniert und konzentriert arbeiten wie bisher. Spitzenbelastungen werden sich dabei allerdings nicht vermeiden lassen.
Das gilt nicht nur für die Themen, mit denen wir nun »auf die Zielgerade einbiegen«, sondern auch für die gesamte Gestaltung des Übergangs in die neuen Strukturen und Rollen. Gemeinsam können und werden wir es schaffen! Wir alle müssen aber auch von dem übergeordneten Verständnis getragen sein: »Wir bauen gemeinsam unsere Marine!« Dort, wo wir Herr des Verfahrens sind, wollen wir auch zügig die nächsten Schritte auf dem Weg zu unserer neuen Marine angehen: gemeinsam, geschlossen und loyal!
Was ist meine Erwartung an die künftige Rolle der Marine?
Wir, die Marine, sind der alleinige maritime Kompetenzträger der Bundeswehr. Wir wollen die Stelle in Deutschland sein, die der politischen Führung den umfassenden maritimen militärischen Ratschlag geben kann.
Das ist und bleibt unsere Domäne! Die Marineuniformträger in den anderen Bereichen sind und bleiben gleichermaßen maritime Experten, allerdings innerhalb ihres Bereiches und gemäß ihrem Auftrag. Sie können also nicht für die Marine als Ganzes sprechen, sondern in erster Linie für ihren Tätigkeitsbereich und ihre Dienststelle. [Ich möchte also nicht überall im neuen BMVg lauter »kleine Inspekteure« haben, die deshalb angesprochen werden, weil sie »gerade verfügbar sind«.]
Aber trotzdem gilt es, die maritime Identität im streitkräftegemeinsamen Bereich, im streitkräftegemeinsamen Ansatz weiter zu festigen und zu stärken. Wir müssen unsere maritime Kompetenz noch mehr konzentrieren, um nachhaltiger Wirkung erzeugen zu können.
Wie sieht dies aus? Das alte Kräftedreieck, FüM – Flotte –- MarA [… das ja, wie wir alle wissen, gelegentlich auch ein Spannungsdreieck war], mit seiner Schnittstellenstruktur entfällt. Mit dem neu aufzustellenden Marinekommando in Rostock wird nunmehr ein neues Kraft- und Kompetenzzentrum der Marine geschaffen. Dieses neue, integrale Marinekommando wird die Aufgaben, die Kompetenz und die Verantwortung der Deutschen Marine bündeln.
Mit diesem Ansatz bündeln wir dann aber auch Funktionen, die in anderen Organisationsbereichen (noch) auf der Amts- bzw. Divisionsebene angesiedelt sind. Die zweckmäßigen Formen der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches nach oben (BMVg), zur Seite (EinsFüKdo, FüKdoTSK und deren Ämter, den Bundesämtern Bw) und in die Marine hinein müssen sich noch entwickeln. Ich bin aber überzeugt, dass wir mit unserem Ansatz zukunfts- und leistungsfähig aufgestellt sein werden.
Dieses andere, das neue Gesicht der Marine wird schon sehr bald seine Konturen annehmen: Bereits Ende März dieses Jahres werden innerhalb des BMVg die Führungsstäbe der Teilstreitkräfte bzw. der militärischen Organisationsbereiche aufgelöst. Diese Stäbe werden für eine kurze Zeit, die Zeit des Übergangs in das neue BMVg, einen Sonderstatus haben. D.h. für die Marine: Der Führungsstab der Marine wird in einen Stab Inspekteur der Marine umgewandelt und hat dann keinen ministeriellen Status mehr; Der Dienstpostenumfang wird dabei von 103 DP auf 78 DP mit einem KW-Vermerk abschmelzen. Dieser Stab wird bis zu seinem Umzug nach Rostock in das neue Marinekommando am 30. September dieses Jahres noch in Bonn tätig sein. Dann, ab dem 1. Oktober – dies ist mein fester Entschluss! – wird das neue, integrale Marinekommando in seinen neuen Strukturen volle Arbeitsfähigkeit haben.
Mir ist klar, dass dies ein sehr ehrgeiziger Zeitplan ist, denn es gilt hierbei noch viele organisatorische, funktionale, rechtliche und prozessuale Aspekte zu berücksichtigen: So kann sich der Umzug bspw. aus infrastrukturellen Gründen erst vollziehen, wenn aus dem Marineamt die entsprechenden Teile, der Nukleus des künftigen Marineunterstützungskommando (MUKdo), seinen Auszug nach Wilhelmshaven vollzogen hat. Doch hier sind wir auf gutem Wege. Organisatorisch muss bzgl. der DP-Neustruktur eine entsprechende Datenverarbeitungsarchitektur mit SASPF (Anm.d.Red.: Standard-Anwendungs- Software-Produkt-Familie) hinterlegt sein, wenn die Einnahme zum 1. Oktober dieses Jahres vollzogen werden soll. Ebenso muss die Rolle der Inspekteure mit dem Berliner Erlass – ich erwähnte es bereits – neu spezifiziert werden. Dies sind nur einige Beispiele der Feinarbeiten, die uns noch bevorstehen. Aber, ich bin überzeugt, dass uns diese Neugestaltung mit all ihren administrativen Zwängen gut gelingen wird.
Im Ergebnis werden wir innerhalb der Marine, wo immer möglich, Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung zusammenführen. Nicht nur, um Doppelungen zu vermeiden, sondern um den Verantwortungsträgern auch die Macht- und Entscheidungsbefugnis an die Hand zu geben, damit sie ihre Aufgaben eigenständig wahrnehmen und verantworten können. Dies ist von elementarer Bedeutung und für uns alle eine hohe Messlatte.
Im Marinekommando soll nur das koordiniert und entschieden werden, was unbedingt auf diese Ebene gehört. Deswegen muss sich das Führungsverständnis innerhalb unserer Marine auf diese neuen Gegebenheiten ausrichten.
Das bedeutet für Sie alle, meine Damen, meine Herren, und ich wiederhole mich da bewusst, dass ein gemeinsames Verständnis von Führung und Verantwortung in unserer Marine vorhanden sein muss. Verantwortung muss auf allen Ebenen wahrgenommen werden und nicht »nach oben« oder »zur Seite« weitergereicht werden. Das heißt auch, dass der Umbau unserer Marine sich in diesem gemeinsamen Grundverständnis von Verantwortung gleichzeitig und parallel ganzheitlich und Ebenen bezogen vollziehen muss.
Dies gilt sowohl für die großen Linien als auch für das Handeln in Einzelaspekten. Und das im Übrigen nicht nur unmittelbar im Zusammenhang mit Strukturen, sondern auch zukünftig im gelebten Flottenalltag: etwa, um ein Beispiel zu nennen, bei der durchaus fordernden Übernahme von materieller und personeller Verantwortung im Rahmen von Mehrbesatzungsmodellen.
»Mitmacher« und keine »Miesmacher«
Worauf muss es jetzt ankommen, was erwarte ich, was können Sie von mir erwarten? Der Umbau unserer Marine ist ausgesprochen komplex [man kann es gar nicht oft genug betonen!]. Um diese anspruchsvolle Aufgabe zu lösen, bedarf es Mut zur Veränderung, Kreativität, Gestaltungswille und Aufbruchsstimmung. Bei Unwägbarkeiten dürfen nicht immer Vorbehalte und Bedenken vorgeschoben werden. Wir machen es einfach! Wer nach vorne will, muss hinten loslassen können!
Der Umbau der Marine ist ein »Alle-Manns-Manöver«, er betrifft uns alle! Dazu erwarte ich von Ihnen Geschlossenheit und Gemeinsamkeit auf dem Weg, den wir zusammen beschreiten.
Und, meine Damen, meine Herren, Kameradinnen und Kameraden, ich erwarte von Ihnen auch, dass Sie gegenüber den Ihnen anvertrauten Männern und Frauen Transparenz schaffen, dass Sie über die gesteckten Ziele und den Weg dorthin sprechen. Werben Sie bei unseren Marinesoldaten und zivilen Mitarbeitern das Verständnis für das weitere Vorgehen, die einzelnen Schritte und die Veränderungen ein. Wir brauchen »Mitmacher« und keine »Miesmacher«!
Beim Umbau unserer Marine mit neuen Verantwortlichkeiten dürfen wir unsere Führungskultur nicht außer Acht lassen. Denn die strukturellen, prozessualen und kulturellen Veränderungen haben natürlich auch Auswirkungen auf die Menschen [Führer und Geführte gleichermaßen! Und: Jeder Führer ist zugleich auch ein Geführter!].
Der Umbau darf nicht zu einem gut austarierten Design der reinen Funktionalität und des militärischen Administrierens verkommen. In unserer zukünftigen Marine brauchen wir eine Führungskultur, in der die Offiziere und Unteroffiziere sich bereitwillig ihrer Verantwortung stellen und führen wollen. Denn nur wer führen will, hat auch die entscheidende Grundlage, um führen zu können. Zu dieser Führungskultur gehören nicht nur Engagement und Administration.
Dazu gehört auch Hingabe, Identifikation und Ethos. Und, um die vor uns liegenden Aufgaben zu meistern, gehört ergänzend dazu ein verpflichtendes Selbstbewusstsein (im Sinne von) »Ja, wir können das!«[= Can Do Attitude]. Dieses alles muss von einer guten Moral getragen sein, die Innovation, Kreativität und offenen Geist befördert.
Kameradinnen und Kameraden, es ist unser aller Aufgabe, dies mit Leben zu füllen. Für die bevorstehenden Aktivitäten und Aufgaben wünsche ich uns Kraft, Freude und Ideenreichtum, aber auch das notwendige Fortune. Und ich wünsche Ihnen persönlich ein erfreuliches, gesundes und ausgefülltes Jahr 2012. Allen, die in Einsätzen unterwegs sind und sein werden, wünsche ich Erfolg sowie eine glückliche und gesunde Heimkehr.
Ansprache des Inspekteurs der Marine Vizeadmiral Axel Schimpf, anlässlich der 52. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte (HiTaTa) am 11. Januar 2012 in Damp.