Von Himmerod bis zur Wende:
Konzepte für die Zusammenarbeit der Teilstreitkräfte der Bundeswehr
Lassen Sie mich also in die Gründerjahre unserer Marine zurückgehen. In den 1950er Jahren wurden die Wurzeln für unsere heutigen Streitkräfte gelegt. Der Aufstellung der Bundeswehr und dem Wiederaufbau einer Marine gingen eine Reihe von konzeptionellen Überlegungen voran.
Bereits die Himmeroder Denkschrift beschreibt, wie die Marine in Zusammenarbeit mit Anderen von See aus auf das Kriegsgeschehen an Land einwirken sollte, nämlich:
durch die Sicherung eigener Heereskräfte gegen Angriffe von See,
durch Bedrohung des an das Meer angelehnten Flügels des russischen Heeres durch Beschießungen und Landungen, wobei die russische Flankenempfindlichkeit besonders auszunutzen ist, und
durch Kommandounternehmungen und Landungen weit im Rücken der russischen Front, um Kräfte zu binden und Unsicherheit zu erzeugen.
Die eigene Küstenverteidigung sollte hingegen Sache des Heeres sein. Das war ein klares Konzept für das operative Zusammenwirken der Teilstreitkräfte. Die im März 1951 erschienene Bremerhavener Denkschrift des Konteradmiral a.D. Wagner griff diesen Ansatz auf.
Als 1956 der Wiederaufbau der Marine begann, griff man auf diese Ideen zurück. Sie spiegeln sich auch folgerichtig in der Erstausstattung der Marine wieder. Eine große Zahl schneller Minensuchboote und anderer Minenabwehrkräfte sollte den alliierten Landungsverbänden den Weg in die Ostsee öffnen. Artilleriezerstörer und eine eigene amphibische Komponente sollten Landungen im Ostseeraum unterstützen. Der Beitrag der Schnellboote und Jagdbomber schließlich bestand darin, Überwasserangriffe des Gegners abzuwehren.
Admiral Ruge vermerkt in seinen Erinnerungen an diese Anfangsphase 1956: »Alle 2 Monate hielt ich vor etwa 300 wieder eingetretenen Offizieren einen Vortrag ›Triphibisches Denken und Handeln‹, denn gute Zusammenarbeit der Teilstreitkräfte und gewisse Kenntnisse maritimer Grundbegriffe schienen in einem Bündnis um ein Weltmeer herum nicht unangebracht.« Wenn man unter Triphibik den gemeinsamen taktischen Einsatz von Land‑, Luft- und Seestreitkräften unabhängig von ihrer organisatorischen Zugehörigkeit versteht, dann konnte sich dieser Gedanke allerdings damals nicht durchsetzen.
Ich möchte an dieser Stelle einflechten, dass ich im Zuge dieser auf taktische und operative Einsätze bezogenen Betrachtung unter Streitkräftegemeinsamkeit das Zusammenwirken mindestens zweier Teilstreitkräfte verstehe, nicht jedoch die Unterstützung einer TSK durch die zentralen Organisationsbereiche.
In den USA hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg Skepsis gegenüber großen amphibischen Operationen breitgemacht. Bereits 1949 hatte General Omar N. Bradley, der bekannte Heeresführer des europäischen Kriegsschauplatzes, vorhergesagt: »I also predict that large-scale amphibious operations will never occur again.«
Zwar fand nur ein Jahr später, im September 1950, bei Inchon in Korea die wohl größte Kampflandung nach dem Zweiten Weltkrieg statt, aber die skeptische Grundtendenz blieb über lange Jahre erhalten. Insofern stieß die deutsche Vorstellung von einer Landung zur Entlastung der mitteleuropäischen Front beim wichtigsten Alliierten nicht auf Resonanz. Außerdem hatten sich Anfang der 60er Jahre die militärischen Kräfteverhältnisse im Ostseeraum zugunsten der Sowjetunion und ihrer Verbündeten verändert. Jetzt waren es Landungsverbände des Warschauer Pakts, die die westlichen Küsten bedrohten. Das gesamte Konzept der Kriegführung im Ostseeraum musste umgestellt werden.
Um die eigenen Küsten vor Angriffen zu schützen, beschaffte die Deutsche Marine bis in die achtziger Jahre nach und nach Flugkörperschnellboote, leistungsfähige Jagdbomber, neue U‑Boote und durchsetzungsfähige Minenkampfboote. Hinzu kamen neue Flugkörper‑, Torpedo- und Minentypen. Ein modernes Führungssystem rundete dieses Programm ab. Dazu gehörten die Ausrüstung auch kleiner Einheiten mit Link 11 und das verbunkerte Führungssystem des Flottenkommandos. Zugleich wurden die eigenen amphibischen Kräfte reduziert.
1961 entstand das neue NATO-Kommando Ostseezugänge COMBALTAP. Dem unterstanden vier Befehlshaber für die Landstreitkräfte Jütland, die Landstreitkräfte Seeland, die Luftstreitkräfte und die Seestreitkräfte. Dem Seebefehlshaber COMNAVBALTAP waren wiederum die dänischen und deutschen See- und Seeluftstreitkräfte unter den jeweiligen Flottenkommandos unterstellt. Damit war die streitkräftegemeinsame Führung bei COMBALTAP zwei Ebenen oberhalb des Flottenkommandos angesiedelt. An die Stelle einer engen operativen und taktischen Zusammenarbeit war damit eine Aufgabenverteilung zwischen Land‑, Luft- und Seestreitkräften getreten.
Generalmajor Boysen, der Chef des dänischen Heeres, hat das 1985 in einem Interview wie folgt beschrieben: »… the forward defence of the islands must be carried out by components of naval and air forces, with the army forces ready to counter amphibious and airborne attacks, should the forward defence at sea or in the air fail to stop enemy aggression before it reaches the islands.«
Die Verantwortungsbereiche insbesondere der Land- und Seestreitkräfte waren damit räumlich voneinander abgegrenzt. Mit Ausnahme von Transporten durch Landungsboote gab es kaum eine taktische Zusammenarbeit. Mit der Luftwaffe, die über den beiden Gefechtsfeldern zum Einsatz kam, arbeiteten hingegen die anderen Teilstreitkräfte auf der taktischen Ebene durchaus zusammen.
Dieses Konzept der Abstimmung zwischen den Teilstreitkräften bestimmte das Denken in Deutschland von Anfang der sechziger bis Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mehr als dreißig Jahre lang. Tatsächlich deuteten sich aber bereits in den achtziger Jahren und damit deutlich vor dem Ende der Blockkonfrontation verschiedene Veränderungen an. Eine davon war die Renaissance der operativen Führung. In den Vorstellungen der Allianz hatte es diese Ebene, die das militärische Denken in Deutschland in der Vergangenheit sehr stark bestimmt hatte, über lange Jahre nicht gegeben. Man kannte nur strategische und taktische Führungsebenen.
Mit der Wiederbelebung des operativen Gedankens wurde die Zusammenarbeit der Teilstreitkräfte der operativen Ebene zugeordnet. Dabei stand allerdings wiederum die enge Verzahnung der Land- und Luftkriegführung im Vordergrund der Überlegungen, wie der Inspekteur des Heeres in einem Aufsatz 1987 ausführt: »Schon im Zweiten Weltkrieg blieb voneinander getrennten Operationen von Land- und Luftstreitkräften meist der Erfolg versagt. Auf dem Weg zur Schlacht darf es nur einen Herren geben, sonst werden Kräfte und Mittel vergeudet.«
In den USA schlug sich die veränderte Denkweise in den Anfang 1986 gemeinsam veröffentlichten Dokumenten »The Maritime Strategy« und »The Amphibious Warfare Strategy« nieder. Dort wird die gestiegene Bedeutung streitkräftegemeinsamer Zusammenarbeit und gemeinsamer amphibischer Operationen von Navy und Marine Corps gleichermaßen betont. Unter der Überschrift »Carrying the Fight to the Enemy« wurden amphibische Landungen als Beitrag zur Schlacht an der Zentralfront Europas in unmittelbarer Nähe des sowjetischen Mutterlandes diskutiert. Damit erwogen die USA 1986 eine Strategie, von See aus direkt auf den Kriegsschauplatz an Land einzuwirken, wie sie Ruge in den fünfziger Jahren ins Auge gefasst hatte.