Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Der eine oder andere Zeitungsleser mit maritimem Hintergrund wird sich erschrocken haben, als im März verkündet wurde, dass das Bundesministerium der Verteidigung eine Neubewertung aktueller Rüstungsprojekte plane. Denn dort war – neben verschiedenen altbekannten Beschaffungsvorhaben – auch das große Zukunftsprojekt der Marine, die Fregatte 125 aufgeführt. Auch wenn das BMVg zumindest diesen Punkt umgehend dementierte, wird deutlich, dass (wieder einmal) ein neuer Wind weht. Er soll die Bundeswehr in Richtung Zukunft blasen – und er weht in großen Teilen auch aus dem Problemfeld Afghanistan. Nicht anders ist es zu deuten, dass Verteidigungsminister zu Guttenberg kurz nach der Verschärfung der Sicherheitslage am Hindukusch im Frühjahr eine Kommission benannte, die eine Strukturreform der Bundeswehr erarbeiten soll – mit dem Ziel der verbesserten Einsatzfähigkeit der Streitkräfte.
Auch wenn diese Strukturreform hauptsächlich auf das im Einsatz in Afghanistan befindliche Heer zielt, wird auch die Marine betroffen sein. Es bleiben jedoch erhebliche Zweifel, ob die Reform auf der richtigen Ebene ansetzt. Gerade die bekannten Problemstellungen, die die deutschen Seestreitkräfte zu verzeichnen haben, liegen weniger in ihrer Struktur, sondern in ihrer Ausrüstung und ihren vorgegebenen Einsatzrichtlinien – und damit zu einem Großteil in der politischen Verantwortung des obersten Dienstherrn.
Die Deutsche Marine hat ihr Einsatzspektrum in den vergangenen zwei Jahrzehnten gründlich umstellen müssen. Aufgebaut als »Escort Navy« mit Operationsgebiet in Nord- und Ostsee sowie dem europäischen Teil des Atlantiks war sie gerüstet für eine allumfassende Seekriegskampagne gegen einen konventionellen Gegner. Seit Ende des Ost-West-Konfliktes ist ein solches Szenario nicht mehr gegeben, und die Wiederauferstehung vergleichbarer militärischer Herausforderungen ist derzeit höchst unwahrscheinlich. Seit einigen Jahren hat sich deshalb das Einsatzbild der Marine gewandelt, mit dem langfristigen Ziel der Umwandlung in eine »Expeditionary Navy« ist sie im nahezu weltweiten Einsatz. Als international geprägte Bündnismarine ist ihr diese Erweiterung des Einsatzspektrums relativ einfach gelungen – wenngleich eine Anpassung des Materials an diese neue Herausforderung der »Marine im Einsatz« nicht immer in angemessenem Maße hat stattfinden können.
Während mit der Zusage für den Bau eines dritten Einsatzgruppenversorgers und der geplanten Beschaffung der F125 zumindest die »schwimmenden« Großprojekte der Marine gesichert sind, sieht es in anderen Bereichen weniger gut aus. Ein wesentliches Standbein zur Erfüllung der maritimen Aufgaben – vor allem bei den Überwachungseinsätzen am Horn von Afrika – liegt u.a. in der Marinefliegerei. Seine hohe Leistungsfähigkeit stellt das MFG3 GZ dadurch unter Beweis, dass es sich seit Jahren mit einer P‑3C von Djibouti aus im Einsatz bewährt. Und das, obwohl der durchschnittliche technische Klarstand der P‑3 bei nur ca. 25 Prozent liegt. Dass die technischen und fliegenden Crews des MFG 3 es trotzdem schaffen, immer eine einsatzbereite Maschine im Auslandseinsatz in Betrieb zu halten, ist ein Beweis für die hohe Motivation des Personals – aber auch die wird irgendwann nachlassen, wenn die Belastung überhand nimmt und eine zumindest »materielle« Entlastung nicht absehbar ist. Und beim MH90, auf den man seit mehr als 10 Jahren wartet,wird über Alternativen nachgedacht, die aber auch nicht kurzfristig verfügbar sind.
Die »andere« Herausforderung, mit der die Bundeswehr und im Speziellen auch die Marine zu kämpfen hat, sind die Einsatzrichtlinien, die ihr aus der Politik vorgegeben werden. Neben den internationalen Einsätzen, in denen die Marine engagiert ist, und wo eine Anpassung der Rules of Engagement erforderlich ist, besteht weiterhin das wichtige Aufgabenfeld der Landesverteidigung. Hier muss eine grundsätzliche Regelung bezüglich des Einsatzes im direkten Küstenvorfeld geschaffen werden, Stichwort: »Seesicherheitsgesetz «. »Nicht schon wieder«, wird mancher Leser angesichts dieser Thematik denken; doch solange hier keine belastbaren Ergebnisse geschaffen werden, muss auch diese Diskussion immer wieder angefacht werden. Leider ist in den vergangenen Jahren eine Tendenz der deutschen Politik auffällig, Entscheidungen immer erst nach einem prägnanten Vorfall zu fällen, siehe die eingangs erwähnte Bundeswehrstrukturkommission – was oft dazu führt, den aktuellen Entwicklungen hinterherzulaufen, anstatt sie im Vorfeld zu prägen. Doch so lange sich diese Kommission nur mit Strukturen innerhalb der Bundeswehr, aber nicht mit den eigentlichen Problemen der sicherheitspolitischen Strategiesetzung, der Überarbeitung genereller und spezieller Einsatzrichtlinien und der bedarfsgerechten Ausrüstung der Streitkräfte beschäftigt, wird jede Reform der Bundeswehr ihr Ziel verfehlen.
Zum Autor
Dr. Hajo Lippke ist Mitarbeiter am Institut für Sicherheitspolitik der Universität zu Kiel (ISPK). Im Rahmen seiner Promotion beschäftigte er sich intensiv mit der Zukunft der Deutschen Marine