Quelle: Marineforum |
Da keine Erkenntnisse zur Funktionstüchtigkeit des Mini-U-Bootes bestanden und der Benutzer unauffindbar blieb, begab sich das MfS selbst ins Boot. Unter Aufsicht des Leiters der technischen Untersuchungsstelle des MfS, einem Diplom-Physiker in Uniform, untersuchte ein Expertenteam des Instituts für Schiffbautechnik Rostock die Bauweise, die verwendeten Baumaterialien sowie die Seetauglichkeit und Funktionstüchtigkeit des Schwimmkörpers bei Über- und Unterwasserfahrt.
Die Steuerung des Bootes erfolgte über am Heck montierte Tiefen- und Seitenruder. Bedient wurden sie von zwei an der Stb.- und Bb.-Innenwand angebrachten Handrädern. Die manuelle Kraftübertragung von den Handrädern auf die Ruderachsen funktionierte über Seilzüge aus Polyamidseide.
Für den Propellerbetrieb muss das Boot eine Eintauchtiefe von 40 bis 45 cm haben. Diese wird bei 240 kg erreicht mit der Gewichtsaufnahme einer Person von 80 kg, 106 kg Akkus, 54 kg Lötzinnstangen, Blei- und Kupfergewichten. Um bis zur Kanzelunterkante (62 cm) getaucht fahren zu können, muss weiterer Ballast von 210 kg aufgenommen werden. Die Mitnahme von Blei, Kupfer und Lötzinnstangen war nach Ansicht der Experten begrenzt. Die Eintauchtiefe lässt sich nur durch Fluten bzw. Lenzen von Seewasser ändern.
Über kleine Absperrhähne, ähnlich wie in WC-Spülkästen, gelangte in 15 Minuten 20 kg Ballastwasser ins Boot. Diese Menge ließ sich nur unter großem Kraftaufwand mit einer zur Pumpe umgebauten Blumenspritze wieder lenzen. Eine Flutung bis zur Kanzelunterkante mit 160 kg Wasser dauerte demnach zwei Stunden. Durch die konstruktiv bedingte Aufnahme des Wassers – frei umherschwappend im Bootsinneren – traten bereits bei 50 kg Wasser erhebliche Stabilitätsprobleme auf. Eine einmal eingetretene Bug- oder Hecklastigkeit ließ sich im Experiment nicht mehr ausgleichen. Die Trimm- und Rollstabilität blieb nur bei Mitführung von festem Ballast erhalten. Das Untersuchungsteam gelangte zu der Einschätzung, dass das Fahrzeug lediglich in Überwasserfahrt als Schwimmmittel verwendbar ist.
Fazit des MfS: Das in Eigenbau gefertigte Mini-U-Boot eignete sich nur zur Fahrt einer Person im teilgetauchten Zustand. Die unzureichenden Lebenserhaltungssysteme und das zu einfache Flut- und Lenzsystem ließen nach Ansicht der Spezialisten eine Unterwasserfahrt nicht zu. So weit die Theorie.
Verhaftung durch Kommissar Zufall
Am 2. Oktober gelang dem MfS die Festnahme des vor Poel gescheiterten U‑Boot-Fahrers. Dieser versuchte, mit dem Pkw an der Grenzübergangsstelle Schmilka über Ungarn in den Westen zu gelangen. Bei der Pkw-Kontrolle entdeckten übereifrige Grenzer in präparierten Kondensatoren des Autoradios Filmnegative mit Aufnahmen eines U‑Boot ähnlichen Schwimmkörpers. Damit war die Weiterreise zu Ende. Nach fünf Wochen vergeblicher Suche konnte man Milke eine Erfolgsmeldung präsentieren.
Der Dipl.-Ing. für Informationselektronik und Fertigungstechnologie aus Rostock fertigte 1979 in einjähriger Bauzeit in seiner Garage das Unterwasserfahrzeug samt Kanzel, um damit die DDR zu verlassen. Alle benötigten Teile kaufte er sich in DDR-Handelsgeschäften. Als Bauanleitung dienten ihm die Zeitschriften »Militärtechnik«, »Poseidon« und die VM-Broschüre »Torpedomechaniker«. In der Nacht des 13. August 1980 testete er sein Boot an der Badestelle Schnatermann am Breitling, unweit des VM-Stützpunktes der 4. Flottille in Hohe Düne/Warnemünde. Wegen Problemen an der Steuerung und Wassereinbruch mit elektrischem Kurzschluss musste er um 04:00 Uhr seine Tauchversuche abbrechen.
Quelle: Marineforum |
Nach Umbauten wagte er dann am 26. August im Achterwasser (Zaufe) der Insel Poel seine Unterwasserfahrt in die Freiheit. Die Ablandung am Strand vor Stove klappte unbemerkt. Er flutete das Fahrzeug bis zur Kanzel, durchfuhr die Zaufe und erreichte, wie von den Grenzern beobachtet, die offene See. Die Luftzufuhr regelte ein in der Kanzel angebrachtes Atemventil mit angeschlossener Gesichtsmaske. Nach etwa 5 km Fahrt geriet sein Mini-U-Boot offensichtlich bei weiterer Flutung in eine labile Seitenlage und kippte nach Versagen der Steuerung im leichten Wellengang um. Dem U‑Boot-Fahrer gelang es, sich aus dem Kunststoffsarg zu befreien. Ein Teil der Ballastgewichte sank auf den Grund. Er schwamm mit seinem Gefährt zurück zum Ablandepunkt. Die Unterwasserfluchtaktion des Schiffselektronikers war gescheitert.
Nach 7 Monaten erniedrigender Untersuchungshaft im Rostocker Stasigefängnis verurteilte das Kreisgericht Rostock den 37-jährigen Mann wegen »Republikflucht in besonders schwerem Fall« zu viereinhalb Jahren Haft. Lt. dem MfS-Gutachten »war das U‑Boot seetüchtig. Es erreicht eine Geschwindigkeit von 5 km/h«. Nach der Haftentlassung eines Mitgefangenen erfuhr die Öffentlichkeit in einem Artikel der »Berliner Morgenpost« (1. Mai 1982) von dem missglückten Fluchtversuch mit einem U‑Boot in der Ostsee. Im Oktober 1984 wurde der Rostocker »U‑Boot-Pionier« von der Bundesrepublik freigekauft. Zwei Monate später durften auch seine Frau und Tochter ausreisen. Die Familie fand in Lübeck ein neues Zuhause.