Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Mit unglaublichem Erfindergeist, technischem Geschick, Mut und Entschlossenheit bauten DDR-Ingenieure und Tauchsportler im Verborgenen Unterwasserfahrzeuge für ihre Flucht in die Bundesrepublik. Doch keiner durfte in der DDR ungestraft »Kapitän Nemo« sein.
Rostocker Mini-U-Boot
Rostocker Mini-U-Boot Quelle: Marineforum |
Am Morgen des 27. August 1980 entdeckten Ostseeurlauber eines FDGB-Ferienheims im Flachwasser »Große Wieck« nahe der Ortschaft Stove (Kreis Wismar) ein kleines U‑Boot. Sie informierten die Volkspolizei (VP). Von dem Benutzer fehlte jede Spur. Gerüchte und Spekulationen machten die Runde. Gelang dem Westen (NATO) unbemerkt die Ein- bzw. Ausschleusung eines Agenten? Oder versuchte ein DDR-Bürger per Unterwasserfahrzeug die offene See zu erreichen, um in den Westen zu flüchten? Es wäre nicht das erste Mal.
Die 6. GBK (Grenzbrigade Küste), VP und das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) tappten wochenlang im Dunkeln. Dabei hätten die Spürnasen des MfS längst Kenntnis über eine ungewöhnliche Beobachtung der Küstengrenzstreife auf der Insel Poel im Abschnitt Schwarzer Busch-Gollwitz vom Vortag haben müssen. Zwei Marinegrenzer beobachteten, wie sich gegen 21.30 Uhr ein schwarzer, eimerförmiger Schwimmkörper mit etwa 5 bis 10 km/h in einer Distanz von 100 m parallel zum Ufer bewegte. Der undefinierbare Gegenstand nahm an Fahrt zu und »trieb« dann in Richtung Wismarbucht ab. In etwa 1 km Entfernung zur Küste geriet der Schwimmkörper um 22.15 Uhr außer Sicht. Die Grenzer machten Meldung beim GBK-Bataillon in Tarnewitz. Die Suche der Alarmgruppe nach dem schwimmenden Phantom blieb ergebnislos. Der Vorfall wurde nicht weiter ernst genommen. Vielleicht hatten die beiden Grenzer am Tage zu lange in die auf der See glitzernde Sonne gekuckt? Erst als sich das MfS der Sache annahm, kam die Schlamperei ans Tageslicht.
MfS-Fahndung DELPHIN
Das Mini-U-Boot wurde geborgen. Kampfschwimmer fanden auch die etwas entfernt auf dem Grund liegende Kanzel. Das MfS setzte eine landesweite Ermittlung in Gang. MfS-Chef Milke persönlich interessierte sich für den Fall. Wegen der verwendeten Baumaterialien vermutete das MfS, dass ein Sanitärinstallateur des Mini-U-Boot konstruiert hatte. Fahrzeugschleifspuren am Strand »Große Wieck« sowie hinterlassene Gegenstände erhärteten den Verdacht, dass es sich bei dem Fall um eine Ablandung bzw. Flucht handelte. Fieberhaft wurde nach dem Bootswagen gefahndet. Erst 5 Wochen später kam heraus, dass der U‑Boot-Fahrer das Boot per Pkw-Anhänger seines Wartburg von Rostock nach Stove befördert hatte.
Die MfS-Ermittlungen erstreckten sich auf die Besitzer von Wassergrundstücken und Bootsschuppen, in denen der Bau des Fahrzeuges vermutet wurde. Überprüft wurden GST-Lager, Tauchsportgruppen und Installateure mit Wassersportinteresse. Das MfS kontrollierte Bootswerften mit Kunststoff verarbeitender Fertigung, Geschäfte für glasfaserverstärktes Gießharz, Krankenhäuser auf eingelieferte Personen mit Unterkühlung oder Symptomen von Seekrankheit. In einer Eilaktion ermittelte das MfS sämtliche Verkaufseinrichtungen, die den Antriebsmotor Typ »Libelle 3« verkauften. Dabei kam ans Tageslicht, dass sich unter den diversen Käufern der seit 1977 produzierten 932 Motoren auch das MfS in der Normannenstraße und das DDR-Fernsehen befanden.