Nun galt es, nicht in Erfolgseuphorie zu verfallen, sondern auf der Hut zu sein. Wir hatten ein »Flaming Datum« (Anm 17) produziert. Darüber hinaus hatten wir durch die Übungskünstlichkeit beim Absetzen unseres »Attack Report« über Funk fünf Stunden nach dem Gefecht dem Gegner eine Einpeilmöglichkeit geboten – HF/ DF (Anm 18) war inzwischen erheblich leistungsfähiger als im Zweiten Weltkrieg. Mit Sicherheit würde deshalb eine U‑Jagdgruppe – im NATO-Jargon martialisch »Hunter-Killer Group« genannt – unterstützt durch MPA, innerhalb der nächsten Stunden zur Gefahr werden. Die Schonzeit galt es erneut zum Schnorcheln zu nutzen, um die im Gefecht »verbratenen Amperemuckels«, wie die Heizer sagten, zu ersetzen. Dann lief U20 mit nordwestlichem Kurs auf Tiefe einem neuen, weit größeren Abenteuer entgegen.
IOWA feuert Breitseite mit Hauptgeschützen (Foto: US Navy) Click to enlarge |
In dieser Richtung, 60 Seemeilen von U20 entfernt, war für den Zeitpunkt unseres Angriffs auf den Scapa Convoy die amerikanische Trägerkampfgruppe (CVBG) um USS AMERICA mit dem eingeschifften COMSTRIKFLTLANT (Anm 19), Admiral Mustin und die Schlachtschiffgruppe (BBBG) um USS IOWA gemeldet worden. Das erfuhren wir jedoch erst um 20:00 Uhr in einer Form Black, viel zu spät, um mit unserer geringen Vormarschgeschwindigkeit noch mit Beute rechnen zu können, wenn wir dort ankämen.
Aber ich hatte eine andere Hoffnung: Die Manöverparteien Blue und ORANGE besaßen selbstverständlich keine Kenntnis vom jeweiligen Operationsbefehl des Gegners, aber in der »White ExOpOrd« (Anm 20), die für beide Seiten galt, waren u.a. die Sicherheitsbestimmungen abgedruckt. Dem IWO war bei deren Lektüre aufgefallen, dass am Folgetag, dem 12. September, ab 06:00 Uhr ein ASMD-Window (Anm 21) um die Position 59°N – 10°W eingerichtet war, für Übungsschießen mit kleinkalibrigen CIWS-Systemen (Anm 22), aber auch für großkalibrige Artillerie. Wer, wenn nicht die Überwasserschiffe der USCVBG und BBBG sollten sich dort versammeln – Hochwert-Einheiten im Sinne meines Kampfauftrags! Obenan auf der Liste stand ein kolossales Ziel: Schlachtschiff USS IOWA, einer der letzten Dinosaurier der Meere, geschützt von der BBBG, bestehend aus den modernsten Überwasserkampfschiffen der US-Navy. Dieses Schiff aufzuspüren würde ein ebenso kolossales Glück erfordern, und auf einen erfolgreichen Angriff zu hoffen grenzte an Vermessenheit.
Zum Mittelwächter hatte unser Smut (Anm 23) »Flinsen« gebraten, so nannten wir die köstlichen Eierpfannkuchen, und das Boot war derart verräuchert, dass nur Schnorcheln dem Qualm Abhilfe schaffen konnte. So lüfteten wir ordentlich durch und führten der Fahrbatterie reichlich Amperestunden zu. Als ich gegen 01:00 Uhr eben in das Nachtbefehlsbuch den vermessenen Satz geschrieben hatte »Heute ist IOWA-Tag«, da schrie der IIWO am Sehrohr »Alarm«. Schlagartig schloss die Schnorchelklappe, die Diesel stoppten – ich war wie der Blitz in der OPZ – und nach wenigen Sekunden meldete der STO tauchklar. »MPA im ESM« hörte ich und befahl, schnell auf 100 Meter zu gehen. Sollte die Strafe für meine Vermessenheit nun auf dem Fuße folgen?
Mit 40° Vorlastigkeit ging es ab »in den Keller«. Kaum auf ebenem Kiel, da fassten wir achteraus auch schon die 20 KHz-Pings der aktiven Sonobojen auf, die uns die britische Nimrod »aufs Dach« geworfen hatte, ziemlich genau dort, wo sie unseren Schnorchel mit Radar detektiert haben musste. Kurz vor dem Wegtauchen glaubte der IIWO beim letzten Sehrohrblick auch noch einen Suchscheinwerfer des tief fliegenden U‑Jägers gesehen zu haben. Ich befahl Kursänderung und 15 Knoten. Jetzt half nur Geschwindigkeit, um schnell aus dem begrenzten Ortungsradius der Bojen zu gelangen und den Kontakt zu brechen, bevor weitere Aktivbojen folgen würden. So machte sich das vorsorgliche Schnorcheln erneut bezahlt. Nach 15 Minuten hoch auf 40 Meter über die Sprungschicht, Kursänderung und dann Schleichfahrt, um auch passiven Bojen zu entkommen.
Das war gelungen, wie sich später in der Manöverauswertung herausstellen sollte. Doch es war noch nicht überstanden. Kaum schien die MPA abgeschüttelt, da meldete der Sonarmeister 8 KHz-Einstrahlungen aus 360°, CW-Impuls, vermutlich VDS (Anm 24) vom Typ SQS 505, das auf die Hubschrauber tragenden Zerstörer (DDH) der kanadischen IROQUOIS-Klasse hindeutete. Zehn Minuten später ein zweiter Pinger desselben Typs im Osten. Entsprechende Schraubengeräusche bestätigten die Klassifizierung. Da waren sie, die »Hunter-Killer«, von der MPA auf uns angesetzt. Jetzt war an Schlaf für den Kommandanten nicht mehr zu denken, denn alle taktischen Finessen galt es nun aufzubieten, um eine Erstortung zu vermeiden, die unweigerlich zum Einsatz der gefährlichen Dipper – in diesem Fall Sea King-Helikopter – geführt hätte.
Die Erfahrung, dass die Alliierten immer wieder die enorme Beweglichkeit und Unterwasserausdauer unserer kleinen U‑Boote unterschätzten, bestätigte sich auch hier. Ich hatte für zwei Stunden Höchstfahrt in Reserve, konnte mich also – wenn es sein musste – in dieser Zeit über 30 Seemeilen vom »Datum« entfernen. Kein anderes konventionelles Boot des Bündnisses war dazu in der Lage. In dieser Nacht genügten zwei kurze Sprintphasen, mehrere Kursänderungen und Ausnutzung der Sprungschicht – wir brauchten uns nicht völlig zu verausgaben. Dass die Dipper offensichtlich an Deck blieben, war ein gutes Zeichen. Nach knapp anderthalb Stunden zogen sich die beiden DDH zurück, sicher im Glauben, uns abgedrängt und damit vom ASMD-Window ferngehalten zu haben. Darin täuschten sie sich. Um 6:00 Uhr morgens wagten wir ein erneutes Schnorcheln und bewegten uns auf das Zentrum des Schießgebietes zu.
Goliath
Die Schlachtschiffe der IOWA-Klasse, 1940 auf Kiel gelegt, waren mit ihren 58.000 Tonnen Einsatzverdrängung und ihren drei 16 Zoll Drillingstürmen die amerikanische Antwort auf den Stolz der Achsenmächte, BISMARCK, TIRPITZ, YAMATO und MUSASHI. Als das Typschiff 1943 der Flotte zulief, hatte der Seekrieg in beiden Hemisphären längst gezeigt, wie obsolet Schlachtschiffe waren. Dennoch erfüllte IOWA in ihrem langen Leben bedeutende Missionen, angefangen im Herbst des Indienststellungsjahres, als sie Präsident Roosevelt sicher nach Casablanca und wieder zurück brachte. Auf dem pazifischen Kriegsschauplatz war sie dann überwiegend als Geleit für die Träger eingesetzt und leistete mit ihren 40,6 cm Granaten beim Inselspringen »gewichtige« Beiträge. So wird auch mein japanischer Schwiegervater, Kompaniechef in der Schlacht von Peleliu, an jenem 17. September 1944 in seinem Höhlenbunker Deckung gesucht haben, als IOWA mit ihren gewaltigen Projektilen, wovon jedes einzelne mit der verheerenden Wirkung einer schweren Fliegerbombe einschlug, die Insel unter Beschuss nahm.
Als sie 1984, sechzehn Monate vor ihrem Einsatz bei Ocean Safari, nach 26 Jahren im Reservestatus zum dritten Mal in Dienst gestellt wurde, waren an modernen Waffen Tomahawk, Harpoon (Anm 25) und Phalanx CIWS hinzugekommen. Von den einst über 2.000 Mann Besatzung genügten jetzt 1.560, um mit dem 271 Meter langen Giganten zu fahren und zu kämpfen. Acht Kessel brachten 212.000 PS auf die vier Wellen, genug für 33 Knoten Höchstfahrt.
Um 10:15 Uhr enthält die Programmzeit einen MARINTREP (Anm 26) des COMSUBORANGE, wonach IOWA vor zwei Stunden 40 Seemeilen westlich von uns stand und am Nachmittag Artillerieschießen durchführen würde. Wir haben richtig kalkuliert! Der Sonarmeister selbst sitzt jetzt an der GHA und analysiert auf bester Horchtiefe minutiös jede Geräuschpeilung – doch es sind nur Einschraubenfahrzeuge zu hören, Handelsschiffe, die über 10 Seemeilen entfernt in den Atlantik hinausdampfen.
Dann, um 10:40 Uhr, ein schwacher Kontakt, der mit mindestens zwei Wellen läuft. Ich gehe auf Sehrohrtiefe, um ihn zu identifizieren. Der Anblick treibt mir Schauer über den Rücken. Was sich da mit den Aufbauten soeben über die Wellenkämme hebt und auf uns zukommt, ist der »Battle Wagon« (Anm 27). Ich messe ihn ein: Bug rechts, Lage 20, Abstand 10.000 Yards. Ein typischer Effekt, wie er auch bei großen und lauten Handelsschiffen zu beobachten ist, hat uns akustisch getäuscht: Der gewaltige Schiffskörper verdeckt durch die spitze Lage die Propeller, die Schraubengeräusche werden in Vorausrichtung gedämpft. Keine Escorts, keine Sonarausstrahlungen weit und breit – David hat Goliath quasi auf dem Präsentierteller.
»Besatzung auf Gefechtsstation!« Schnell ist die Gegnerfahrt mit 18 Knoten ermittelt. Ich lasse 35 Meter steuern und nähere mich mit 9 Knoten auf Einbruchskurs, um IOWA in stehender Peilung zu halten. Als die Feuerleitlösung verfügbar ist, gehe ich für einen letzten Zieldatenabgleich auf Sehrohrtiefe und beobachte eine Kursänderung um 20° nach Backbord. »Bug rechts, Lage 40, 18 Knoten, Abstand 6.000 Yards, Rohr 9 los!« Steil steigt um 11:06 Uhr unser grüner Stern in den Himmel. IOWA zeigt keine Reaktion und läuft stur geradeaus. Ist das Ignoranz oder Ahnungslosigkeit?
Zehn Minuten später hat sich der Abstand auf 4.000 Yards verringert, der Smut feuert auf Befehl als erneutes Angriffssignal den zweiten grünen Stern, dann gehen wir auf 60 Meter und laufen für 30 Minuten Höchstfahrt, IOWA in stehender Peilung haltend. Die vier mahlenden Propeller sind auch mit unseren17 Knoten akustisch gut zu orten. Das Ziel zackt jetzt um einen Grundkurs von 075°. Das OPZ-Team arbeitet präzise, die Heizer opfern willig ihre »Amperemuckels«, auf unsere »Banane« ist Verlass. Als sich der Abstand auf 1.000 Yards verringert hat, lösen wir aus der Tiefe den dritten grünen Stern. Daraufhin dreht das riesige Schiff über Steuerbord um fast 90° in die vermutete Torpedopeilung auf uns zu und darüber hinaus – wechselt damit relativ zu uns auf Bug links – eine klassische Torpedo-Gegenmaßnahme.
Als sich der CPA bei errechnet 500 Yards anbahnt, entscheide ich mich zu einem gewagten Manöver: Ich gehe auf Gegenkurs zu IOWA schnell auf Sehrohrtiefe, um an der Präsenz von U20 auch optisch keinen Zweifel mehr zu lassen. Vorsicht ist bei allem Adrenalin geboten – das Schiff hat einen Tiefgang von 11 Meter! Als der Periskopkopf freikommt, finde ich die errechneten Werte bestätigt. Erleichtert schieße ich einige Sehrohrfotos. Ich lasse den Schnorchel, in den das zweite Sehrohr integriert ist, ausfahren und gebe es frei für die Besatzung – jeder darf für einige Sekunden diesen spektakulären Anblick in sich aufnehmen.
Dann befehle ich höher zu steuern und den Turm soweit über die Wasserlinie zu ziehen, dass unsere NATO-Nummer »S 199« freikommt. Drüben auf IOWA gibt es einen Menschenauflauf an Backbordseite. Mit sechsfacher Vergrößerung sind die Gesichter unter den Ball Caps deutlich erkennbar. Auch der Kommandant ist darunter – als einziger mit kakifarbener Schirmmütze – und beobachtet von der Brückennock durch das Glas, was von U20 sichtbar ist.
Nachspiel
Als wir kurz darauf – Punkt 12:00 Uhr, nach 80 Minuten auf Gefechtsstation – wegtauchten und mit hoher Fahrt unter der Sprungschicht abliefen, gab es ein verspätetes Backen und Banken. Anders als sonst flogen danach nicht sofort die Klappkojen hoch, sondern die Freiwache saß noch lange beisammen und »beschnackte« das Erlebte. Dass uns bald wieder eine Hunter-Killer-Gruppe nachsetzte, aus der wir den kanadischen DDH ATHABASKAN »versenkten«, dass wir IOWA in der folgenden Nacht noch ein Mal angriffen, dass wir im Anschlussmanöver »ROLLING DEEP« erneut Schrecken verbreiten konnten, ohne selbst »vernichtet« zu werden, all das verblasste hinter dem Erlebnis dieser 80 Minuten.
Am nächsten Tag bestätigte ein »Attack Report Summary« der Manöverleitung, dass IOWA zwei Mal von U20 versenkt worden sei. Damit war es amtlich! Der Puster an seiner Olympia-Schreibmaschine tippte dann anhand meiner Notizen die Dokumentation des Manövers in das vorgeschriebene NATO-Format – fünffach. Unter dem Passus »Conclusions and Recommendations« lautete die Bewertung: »Für ein konventionelles U‑Boot – natürlich durch stürmisches Wetter im Vorteil – war es das ganze Manöver hindurch ein Leichtes, anzugreifen und ohne Blessuren davonzukommen. Die NATO sollte in einer Übung dieses Ausmaßes besser in der Lage sein zu demonstrieren, dass sie der U‑Boot-Bedrohung effizient begegnen kann. Wir waren nur ein halbes Dutzend in den NWAPPS und SWAPPS (Anm 28), was wäre geschehen, wenn …« Etwas naseweis aus heutiger Sicht des abgeklärten Lehnstuhlstrategen, aber so waren wir U‑Boot-Kommandanten nun mal.
Auf dem Heimwärtstransit durch die Nordsee erreichte uns am 20. September im Seegebiet »Teufelsloch« der letzte Spruch des COMSUBORANGE: »U20 has seen much action in the war. The Orange Motherland is proud of you. Well done comrades«. Mit dem Befehlshaber der Flotte, Vizeadmiral »Jimmy« Mann und seiner Delegation flog ich am 26. September zur PXD (Anm 29) Ocean Safari 85 nach Portsmouth und hatte dort Gelegenheit, den Kommandanten der IOWA, Captain Gneckow, persönlich zu sprechen. Mein Geschenk, das gerahmte Sehrohrfoto seines Schiffes, akzeptierte er, doch statt mir zu danken, meinte er trocken: »I think I’ll bury it at the bottom of my chest«(Anm 30).
Dann vergaß er aber nicht, die Besatzung U20 auf die IOWA einzuladen, in knapp vier Wochen in Kiel. Mit einer Abordnung folgten wir am 24. Oktober der Einladung auf den vor dem Tirpitzhafen ankernden »Battle Wagon« und wurden durch den Ersten Offizier wahrgenommen. Jeder von uns erhielt ein IOWA Ball Cap zum Andenken. Da ich mit meiner fünfköpfigen Familie erschienen war, blieb mir bis heute ein »Handvorrat«. Wenn es dort, wo die Seele von Oberleutnant Yamaguchi sich aufhält, noch menschliche Regungen gibt, dann dürfte sie über die »friedliche Rache«, die der Kalte Krieg zuließ, ganz sanft gelächelt haben…
Zum Autor
Kapitän z. See a.D. Raimund Wallner war im Laufe seiner 42jährigen Dienstzeit in zahlreichen, mit U‑Booten befassten Verwendungen, zuletzt als Referatsleiter für Unterwasser-Rüstung im BMVg