Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Auf den schwimmenden Einheiten der Deutschen Marine ist das »Ball Cap« heute nicht mehr wegzudenken und hat als Teil der Arbeitsbekleidung das traditionelle Schiffchen verdrängt. Obwohl die Deutschen mit Baseball nichts anfangen können, so scheint sich diese Mütze auch »an Land« als Freizeit-Kopfbedeckung durchgesetzt zu haben. Niemand dreht sich nach mir um, wenn ich mein Ball Cap mit der Aufschrift »USS IOWA – BB 61« beim Wandern im Ahrgebirge trage. Ich besitze einen regelrechten »Handvorrat« davon.
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Wie es dazu kam? Das ist eine längere Geschichte, die in der Hochzeit des Kalten Krieges 1985 handelt, deren Erzählfaden aber viel weiter zurückreicht. Eine heilige Kuh, schwimmende Ritterburgen, zwei Irokesen, ein Dinosaurier und eine Banane, die darin eine Rolle spielen, sind den Weg alles Endlichen gegangen oder dümpeln antriebslos in brackigem Wasser; Geheimnisse verrate ich nach nunmehr 26 Jahren nicht mehr, wenn ich Einblick in den Gefechtsablauf eines U‑Bootes der Klasse 206 gewähre. Was ich über damals gültige Vorschriften und Verfahren des Bündnisses preisgebe, ist im Internet nachzulesen.
Exercise Ocean Safari ‘85
Die großen maritimen NATO-Manöver des Kalten Krieges, in denen das CONMAROPS (Anm 1) mit ungeheurem Aufwand an Schiffen, U‑Booten, Flugzeugen, Truppen und Material erprobt wurde, führten Namen wie Team Work, Northern Wedding oder Ocean Safari. Letzteres hatte die »Atlantic Lifelines Campaign« zum Schwerpunkt, d.h. den Schutz des Transports der alliierten Verstärkungen und des Nachschubs über den Atlantik. Meist ging es für BLUE in der ozeanischen Transitphase darum, sich der ORANGE Angriffe auf eigene Konvois und Trägerkampfgruppen (CVBG) zu erwehren, bzw. es durch raumgreifende Operationen erst gar nicht dazu kommen zu lassen. Ocean Safari ‘85 war das bis dahin umfangreichste dieser Manöver mit über 160 Schiffen aus 10 Nationen.
In diesem großen Spiel standen die Unterseeboote U20 und U24, zusammen mit je zwei niederländischen und französischen U‑Booten sowie dem britischen SSN (Anm 2) HMS TURBULENT, auf der Seite des »Bösen«. Als ORANGE-Einheiten simulierten die deutschen Boote die konventionelle sowjetische TANGO-Klasse, hatten im Seegebiet nordwestlich der Hebriden jede Gelegenheit zum Angriff auf BLUE zu nutzen und den Gegner durch Versenkung möglichst von Hochwert-Einheiten zu schwächen. Als Kommandant von U20 brannte ich darauf, den Auftrag in die Tat umzusetzen. Leider stand uns als simulierte Bewaffnung nicht der eigene, drahtgelenkte DM 2 A1 »Seeaal« zur Verfügung, sondern nur ein sowjetischer selbstsuchender Torpedo mit Kielwasserdetektor, was erheblich reduzierte Abschussentfernung und damit höheres Entdeckungsrisiko bedeutete.
Mein Boot der Klasse 206 war seit elf Jahren in Dienst und gehörte nicht zu den Einheiten, die für eine Kampfwertsteigerung zu 206A ausgewählt waren. Spötter bezeichneten U20 als »Banane«, weil dem Druckkörper nach dem Schneiden zum Tausch der Dieselmotoren beim Zusammenschweißen eine geringfügige Krümmung im Millimeterbereich geblieben war. Bei gewissen Fahrtstufen entstanden so im Hinterschiff durch Resonanzschwingungen Eigenstörgeräusche, die im sensiblen achterlichen Sektor die Ortung erschweren konnten. Es gab also technisch bessere Plattformen in der U‑Boot-Flottille, aber dafür fuhr ich mit einer Besatzung, die sich nicht zu verstecken brauchte. Mein Vorgänger hatte beim Kommandantenwechsel nicht übertrieben, als er mich zu jedem Einzelnen meiner 21 Männer beglückwünschte.
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U20 hatte am Abend des 9. September getaucht den Pentland Firth zwischen Schottland und den Orkneys passiert, eine nicht nur navigatorisch, sondern auch taktisch fordernde Aufgabe, zumal die Nimrod-MPA (Anm 3) der Royal Airforce eine äußerst lästige Präsenz aufgebaut hatten. Von Steuerbord, aus der Peilung der Reede von Scapa Flow, waren Sonargeräusche zu hören, die wir als SQS 21 und 1BV der deutschen LÜTJENS- bzw. HAMBURG-Klasse zuordneten. Am Folgetag kurz vor Mitternacht erreichten wir die Ostgrenze des Einsatzgebiets, das zwischen 58° und 59°N sowie 9° und 12°W einer Fläche der Größe von Rheinland- Pfalz entsprach – mit Wassertiefen bis zu 1.800 Metern, einer Sehrohrsicht von 5 Seemeilen, bei Südwind Stärke 3, Wellenhöhe 1,5 Meter und Atlantikdünung.
Decca war neben dem archaischen Sichtfunkpeiler die einzige Funknavigationsmöglichkeit für Boote der Klasse 206. GPS war Jahre entfernt. Die Decca-Karten endeten bei ca. 9°W. Es blieb nichts anderes übrig, als sich mit Bordmitteln zu helfen: Der Steuermann klebte Transparentpapier an den Rand der Karte und verlängerte die Hyperbeln freihändig mit kühnem Schwung in unser Einsatzgebiet. Ein leicht negativer Schallgeschwindigkeitsgradient bis 40 Meter versprach keine guten Horchreichweiten, würde aber auch den Schiffen die Aktiv-Ortung erschweren. Die darunter liegende, ausgeprägte Sprungschicht würde uns jedoch zumindest gegen Bugsonar gute Entweichmöglichkeiten bieten.
Die würden wir bald nutzen müssen, denn über Broadcast hatte uns COMSUBORANGE (Anm 4) in einer Feindmeldung (Form Black) informiert, dass der »Scapa Convoy«, bestehend aus dem deutschen Tanker FGS RHÖN als »Main Body« sowie den Geleitschiffen FGS MÖLDERS, HESSEN und SCHLESWIG-HOLSTEIN möglicherweise im Verlauf des 11. September unser Gebiet passieren würde. Ich erwartete ihn aus dem Osten, aus Scapa Flow. Mit Dippern (Anm 5), dem ärgsten Feind des U‑Bootes, war nicht zu rechnen – leichte Beute, wenn der Konvoi uns den Gefallen tun würde, nicht vorzeitig abzudrehen.
Als das Frühstück abgebackt war, machte sich in der Besatzung Jagdfieber breit. Der Seegang hatte im Morgengrauen zugenommen, Schaumkronen ringsum, ideale Bedingungen zum Schnorcheln. Jede Amperestunde mehr in der Batterie würde unsere Beweglichkeit bei dem »Gemetzel« erhöhen, das ich im Konvoi anzurichten beabsichtigte. Die Heizer »jockelten« was das Zeug hielt. Beim »Ohrencheck«, wenn der untergeschnittene Schnorchel wieder die Oberfläche durchbrach und die hereinstürzende Luft die Trommelfelle strapazierte, wurde still gelitten, statt wie sonst auf den STO zu schimpfen. Das OPZ-Team hatte eine maximale Horchreichweite gegen Handelsschiffe von ca. 25.000 Yards ermittelt, die Sonaremissionen der Escorts jedoch würden den Konvoi auf die doppelte Entfernung verraten.
Erstes Gefecht
Die ersten Anzeichen des Verbandes kommen über die im Schnorchelkopf integrierte ESM-Antenne (Anm 6) mit gelegentlichen schwachen Radar-Einstrahlungen aus Osten. Das Schnorcheln brechen wir jedoch erst eine Stunde später ab und gehen auf Tiefe, als die ersten Aktiv-Sonargeräusche wahrnehmbar werden. Sie sind eindeutig den deutschen Zerstörern zuzuordnen, grob ermittelte Anfangsentfernung 40.000 Yards. Die Steuerei richtet das LOP (Anm 7) auf dem Koppeltisch ein, der Puster (Funker) steht mit gespitzten Fettstiften, Bearing-Rate-Rechenschieber und Kurvenlinealen bewaffnet am TBP (Anm 8). 09:40 Uhr ist die Startzeit für das nun beginnende Angriffsverfahren, das ich schulmäßig abzuwickeln gedenke.
Die Sprungschicht liegt stabil bei 40 Metern, knapp darüber steuert das Boot mit 4 Knoten auf bester Horchtiefe dem Geräuschknäuel des Konvois entgegen und ermittelt seine MLA (Anm 9) bald mit 270°. Sie laufen uns direkt vor die Rohre! Nach weiteren 40 Minuten sind die Schraubengeräusche klar zu trennen und die Verbandsaufstellung ist mit unseren passiven Methoden identifiziert: Die »heilige Kuh« MÖLDERS sichert den nördlichen Sektor, eine HAMBURG-Klasse den südlichen, die zweite »schwimmende Ritterburg« (Anm 10) deckt nach achtern, in der Mitte dampft die RHÖN.
Zerstörer im Sehrohr (Foto: Archiv Autor) Click to enlarge |
Um 10:55 Uhr rufe ich die Besatzung auf Gefechtsstation. Das geschieht geräuschlos und professionell. In der OPZ wird die Lage am GHA (Anm 11) und den Plots übergeben, der IWO leitet nun das Attack-Team der »Funktionäre« in der OPZ, IIWO (Anm12) und Torpedomeister an der Feuerleitanlage sind über BÜ mit dem Smadding am Rohrsatz verbunden, der STO als Tiefensteuerleiter ist mit seinen Heizern in der Schiffstechnischen Zentrale auf Posten, der Smut sichert seine Töpfe und Pfannen und steht als Bediener »Rohr 9« (Anm 13) bereit, denn wir werden mit Sicherheit bald grüne Sterne (Anm 14) schießen.
Dann geht alles für U‑Boot-Verhältnisse sehr rasch: Die Sonaremissionen klingen nun ohrenbetäubend in unseren Empfängern. Um 11:10 Uhr plotten wir den nördlichen Escort MÖLDERS mit Abstand 6.000 Yards, den südlichen, wahrscheinlich HESSEN, mit 4.000 Yards, beide patrouillieren mit maximaler Sonargeschwindigkeit von ca. 20 Knoten auf wechselnden Kursen ihre Screen-Sektoren. Ihr Verhalten und die von uns angenommene Reichweite für aktives Bugsonar lässt vermuten, dass sie U20 noch nicht geortet haben. Ich bleibe auf 35 Meter und gehe mit 8 Knoten auf Einbruchskurs, um den Lagewinkel des ersten Zieles, HESSEN, nicht weiter anwachsen zu lassen.
Plötzlich wandert die Peilung schnell nach rechts, um 11:20 Uhr befehle ich Sehrohrtiefe. Ausgerichtet auf die Zielpeilung durchbricht das Periskop die raue See, ich bestätige HESSEN mit Kursänderung auf Bug rechts, Lage 60, auf Südkurs, Abstand 1.500 Yards, schneller Rundblick, MÖLDERS, auch auf Südkurs, noch 4.000 Yards entfernt, Sehrohr ein. Um 11:21 Uhr nach kurzer Überprüfung der Zieldaten »Rohr 9 los«, grüner Stern auf HESSEN im CPA (Anm 15), um 11:29 Uhr Zielwechsel und Schuss auf MÖLDERS, ebenfalls im CPA, Abstand 2.000 Yards.
Nun kommt es darauf an zu entweichen, aber trotzdem das Hauptziel, die RHÖN, nicht aus den Augen zu verlieren. Die Zerstörer haben zwar die grünen Sterne gesehen, würden sich aber nicht darum scheren, obwohl es dort oben realistischerweise jetzt angebracht wäre, die Bergerolle zu üben… Wütend zirpen ihre Sonare, die 1BV der HESSEN in schneller Pulsfolge, aber es kommen keine Angriffssignale (Anm 16) – sie haben uns immer noch nicht! U20 geht schnell auf 50 Meter. Der Tanker ist so nah, dass er auch durch die Sprungschicht gut zu plotten ist – um 11:38 Uhr steht die Feuerleitlösung auf RHÖN, der Smut löst auf meinen Befehl den dritten grünen Stern aus der Tiefe – mit 11.000 Tonnen ein lohnendes Ziel.
Die SCHLESWIG-HOLSTEIN werden wir gnädigst entkommen lassen. Jetzt gilt es Fersengeld zu geben, denn das leistungsfähige SQS 21 der MÖLDERS ist durchaus in der Lage, uns zu orten, wenn wir nicht taktisch geschickt manövrieren. U20 schraubt sich mit Hartruderlage spiralförmig auf 100 Meter und hinterlässt so einen Wirbel – in der Sprache der U‑Jäger »Knuckle« – der sich einige Zeit als Falschziel im Wasser halten wird. Darunter laufen wir mit Höchstfahrt 17 Knoten ab und zeigen MÖLDERS die schmale achterliche Silhouette. Zwischenzeitliches Driften zum Horchen bestätigt, dass die Geräusche des Konvois sich entfernen, nur das Sonar von MÖLDERS bleibt dominant. Als ich nach 30 Minuten auf Sehrohrtiefe komme, läuft der Zerstörer am Rand der Sichtweite geringe Fahrt mit Bug links, quer zur Peilung. Die anderen Einheiten sind nicht mehr zu sehen. Rasch geht U20 wieder unter die Sprungschicht und läuft weiter ab. Ich bin nun ganz sicher, nicht geortet worden zu sein.
Der Spruch des COMSUBORANGE bestätigt später, dass wir den Scapa Convoy eliminiert haben. Im Spiel erhielt er ein »zweites Leben«, um am Folgetag auch HMS TURBULENT weiter draußen im Atlantik vor die Rohre zu laufen.