Wie steht es aktuell um die Realisierung dieses ambitionierten Planes?
Innerhalb der ersten Realisierungsphase bis zum Jahr 2014 ist vorgesehen, ein konventionelles U‑Boot, 12 Schnellboote (500 t), 4 U‑Jagdhubschrauber (SH-60), 3 Fregatten (6.000 t) sowie ein Mehrzweckschiff in Dienst zu stellen.
Mit der Verteidigungsstrategie erhielt auch das eigentlich nach dem Ende der Militärregierung fast eingeschlafene Atom-U-Boot Programm der Marine wieder spürbaren Rückenwind. Bereits Ende 2009 erfolgte die Unterzeichnung eines umfangreichen Rüstungsvertrags mit Frankreich, der den Bau von 4 konventionellen U‑Booten der Klasse SCORPENE, sowie den Bau eines reaktortauglichen Druckkörpers vorsieht. Viele Beobachter gehen davon aus, dass DCNS hier wohl wesentliche Designelemente der französischen RUBIS-Klasse einbringen wird. Die Hülle soll ab 2020 geliefert werden. Die Marine entwickelt bereits in ihrem Technologiezentrum bei São Paulo einen Reaktor.
Zur Konstruktion und späteren Stationierung sieht der Vertrag den Bau einer U‑Boot-Werft nebst Stützpunkt in Itaguaí, ca. 80 km westlich von Rio de Janeiro vor. Der Baubeginn für die Werft steht kurz bevor, der des ersten konventionellen Bootes, das in der zweiten Jahreshälfte 2016 zulaufen soll, fand bereits in Frankreich statt. Die verbleibenden drei Boote sollen dann in Brasilien gebaut werden und bis 2021 in Dienst sein – brasilianische Techniker befinden sich bereits in Frankreich zur Schulung. Die brasilianische Werft, die gemeinsam von DCNS und der brasilianischen Firma Odebrecht kreditfinanziert erstellt wird, soll in 20 Jahren in brasilianischen Besitz übergehen.
U‑Boot Typ 209 (TUPI)-mod TIKUNA Foto: Deutsche Marine |
Bereits in der Realisierung befindet sich die Modernisierung der 5 U‑Boote der Klasse 209, bei denen FüWES, Sensoren und Effektoren modernisiert werden. Bis zum voraussichtlichen Ende der Maßnahme im Jahre 2017 werden ca. 320 Mio. Euro investiert werden.
Patrouillenboot NAPA-500 Foto: CMN |
Fregatte RADEMAKER Foto: US Navy |
Sechs der geplanten 27 Patrouillenboote (550 ts) befinden sich bereits unter Vertrag und teilweise im Bau. Die sechste Einheit soll 2012 in Dienst gestellt werden. Bisher wird mit einem Stückpreis von ca. 35 Mio. Euro gerechnet.
Vier Mehrrollenhubschrauber SH-40 Seahawk, mit dem Anti-Schiff-Flugkörper Penguin (AGM-119B) ausgestattet, werden 2011 ebenso zulaufen, wie 16 Unterstützungshubschrauber EC-725 (Cougar). Die 12 Super Lynx AH-11A werden bis 2015 für ca. 15 Mio. Euro mit Forward Looking Infrared (FLIR) sowie neuen Radargeräten (Seaspray 3000) ausgestattet.
Die Beschaffung neuer Fregatten (6.000 ts), Offshore Patrol Vessels (OPV) und Mehrzweckschiffe ist ausgeschrieben. Für die Fregatten ist eine Bauzeit von fünf Jahren bei Stückkosten von ca. 200 Mio. Euro geplant. Ein Teil der elektronischen Systeme (FüWES, Chaff, ECM, ESM etc.) wird der nationalen Produktion entstammen.
Der Baubeginn für zunächst drei OPV (optional zwei weitere) ist für 2010 geplant, bis 2020 sollen die fünf Einheiten zugelaufen sein. Bei diesem Projekt wird mit einem Stückpreis von ca. 100 Mio. Euro gerechnet.
Auch die vier Korvetten der INHAUMA-Klasse werden bis 2013 für ca. 40 Mio. Euro grundlegend modernisiert. Ebenso einer Modernisierung werden die drei Fregatten der GREENHAULGH-Klasse (Ex-Type 22) bis Ende 2012 unterzogen. Dabei kommt es vor allem zu Modernisierungen im Bereich der Sensoren und Effektoren bei veranschlagten Kosten von 10 Mio. Euro pro Einheit.
Der 4. Marinebezirk in Belém erhält bis 2015 vier neue Flusspatrouillen- boote aus nationaler Produktion. Auch die fünf hydrografischen Schiffe der Marine werden bis 2012 modernisiert – für diese Maßnahme werden 10 Mio. Euro veranschlagt. Die laufende Modernisierung des Flugzeugträgers SAO PAULO soll 2012 mit Gesamtkosten von 64 Mio. Euro vollständig beendet sein. Eine Nachfolge ist ab dem Jahr 2025 geplant. Die insgesamt 12 Trägerflugzeuge AF‑1 Skyhawk werden bis 2014 ebenfalls umfassend modernisiert.
Abrunden soll das Programm der Bau von vier Mehrzweckschiffen, die bis 2028 fertig gestellt sein sollen. Zunächst ist ein Fahrzeug geplant, dessen Baubeginn 2011 projektiert ist. Dieses Schiffe sollen zu einem Stückpreis von ca. 115 Mio. Euro von einer brasilianischen Zivilwerft mit internationaler Zusammenarbeit gebaut werden.
Realistische Pläne?
Geplante U‑Bootbauwerft |
Die Marine Brasiliens hat ein ehrgeiziges und ambitioniertes Modernisierungsprogramm gestartet, durch das bereits Mitte des Jahrzehnts alle größeren Einheiten, vor allem im Bereich der Sensoren und Effektoren, umfassend modernisiert sein werden. Doch auch die brasilianische Marine muss mit Veränderungen des Verteidigungshaushaltes rechnen. So benötigte sie im Jahr 2009 für den Grundbetrieb 900 Mio. Euro, weitere 600 Mio. Euro für das Modernisierungsprogramm. Von den somit benötigten 1,5 Mrd. Euro stellte der Bundeshaushalt jedoch nur 1,2 Mrd. zur Verfügung. Somit fehlten 300 Mio. Euro. Damit sah sich die Marine dennoch in der Lage, neben dem Grundbetrieb das Nuklearprogramm sowie notwendige Maßnahmen im Bereich der Modernisierung zu bedienen.
Das Struktur- und Ausrüstungsprogramm stellt neben der rein militärischen Entwicklung auch eine wesentliche Stütze bei der Weiterentwicklung technologischer Kompetenz in Brasilien dar. Brasilien legt bei den aktuellen und zukünftigen Verträgen mit internationaler Beteiligung absoluten Wert auf gleichberechtigte Partnerschaft und vollen Technologietransfer, um zum einen auch in Krisenzeiten unabhängig vom Ausland zu sein, und zum anderen das gewonnene Know-how für eigene Produktionen zu nutzen. Hiermit wird eine weitere Forderung der Verteidigungsstrategie umgesetzt. Zudem wird damit gerechnet, dass durch die Umsetzung 30.000 direkte sowie 100.000 indirekte Arbeitsplätze im zivilen und militärischen Umfeld geschaffen werden können und hierdurch mit jährlichen Steuermehreinnahmen in Höhe von 3,3 Mrd. Euro gerechnet werden kann. Die Grundlagenforschung an den Universitäten wird stark ausgeweitet.
In Bezug auf die Neubauten ist davon auszugehen, dass vor allem bei den kleineren Einheiten wenig signifikante Abstriche gemacht werden. Eine verstärkte Präsenz im Amazonasgebiet ist zwingend erforderlich. Das maritime Nuklearprogramm ist eingebettet in das nationale Nuklearprogramm, in das schon sehr viel investiert wurde, und das als Statussymbol gilt. Ob am Ende 3 oder 6 Boote in Dienst gestellt werden und wann dies letztendlich der Fall sein wird, hängt ganz wesentlich von der weiteren Priorisierung und der wirtschaftlichen Entwicklung Brasiliens ab.
Ebenso verhält es sich mit einem zweiten Flugzeugträger. Operativ sinnvoll, stellt eine nationale Entwicklung eine nicht zu unterschätzende technologische Herausforderung dar. Eher wahrscheinlich erscheint der Erwerb eines gebrauchten Trägers.
Noch abzuwarten ist, inwiefern die nationale Werftindustrie über die notwendigen personellen und räumlichen Kapazitäten verfügen wird, diese umfassenden Neubauvorhaben innerhalb der terminlichen Vorgaben zu realisieren. Bisher haben viele Großprojekte im Hochtechnologiebereich erheblich mehr Zeit in Anspruch genommen, als ursprünglich geplant war. So dauerte der Bau der Korvette BARROSO beispielsweise 15 Jahre (1994–2009), der Bau des U‑Bootes TIKUNA (von Brasilien modifizierte Klasse 209) 10 Jahre (1996–2006).
Es bleibt spannend, die weitere Entwicklung der Marine Brasiliens, deren Nationalflagge zu »Ordnung und Fortschritt« (Ordem e Progresso) aufruft, zu verfolgen.
Zum Autor
Sascha Albrecht ist Korvettenkapitän und zurzeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin; er absolvierte im Jahr 2009 seinen Admiralstabslehrgang bei der Brasilianischen Marine