Stand: 21.08.2021
Derzeit sind die „Taliban“ wieder im Fokus der Welt. Sie werden gerne als „Islamisten“ und „analphabetische Steinzeitkrieger“ bezeichnet – aber: greift das nicht etwas kurz für eine Gruppierung, die nach zehn Jahren die sowjetischen und nach zwanzig Jahren die US-Amerikanisch geführten NATO-Einheiten aus Afghanistan vertrieben hat?
Zu den theologischen Wurzeln 1):
Die Taliban entstammen letztlich einer besonders konservativen Strömung des sunnitischen Islam. Historisch gesehen geht diese Strömung auf eine Reaktion indischer Muslime auf die Kolonialherrschaft der Briten zurück. In Reaktion auf die blutige Unterdrückung eines Aufstandes wurde 1866 im indischen Deoband eine streng konservative islamische Hochschule gegründet. Diese theologische Hochschule gilt heute – neben der Al-Azhar-Universität von Kairo – als eine der wichtigsten Lehrinstitute des sunnitischen Islam. Der Kern der dort vertretenen Lehre war die weit verbreitete Auffassung, die seit dem Mittelalter eintretende Schwächung der islamischen Staaten gegenüber den europäischen Kolonialmächten sei auf die Abkehr von den islamischen Gesetzen zurück zu führen. Die Befolgung der reinen Lehre – des Koran wie auch der Überlieferungen (hadithe) von Worten und Taten Mohammeds und der islamischen Gesetze (Scharia) würde diese Unterlegenheit beseitigen. Grundlage politischen Handelns, gesellschaftlichen Lebens und wirtschaftlichen Wirkens muss diesem Verständnis nach einzig und allein die islamische Tradition. Der Grundkonflikt ist auch in unseren säkularen Staaten immer noch vorhanden. Sollen politische Entscheidungen auf der ethisch-moralischen Grundlage eines religiösen Bekenntnisses erfolgen – oder sind Staat und (christliche) Religionsgemeinschaften vollständig voneinander zu trennen? Auch in der Türkei beansprucht die islamische Theologie die vorrangige Regelung des Umgangs der Menschen untereinander – während gleichzeitig der Staat als Nachfolger der osmanischen Sultane die Oberhoheit über den Islam uns seine Repräsentanten in Anspruch nimmt.
Der streng dogmatische oder formalistische Ansatz der Deoband-Hochschule verbietet Erscheinungen der Volksfrömmigkeit wie Heiligenverehrung, bildliche Darstellungen, Musik und Tanz. In diesem Ansatz kann dann auch die Begründung für die Zerstörung eines Weltkulturerbes – der überlebensgroßen buddhistischen Statuen in Afghanistan – gesehen werden. Dieser puritanisch restrektive Ansatz strahlte aus – auf Saudi Arabien, wo mit den Wahabiten die strenge Islamauslegung zur nationalen Staatsreligion wurde, auf das spätere Pakistan mit seinen islamischen Schulen und über das – beidseitig der Grenze lebenden Volk der Paschtunen – auch auf das heutige Afghanistan. Genauso wie früher in Saudi-Arabien oder heute noch in Nordafrika werden Gräber von islamischen Heiligen zerstört, wird eine strenge Geschlechtertrennung, Verschleierung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen (und deren teuflischer Verführung) durchgeführt. „Von Salafisten und saudischen Wahhabiten, den langjährigen Unterstützern der Taliban, unterscheiden die Deobandis letztlich nur Nuancen“ schreibt das Domradio und führt aus: “Neben Christen und Hindus gelten auch Schiiten und Ahmadis als Ungläubige, obwohl sie sich selbst als Muslime sehen.“ Damit ist zugleich der Kern der innerislamischen Frontlinie markiert. Wahabitische, streng fundamentalistisch geprägte Saudis gegen den schiitischen Iran – Paschtunen in Afghanistan gegen die schiitischen Hazara, die nicht nur religiös sondern auch ethnisch den Persern und Tadschiken zugehören.
Der „Siegeszug“ der Taliban, der Koranschüler in Afghanistan begann in den 1980er Jahren, als die pakistanische Deobandi-Schule für afghanische Flüchtlinge und Widerstandskämpfer gegen die sowjetische Besetzung des Landes – überwiegend aus den paschtunischen Stammesgebieten wie dem südafghanischen Kandahar – flächendeckende Koranschulen errichtete. Etwa zwei Drittel der pakistanischen Koranschulen werden von Absolventen der Deoband-Hochschule geleitet. Das erklärt die enge Verbindung Pakistans zu den in den pakistanischen Koranschulen ausgebildeten Taliban, die bis in die höchsten Regierungskreise des Landes und in den pakistanischen Geheimdienst reicht. „Die Überzeugung dieser Mujahedin ist die wahhabitische Ideologie, die aus Saudi Arabien kam. Und sie genossen auch große Unterstützung des Saudis im Hintergrund, der Amerikaner mit vielen Waffen damals. Vielen Übungslagern auch und somit haben sie den Krieg gewonnen gegen die Sowjetunion“ 2). In Kombination mit dem paschtunischen Ehren- oder Verhaltenskodex, dem „Paschtunwalli“, entstand die Bewegung, die (zunächst von den USA unterstützt) die Niederlage der sowjetischen Truppen einleitete, später aber auch zum Widerstandskern gegen die westliche Besatzung Afghanistans und deren freiheitlich demokratische Werteordnung werden sollte.
Ab etwa 1994 fanden sich saudische Finanziers, pakistanische Waffenlieferungen und amerikanische Instrukteure zu einer „unheiligen Allianz“ zusammen, um die von der Sowjetunion gestützte „säkulare“ afghanische Regierung zu stürzen, Milizen anderer ethnischer Gruppierungen in Afghanistan zu bekämpfen und letztendlich – im September 1996 – die Macht in Kabul zu übernehmen und einen „islamischen Staat“ auf der Grundlage der islamischen Lehre und der Scharia ins Leben zu rufen. Pakistan, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate erkannten das neu gebildete Emirat an. Bezeichnenderweise – denn die ideologische Grundlage dieses neu gegründeten islamischen Emirates unterscheidet sich nur minimal von den in den genannten Staaten verbreiteten islamischen Traditionen.
Nach der Zerschlagung des Emirates gelang es den Alliierten nicht, ein zukunftsträchtiges Staatswesen aufzubauen. Ethnische Rivalitäten, Korruption und weiterer Terror sowie die aufrecht erhaltene Armut der ländlichen Bevölkerung führte dem islamisch-paschtunischen Widerstand über die Jahrzehnte hin neue Kämpfer zu. Die staatliche Elite erschöpfte sich bis zuletzt darin, möglichst viel von den Milliarden der internationalen Hilfe für die eigenen Kassen abzuzweigen. So wurde der Usbeke Abdul Raschid Dostum 2005 zum Armeestabschef ernannt. Die Taliban waren aber „nie weg“. Sie waren insbesondere in den paschtunischen Stammesgebieten weiterhin als Unterstützer der Imame präsent und respektiert – und im Gegensatz zu den Vertretern der Zentralregierung auch nicht auf die Ausplünderung und Unterdrückung der ländlichen Bevölkerung aus.
Der 2021 erfolgte „plötzliche Vormarsch“ der Taliban in Afghanistan erweist sich bei näherem Blick als nicht so plötzlich, wie es erscheint.
Bereits der Abzug der ersten sowjetischen Einheiten im Sommer 1988 führte dazu, dass sich in kürzester Zeit Kunduz und die Provinzen Paktia und Bamian unter der Herrschaft der Widerstandskämpfer befanden. Nach diesem Muster erfolgte nun auch die Machtübernahme durch die Taliban. Mit der Anfang 2020 getroffenen Vereinbarung zwischen der US-Regierung unter Trump und Vertretern der Taliban zum Rückzug der US-Truppen war der Weg für die Untergrundkämpfer geebnet. Sie sickerten zunehmend in die noch von den Alliierten kontrollierten Regionen ein. Es war kein „klassischer Vormarsch“ der Talibankämpfer, als eine Region nach der anderen von den „Koranschülern“ übernommen wurde.
Mit den US-Truppen verließen dann auch die Instandsetzungstrupps für die afghanische Luftwaffe die Basen, so dass die Luftunterstützung der Bodentruppen nicht mehr erfolgen konnte. Die „im Stich gelassenen“ Regierungseinheiten 3), die bereits vorher unter „abgezweigter Ausrüstung und fehlender Soldzahlung“ zu leiden hatten, lösten sich regelrecht auf. Die vorher bereits in großer Zahl eingesickerten Taliban brauchten nur ihre Fahnen und Waffen aus den Verstecken zu holen und durch ihre Präsenz auf den Straßen die Macht zu übernehmen.
Taliban – Al Quaida und IS 4):
Während die Taliban zunächst mehrheitlich als Miliz der heimischen Paschtunen gelten können fanden sich schon früh Unterstützer aus anderen Staaten ein. Einer dieser Unterstützer war der wahabitisch geprägte Osama Bin Laden. Der Spross einer vermögenden saudischen Familie gründete 1988 in Peshawar (Pakistan) die „islamische Internationale“ gegen die „Feinde Gottes“, zu denen nicht nur die „gottlosen Sowjets“ sondern auch die säkularen, am „Mammon“ orientierten westlichen Staaten um die USA und Israel gehören. Wenn schon die Schiiten als „Ungläubige“ abgestempelt werden, dann gilt das erst recht für Christen und Juden, die nach islamischem Verständnis vom „rechten Weg“, der richtigen Lebensweise abgewichen sind. Die dort entwickelte säkulare Gesellschaftsordnung sei eine „gotteslästerliche Anmaßung“, die den Menschen über seinen Schöpfer stellt. Theologischer „spiritus rector“ war der ägyptische Fundamentaltheologe und Muslimbruder Sayyid Qutb (1906 — 1966 hingerichtet), der gegenüber der säkular orientierten „Pan-arabischen“ Regierung Ägyptens (Nasser) den Islam als gottgewollte Grundlage des gottgefälligen Herrschens nicht nur in arabischen Ländern vertrat. Die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ hat demnach dort ihre Grenzen, wo das „göttliche Gesetz“, also Koran, Überlieferung, Scharia, die Grenzen setzen. Das beinhaltet, dass die „Frau dem Manne untertan“ sei, dass junge Mädchen und Witwen zur Versorgung zwangsweise verheiratet werden, dass auch für „moralisches“ für Fehlverhalten drakonische Strafen – vom Auspeitschen bis zur öffentlichen Hinrichtung – verhängt werden.
Al-Kaida ist nun nicht mehr die Miliz eines Stammes, sondern die international zusammengesetzte Kampftruppe für einen streng dogmatischen Islam. Mit Bombenanschlägen vor der US-Botschaft in Nairobi und Daressalam (August 1998) wurde der Kampf der Al-Kaida-Getreuen eröffnet, und mit dem Anschlag auf das World-Trade-Center in New York (11.09.2001) zugleich ein symbolisches Fanal gesetzt. Schon wenige Tage später wurde Bin Laden als Hauptverantwortlicher der Anschläge identifiziert, und von der Regierung in Afghanistan seine Auslieferung an die USA gefordert. Das aber stand im Gegensatz zum paschtunischen Ehrenkodex, der dem Gastgeber (hier also den Afghanen) den Schutz des Gastes (hier Bin Ladens) abforderte. Die von den Paschtunen geforderten Nachweise für die Urheberschaft der Terroranschläge und den Missbrauch des Gastrechts durch Bin Laden konnten oder wollten die USA wieder nicht führen – denn nach westlichem Verständnis ist vor einem Schuldspruch erst die Durchführung eines (ordentlichen) Gerichtsverfahrens erforderlich, indem der Beschuldigte die faire Möglichkeit zu seiner Verteidigung hat. Ein solches Verfahren war aber wegen der verweigerten Auslieferung des Beschuldigten gerade nicht möglich. In dieser Situation erfolgte die Beschlussfassung der UN, die den USA mit der Resolution 1368 ausdrücklich das Recht zur Selbstverteidigung gegen Terroranschläge zusprach und letztendlich in den Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten (Ausrufung des „Bündnisfalles“ durch die NATO) in Afghanistan mündete. Bereits am 7.10.2001 begann der Angriff auf afghanische Ziele, am 13.11.2001 wurde Kabul kampflos übernommen, am 07.12.2001 die paschtunische Stadt Kandahar eingenommen. Dann allerdings ging über die Jahre hin alles schief, was schief gehen kann. Anstatt „von unten beginnend“ demokratische Strukturen zu verankern, wurden die afghanischen Kriegsherren – deren Herrschaftsbereich sich allenfalls auf ethnisch geprägte Regionen beschränkte, wie der Usbekenführer Raschid Dostum und der Tadschike Mohammed Fahim an die Macht gebracht – Milizenführer, die vorher für ihre grausame Kriegsführung bekannt waren, und nun vor allem darum bemüht waren, die afghanischen Staatstöpfe zu plündern und sich und ihre Anhängerschaft zu bereichern. Während die „neuen Machthaber“ die Anwesenheit der Alliierten nutzten, um Gegner als „Taliban“ zu bezeichnen und deren Vernichtung durch Alliierte zu provozieren, zogen sich die paschtunischen Koranschüler in ihre Heimatgebiete zurück 5). Auch die international zusammen gesetzte Terrortruppe um Bin Laden setzte sich ab – in die Unterschlupfmöglichkeiten nach Pakistan, aber auch in andere Länder, um dort den „Kampf gegen die Ungläubigen“ fort zu führen.
Die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) ist aus dem nationalen, irakischen Ableger von Al-Kaida entstanden. Die nach dem Sturz von Saddam Hussein zurück gedrängten sunnitischen Offiziere fanden sich nach dem Einmarsch der Alliierten in einem Machtvakuum oder unter dem Kuratel der jahrelang unterdrückten schiitischen Bevölkerungsgruppe wieder. Aus dem Kriegsgegner Iran war nun plötzlich ein stiller Verbündeter der neuen Regierung geworden. Die militärische Niederlage des IS in Syrien und im Irak führte nicht zum Verschwinden der Ideologie – im Gegenteil: die fanatischen Anhänger „versteckten“ sich lediglich im Untergrund. Einheimische „Schläferzellen“ waren und sind für Anschläge motivierbar. Und jeder Anschlag führt dazu, dass Gelder anstatt in den Wiederaufbau zu fliesen zunächst einmal für die Sicherheit ausgegeben werden. Ausländische Streitkräfte igeln sich hinter Barrieren ein, kontrollieren martialisch das Umfeld – und erscheinen so als Besatzungstruppen und nicht als Befreier. Der „internationale“ Teil der Kämpfer zog sich zudem in nicht bedrohte Rückzugsgebiete, auch in die Heimatstaaten der Beteiligten zurück.
Wie geht es weiter in Afghanistan?
Jede gewaltsame Machtübernahme löst massive Ängste aus. Daraus folgt dann der Impuls zur Flucht. Jede Person, die Ängste hat – vor wirtschaftlichen Einbußen bis hin zur konkreten Gefahr durch Folter und Tod – wird danach trachten, diesen Bedrohungen zu entfliehen: „Etwas besseres als den Tod findest du allemal“. Und gefährdet sind auch all jene Ortskräfte, die in den vergangenen 20 Jahren für alliierte Organisationen (wie die Bundeswehr oder die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit — GIZ) gearbeitet haben – als Aufklärer oder Dolmetscher, als Köche oder Fahrer. Diesen Menschen und ihren Angehörigen zu helfen ist nicht nur eine Frage des Charakters. Die Ortskräfte heute ihrem Schicksal zu überlassen bedeutet zugleich eine abschreckende schwere Hypothek für künftiges Engagement in schwierigen Gemengelagen.
Die Flucht von Tausenden über den letzten „offenen“ Flughafen in Kabul können wir dank der Medienpräsenz aktuell verfolgen. Dazu kommt die Flucht über die Landesgrenzen. Dabei werden ethnisch und/oder religiös gefährdete Menschen ganz natürlich da Zuflucht suchen, wo die nächsten Angehörigen der jeweiligen Ethnie und/oder Religion beheimatet sind. Schon in der Vergangenheit haben usbekische Milizionäre in Usbekistan, tadschikische „Warlords“ und die schiitischen Hazara im Iran ihre Zuflucht gesucht – und gefunden. Diese Flüchtlinge bildeten dann zugleich die Kerntruppe der iranisch geführten Milizen, die in Syrien gegen das Terrorregime des IS eingesetzt wurden. So gedrillte Milizionäre könnten dann auch den Kern von ethnischen Milizen bilden, die den paschtunisch geprägten Taliban die Herrschaft streitig machen könnten.
Es wird sich nun zeigen, inwieweit es den Taliban gelingt, die ethnischen Spannungen zu überwinden, eine funktionierende Koalitionsregierung zu bilden und zugleich gute Beziehungen zu den Nachbarstaaten aufzubauen. Dazu könnten die interessierten Nachbarstaaten etwa anbieten, die Taliban bei der Wartung des von den Alliierten zurück gelassenen militärischen Materials zu unterstützen und dieses einsatzfähig zu halten. Insbesondere China und der Iran, aber auch Pakistan 6), dürften zudem großes Interesse daran haben, die fliegenden Komponenten des Arsenals – von Drohnen über Hubschrauber bis zu Erdkampfflugzeugen – zumindest zu untersuchen und ggf. auch in die eigenen Einheiten zu überführen. Ein „Pfund“ der Taliban könnte der Tadschike Mohammad Ismail Khan sein, der vormalige Gouverneur und „Löwe von Herat“, der beste Kontakte in den Iran hat und sich seit dem Fall der an den Iran angrenzenden Provinz und einem verspäteten Fluchtversuch Mitte August 2021 „im respektvollen Gewahrsam“ der Taliban befindet.
Die regionalen Mächte werden aber insbesondere beim Scheitern einer friedlichen Machtübernahme auch versuchen, die mehr oder weniger guten Kontakte zu nahe stehenden afghanischen Gruppen weiter auszubauen.
Saudi Arabien und Pakistan verfügen über eine starke ideologisch-religiöse Verbindung zu den paschtunischen Taliban und sind dabei, im Norden und Osten Afghanistans weitere Dschihadistengruppen aufzurüsten – darunter auch Vertreter des „Islamischen Staates“ und eine „Armee Mohammeds“. Pakistan will Afghanistan als sicheres Hinterland erhalten und setzt dabei auf die Ruhigstellung der beidseitig der Grenze lebenden Paschtunen als regionale Verbündete. Dabei kann Pakistan auch auf die Verbindungen zu den Führern der Taliban zählen, die sich dem Vernehmen nach im pakistanischen Quetta (Belutschistan) unter dem Schutz des pakistanischen Geheimdienstes auf die Machtübernahme vorbereitet haben. Aufgrund der engen Verbindung zwischen Pakistan und China wird auch China versuchen, diese Kontakte zu nutzen und die afghanischen Bodenschätze für sich nutzbar zu machen – selbst aber keinen Einfluss auf die innerstaatlichen Konflikte nehmen sondern sich größtmöglich „heraus halten“. Und auch Russland – nicht mehr mit dem Ruch der „kommunistischen Gottlosigkeit“ behaftet – bemüht sich, eine „wohlwollende Neutralität“ gegenüber den Taliban aufrecht zu erhalten.
Indien, das in Tadschikistan einen Militärstützpunkt unterhält, und der Iran scheinen zu den Verlierern des US-Rückzugs zu gehören. Beide werden versuchen, ein Gegengewicht zu Pakistan und China zu bilden – und dabei wohl insbesondere die persisch sprachigen Ethnien in Afghanistan – Tadschiken und schiitische Hazara – unterstützen. Wenn es den Taliban nicht gelingen sollte, alle Ethnien (und nicht nur einzelne korrupte Warlords) zufriedenstellend in die Staatsführung einzubinden (was durchaus einen „Sprung über den eigenen Schatten“ verlangt) werden die ethnischen Rivalitäten erneut aufbrechen. Der ehemalige Vizepräsident Amrullah Saleh, ein Tadschike, hat sich schon mit Ahmed Massud, dem Sohn des „Löwen vom Pandschir-Tal“, dem Tadschiken Ahmed Schah Massud in das tadschikisch besiedelte Tal nordöstlich von Kabul zurück gezogen, um dort die tadschikischen Einheiten der in Auflösung befindlichen afghanischen Armee zu sammeln und den Widerstand gegen die paschtunischen Taliban zu organisieren.
Und im Norden des Landes wartet der Usbeke Dostum im usbekischen Exil mit seiner Privatarmee auf seine Chance, die ethnisch usbekischen Gebiete – möglicherweise mit Unterstützung der Türkei – wieder unter seine Kontrolle zu bringen.
Wenn das geschieht ist absehbar, dass Afghanistan als Staat entlang seiner ethnischen Grenzen zerbricht.
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1) Vgl. dazu im Wesentlichen das Domradio (Köln) Die religiösen Wurzeln der Taliban | DOMRADIO.DE — Katholische Nachrichten https://www.domradio.de/themen/islam-und-kirche/2021–08-19/kein-steinzeit-islam-die-religioesen-wurzeln-der-taliban
2) Zitiert nach Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, dem Leiter des Zentrums für islamische Theologie, Münster, Interview vom 20.08.2021 im „DOMRADIO.DE — Katholische Nachrichten“ https://www.domradio.de/themen/interreligi%C3%B6ser-dialog/2021–08-20/nicht-aus-ueberzeugung-islamischer-theologe-khorchide-erwartet-maessigung-der-taliban
3) Tagesschau vom 20.08.201: Petraeus zu afghanischer Armee: “Sie hatten plötzlich keine Rückendeckung mehr” | tagesschau.de https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-afghanistan-armee-petraeus-101.html
4) Vgl. dazu insbesondere den Tagesschau-Bericht: Radikale Islamisten: Was Taliban, IS und Al-Kaida trennt | tagesschau.de
https://www.tagesschau.de/ausland/asien/taliban-alkaida-is-101.html
5) Vgl. die ausführliche Schilderung im Spiegel Nr. 14 v. 21.08.2021, S. 12 f
6) 22 Kampfflugzeuge und 24 Militärhubschrauber mit 585 Soldaten an Bord sollen alleine Mitte August aus Afghanistan ins benachbarte Usbekistan geflohen sein. Auch Tadschikistan meldete, afghanische Soldaten seien per Flugzeug über die Grenze gekommen berichtet die Tagesschau: Eroberung Afghanistans: Warum es die Taliban so leicht hatten | tagesschau.de.