Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “Marineforum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
»Sha sho shian« oder »Streitkolben des Attentäters« ist die chinesische Bezeichnung für Geheimwaffen, die Schwachpunkte eines ansonsten überlegenen Gegners tödlich treffen können. Michael Pillsbury, Spezialist für chinesisches Wehrwesen und externer Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums, erklärt das Konzept so: »Ein ‘Assassin’s Mace’ ist eine Waffe, die anhand amerikanischer Verwundbarkeiten entworfen wird. Man untersucht, was die Amerikaner bei einem vorgegebenen Konflikt – etwa einem amerikanischen Beistandsversuch für Taiwan – in die Knie zwingen würde; und man macht eine Liste der amerikanischen Stärken und Schwächen; und man konzentriert sich auf die Schwächen in der Absicht, so genannte ‘Assassin’s Mace’ Waffen zu entwickeln, die die Amerikaner in einem Schlüsselmoment bestrafen; und man verheimlicht übrigens diese Waffen. Das ist das Herz einer ‘Assassin’s Mace’ Idee. (Die Waffe) wird bis zum Entscheidungsmoment auf dem Schlachtfeld nicht hervorgeholt.«
Quelle: US Navy / 167 Shenzhen in Guam |
Falls es zu einem US-Chinesischen Konflikt kommt, wird die US-Navy als primäres ständiges Machtprojektionsinstrument der US-Streitkräfte im Westpazifik an vorderster Front stehen. Ein besonderer Schwerpunkt der chinesischen Waffenentwicklung ist daher die Bekämpfung amerikanischer Flugzeugträgergruppen – von der Kampfkraft wie der Symbolik her Kern der amerikanischen Militärpräsenz vor Chinas Küste. Die chinesische Militärzeitschrift Junshi Wenzhai berichtet, dass China bereits mehrere »Attentäter- Streitkolben« besitzt, die – im koordinierten Einsatz – amerikanische Flugzeugträger »in Flammen aufgehen lassen« können. Das Pentagon nimmt die Behauptung ernst.
Der jüngste Chinabericht des Pentagons wurde am 29. Juli vorgelegt. Er stellt u.a. eine zunehmende chinesische Dynamik in Richtung eines Offensivkrieges gegen Taiwan fest und beschreibt die systematische Transformation der Volksbefreiungsmarine in eine Hightech Streitkraft mit Schwerpunkt asymmetrischer Kriegsführung gegen die US Navy. Aufrüstung und Hightech Transformation Die Volksrepublik China (VRC) erhöhte nach eigenen Angaben ihren Wehretat im Vorjahr um 17,5 Prozent auf 20 Milliarden Dollar. Westliche Schätzungen setzen den tatsächlichen Militärhaushalt auf 45 bis 65 Milliarden Dollar. Bemerkenswert sind sowohl die Steigerungsrate (bis zum Jahr 2020 dürfte sich das reale Wehrbudget der VRC nach Pentagon- Schätzungen verdrei- bis vervierfachen) sowie die fortgesetzte Verdoppelung der Ausgaben für moderne russische Waffensysteme.
Die Seestreitkräfte sind in diesen Modernisierungsprozess voll einbezogen. Im letzten Jahrzehnt wurden Mobilität und Kampfkraft der Volksbefreiungsmarine (People’s Liberation Army Navy – PLAN) durch Ausscheiden einer größeren Anzahl älterer Schiffe sowie Einführung weniger, aber moderner Einheiten erhöht. Die PLAN umfasst derzeit 290.000 Angehörige. Der Schiffsbestand umfasst rund 60 Zerstörer und Fregatten, zirka 50 Diesel- Unterseeboote und sechs Atomunterseeboote, sowie rund 40 amphibische Landungsschiffe. Die Zahl der kleineren Einheiten – Raketenboote, Patrouillenfahrzeuge, u.ä. – wird auf 500 bis 750 geschätzt. Die Luftstreitkräfte der PLAN (PLAN Air Force – PLANAF) verfügen über mehr als 500 Flugzeuge und 60 Hubschrauber. Trotz der zahlenmäßigen Verkleinerung fährt die PLAN mit einem robusten Forschungs- und Beschaffungsprogramm fort, das gezielt fortgeschrittene Einheiten und Waffensysteme entwickelt oder einführt. Die PLAN strebt danach, den maritimen Einsatzraum bis an die Außengrenzen des Ostchinesischen wie des Südchinesischen Meeres zu verschieben. Deswegen sind nicht nur die Offensivfähigkeiten, sondern auch Einsatzreichweite und Verweildauer auf See wichtige Aspekte bei der Beschaffung neuer Schiffstypen. Auch Sensoren sowie Defensivsysteme der Schiffe bekommen bei Hochseeeinsätzen, weit von landgestützten Radar- und Flugabwehrstellungen entfernt, einen höheren Stellenwert. Bezüglich der einzelnen Komponenten der Seestreitkräfte stellt das Pentagon fest: Überwasserschiffe: Der Anzahl der Großkampfschiffe bleibt relativ stabil, wobei ältere Schiffe langsam durch neue Zerstörer und Fregatten ersetzt werden. Überwasserschiffe werden mit besseren Flugabwehrwaffen sowie modernen Antischiffmarschflugkörpern ausgestattet.
Zwei von Russland erworbene SOVREMENNYY- Lenkwaffenzerstörer stehen bereits im Flottendienst. Peking erhält 2006 zwei weitere Einheiten dieser Klasse, die merklich die Fähigkeiten der Überwasserflotte erhöhen. Die SOVREMENNYY sind bei weitem die größten und kampfstärksten Einheiten der PLAN. Diese Schiffe sind mit acht SS-N-22 Sunburn Antischiffmarschflugkörpern (Anti-Ship Cruise Missiles – ASCM) sowie 48 SA-N‑7 bzw. SA-N-17 Flugabwehrraketen ausgestattet, die den Vergleich mit entsprechenden amerikanischen Schiff- SAM standhalten. Sie verfügen ferner über AK-630M Gatling- Geschütze (30- mm) sowie AK 130 Geschütze (130-mm) zur Bekämpfung von See- und Luftzielen. Zusätzlich vereinbarte die PLAN den Kauf der überschallschnellen russischen SS-N-26 Yakhont ASCM, die mit 300 Kilometern die zweieinhalbfache Reichweite der SS-N-22 besitzt. Die SOVREMENNYY haben eine wesentlich größere Einsatzreichweite und ‑ausdauer als die in China gebauten Kriegsschiffe und werden von der PLAN als »Flugzeugträgerkiller « bezeichnet. Diese Fremderwerbungen verleihen der PLAN nicht nur eine unmittelbare Kampfwertsteigerung, sondern geben chinesischen Ingenieuren zusätzlich die Möglichkeit, ausländische Technologie für künftige Eigenentwicklungen zu studieren.
Chinas beste Überwasserkampfschiffe einheimischer Produktion sind derzeit zwei Zerstörer der LUHAI-Klasse. Die 6.000 Tonnen verdrängenden, durch Gasturbinen angetriebenen LUHAI sind mit zwei Hubschraubern, 16 C‑802 ASCM sowie einer maritimen Variante des HQ‑7 (Crotale) SAM Systems ausgestattet. Das weiterreichende HQ‑9 SAM System wird nachträglich montiert. Zielerfassung wird durch ein 3‑D Phasenradarsystem unterstützt. Die LUHAI sind die ersten eigenproduzierten chinesischen Kriegsschiffe mit Stealth-Eigenschaften, die denen der neuesten europäischen Kriegsschiffe entsprechen.
Bis 2010 könnte China über sechs LUHAI verfügen. China hat im Jahr 2002 ferner zwei Einheiten einer neuen, 7.000 Tonnen Zerstörerklasse vom Stapel gelassen. Nach US-Erkenntnissen verfügt die neue Klasse über ein weitreichendes Flugabwehrsystem sowie Stealth- Eigenschaften. Diese Zerstörerklasse soll bis 2010 den Flottendienst antreten; eventuell kommt in diesem Zeitraum auch eine neue Lenkwaffenfregattenklasse hinzu.
Bis 2020 soll China schließlich eine weitere leistungsstarke neue Zerstörerklasse einführen, um die gegenwärtig mit 16 Einheiten vertretene LUDA-Klasse abzulösen. Zwischenzeitlich wird die PLAN ihre älteren LUDAS mit neuen Raketen nachrüsten. Neuere LUDAS sind auch, ebenso wie die beiden sieben bis acht Jahre alten LUHU-Zerstörer, die LUHAIZerstörer und die JANWEI Lenkwaffenfregatten, mit dem Thomson-CSF TAVITAC 2000 Feuerleitsystem ausgestattet. (Das System, das hunderte potenzieller Ziele gleichzeitig verfolgen kann, wurde nach Angaben von Jane’s ohne Lizenz durch China nachgebaut). TAVITAC 2000 kann ebenfalls über den Datenlink W6 (entspricht dem Link-11 System westlicher Seestreitkräfte) den Verbund mit Sensoren außerhalb des Schiffes herstellen.
Die langjährige Absicht zum Erwerb eines Flugzeugträgers scheint die PLAN vorerst suspendiert zu haben, wenn auch diesbezügliche Grundlagenforschung weitergeführt wird.
Xia-Klasse / Quelle: FAS |
Unterseeboote
Die Anzahl der Unterseeboote wurde im letzten Jahrzehnt durch Ausscheiden veralteter Einheiten halbiert. Die PLAN will dennoch weiterhin eine große U‑Boot-Flotte unterhalten. China produziert weitere moderne Boote und erwirbt aus Russland sowie aus dem Westen Technologie zur Verbesserung künftiger Einheiten. Bestehende Einheiten dürften im Verlauf ihrer Wartungsphasen entsprechend mit neuer Technologie nachgerüstet werden. Hier wird u.a. die zunehmende Nutzung moderner Digitalsonarsysteme, vermutlich auf der Basis westlicher Technologie, –festgestellt.
Die Chinesen besitzen eine umfangreiche F&E Infrastruktur auf dem Gebiet Akustik; künftige chinesische Sonarentwürfe dürften den kommerziell erhältlichen westlichen Sonarsystemen ähneln und moderne handelsübliche Prozessoren und Anzeigen beinhalten. Geräuschdämpfung für PLAN-Unterseeboote ist ein weiteres Gebiet, auf dem China nach US-Einschätzung bedeutende Fortschritte macht.
Die U‑Boot-Flotte ist zwar noch weitgehend auf Torpedo- und Minenkriegsführung gegen Überwasserschiffe ausgerichtet, doch erwirbt die PLAN durch Eigenentwicklung und durch ausländische Waffenkäufe die Fähigkeit, Marschflugkörper unter Wasser abzufeuern.
Bezüglich Torpedos konzentrieren sich die Modernisierungsbestrebungen auf die Entwicklung von hochmodernen Ziel- und Antriebssystemen, sowie nach fortgeschrittenen Anti-Torpedo Gegenmaßnahmen (beispielsweise mobile Attrappen oder Anti-Torpedo- Torpedos). Dauer und Distanz der möglichen Patrouillenfahrten steigen in den letzten Jahren durch Einführung neuer UBoot- Typen wesentlich.
Die PLAN besitzt vier russische Jagd-UBoote der KILO-Klasse – eines der leisesten dieselelektrischen Unterseeboote der Welt, und auch für die US-Navy schwer zu orten. Zwei Exemplare gehören der Standardexportversion Projekt 877 EKM an, die beiden anderen der fortgeschritteneren Entwicklungsstufe Projekt 636. Der Kauf von acht weiteren Projekt 636 KILO-Unterseebooten bis 2005 ist vereinbart. Dieser Import befähigt die PLAN, Feindschiffe mittels Marschflugkörper über weitaus größere Distanzen als bisher anzugreifen.
Teil des Beschaffungspakets sind 3M- 54E Alpha (SS-N- 27) Antischiffmarschflugkörper (samt entsprechendem Feuerleitsystem), schwere drahtgesteuerte Test-71ME Torpedos, sowie 53- 65 KE Kielwasser folgenden Torpedos. Peking erhält durch diesen Kauf nicht nur leistungsstarke Waffensysteme, sondern auch Zugang zur fortgeschrittenen russischen Technologie, sowohl bezüglich Entwicklung geräuscharmer Boote wie auch bezüglich der Waffenentwicklung. China wird versuchen, diese Technologien in ihren einheimischen Entwicklungsprogrammen einzubauen.
Zwischenzeitlich hat China das erste U‑Boot der SONG-Klasse fertig gestellt. Die SONG-Klasse ist eine einheimische Originalentwicklung unter Einbeziehung westlicher und chinesischer Technologie. Die dieselelektrischen SONG sind die ersten chinesischen U‑Boote mit einem skew-back-Propeller. Die primären Angriffswaffen sind, neben Torpedos, die YJ-82 Antischiffmarschflugkörper, die unter Wasser abgefeuert werden. Bis 2010 werden fünf SONG in Dienst gestellt.
Gleichzeitig wird die Mitte der 80er Jahre in China entwickelte MING-Klasse unter Einbeziehung moderner Technologie – inklusive verbesserten Sonar und Navigationsausstattung – fortgeführt. Bis 2010 soll der Bestand dieser Klasse 23 Einheiten erreichen. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die PLAN auch die verbleibenden 20 veralteten ROMEO-Jagd-U-Boote ausmustern. Die PLAN betreibt weiterhin fünf mit C‑802 Marschflugkörpern sowie Torpedos bewaffnete nuklear betriebene Jagd-U-Boote der HAN-Klasse, die allesamt zwischen 1970 und 1990 vom Stapel liefen. Diese Boote wurden auf der Basis sowjetischer und französischer Technologie in der VRC gebaut.
Das erste autonom entwickelte atomgetriebene Jagd-U-Boot Chinas lief 2002 vom Stapel und soll Ende 2004 oder Anfang 2005 den Dienst aufnehmen. Drei weitere Einheiten dieses Typs 093 sollen bis 2010 in Dienst gestellt werden. Die Produktion dürfte bis nach 2020 fortlaufen. Mit Marschflugkörpern gegen Seeund Landziele sowie mit drahtgesteuerten und Kielwasser folgenden Torpedos bewaffnet, werden sie künftig das Rückgrat der Angriffskapazität gegen Flugzeugträger bilden. Letztendlich wird der Typ 093 die HAN-Klasse ablösen. Technologisch wird die 093-Klasse mit den russischen VICTOR III SSN verglichen.
Die PLAN betreibt derzeit ein einziges bekanntes atomgetriebenes strategisches UBoot der XIA-Klasse. (Das zweite gebaute Boot dieser Klasse soll 1985 bei einem Manöverunfall zerstört worden sein, was allerdings nie durch ausländische Beobachter formell überprüft werden konnte). Das Boot wurde Ende der 90er Jahre überholt und soll bis nach 2010 Dienst tun. Es führt zwölf Flüssigtreibstoff verbrennende JL-1A SLBM (eine verbesserte Version der CSS-N‑3, mit Reichweite 3.000–4.000 Kilometer) mit je einen einzelnen Sprengkopf von 200–300 Kilotonnen Sprengkraft.
Auf Basis der neuen 093 Jagdunterseebootsklasse entsteht derzeit die 094-Klasse als strategisches Unterseeboot. Sie wird ab 2010 Dienst tun und 16 Festtreibstoff verbrennende CSS-N‑4 MIRV SLBM (Reichweite: 8.000 Kilometer) führen. Die PLAN wird dann zum ersten Mal in der Lage sein, vom Nordwestpazifik her größere Teile des nordamerikanischen Kontinents zu bedrohen. China könnte vier bis acht Einheiten der 094-Klasse bauen.