Ansprache des Inspekteurs der Marine anlässlich der 51. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte

Ideen sind keine Lösun­gen, und Lösun­gen sind keine Entschei­dun­gen!

Nach der Betra­ch­tung von Umfän­gen und konzep­tioneller Basis wage ich einen vor­sichti­gen Blick auf mögliche Struk­turen. Es ist entsch­ieden, dass das BMVg kom­plett neu aufgestellt und sig­nifikant verklein­ert wird (deut­lich unter 2.000 ist die Absicht). Die Inspek­teure der Teil­stre­itkräfte und der Mil­itärischen Organ­i­sa­tions­bere­iche wer­den nicht mehr min­is­terielle Abteilungsleit­er sein, son­dern in den nach­ge­ord­neten Bere­ich ver­lagert. Dies wird dazu führen, dass der Führungsstab der Marine, das Flot­tenkom­man­do und das Marineamt als Höhere Kom­man­dobe­hör­den in der bish­eri­gen Form keinen Bestand mehr haben wer­den. Entste­hen wird ein neues, schlankes Marinekom­man­do, in dem die wesentlichen Funk­tio­nen abge­bildet werden. 

Die Marine muss nach wie vor Führen und Son­der­auf­gaben wahrnehmen kön­nen (bspw. U‑Boot-Sicher­heit), auch wenn die Rolle des Ein­satzführungskom­man­dos ins­ge­samt gestärkt wird. Die Inspek­teure (sie wer­den diese Beze­ich­nung behal­ten) bleiben nach wie vor dem Gen­er­alin­spek­teur unmit­tel­bar unter­stellt, der allerd­ings kün­ftig Vorge­set­zter nach §1 VVO (trup­pen­di­en­stlich) der nach­ge­ord­neten TSK und MilOrg­Bere­iche sein wird. Die Inspek­teure gehören auch weit­er­hin dem Mil­itärischen Führungsrat an, der kün­ftig auch den Befehlshaber des Ein­satzführungskom­man­dos aufnehmen wird; und, die Inspek­teure sind auch in Zukun­ft Gesicht und Stimme ihres Ver­ant­wor­tungs­bere­ich­es gegenüber der Poli­tik und der Öffentlichkeit. 

Sea King beim Start (Foto: PIZ Marine)
Sea King beim Start
PIZ Marine

Auf weit­ere Details, in denen bekan­nter­maßen der Teufel steck­en kann, möchte ich heute nicht einge­hen, da die Über­ar­beitung des Berlin­er Erlass­es noch läuft und die Zuständigkeit­en und Ver­ant­wortlichkeit­en des Gen­er­alin­spek­teurs und der Inspek­teure noch nicht abschließend definiert und fest­gelegt sind. 

Auch unseren eige­nen nach­ge­ord­neten Bere­ich wer­den wir straf­fen und umstruk­turi­eren. Aufwendi­ge Zwis­ch­enebe­nen wer­den ent­fall­en; wir pla­nen, die Ein­satzflot­tillen, die sich bewährt haben, in ihrer Sub­stanz zu erhal­ten und neben der Schul- und Aus­bil­dung­sor­gan­i­sa­tion ein Kom­man­do Ein­sat­zl­o­gis­tik Marine (KELM) zu schaf­fen. Ein Marine­fliegerkom­man­do wird die Struk­turen ergänzen. 

Mehr als diese holzschnit­tar­tige Beschrei­bung möchte und kann ich Ihnen heute nicht präsen­tieren. Noch ist vieles, zu vieles im Fluss. Wir müssen wis­sen, wie das neue BMVg aussieht und wie die Ver­ant­wortlichkeit­en verteilt sind, um die eige­nen Andock­stellen und Sub­struk­turen definieren zu kön­nen. Ja, es gibt zahlre­iche Ideen und auch Lösun­gen; aber, Sie wis­sen, wie ich es damit halte: Ideen sind keine Lösun­gen und Lösun­gen sind keine Entschei­dun­gen! Wir sind dicht davor; ich hat­te das Datum genan­nt, zu dem wir dem Min­is­ter vor­tra­gen wer­den. Haben Sie also bitte noch Geduld, bis über­ge­ord­nete Struk­turen und Pla­nungszahlen verbindlich gewor­den sind. Wir wer­den Sie zügig informieren, und, wo geboten und sin­nvoll, auch in die Arbeit­en einbinden. 

Haben Sie in dieser teil­weise hek­tisch-unüber­sichtlichen Zeit aber bitte auch Ver­trauen in Entschei­dun­gen der Marine­führung, wo noch nicht abschließende und allum­fassende Trans­parenz hergestellt wer­den kon­nte. Das Geschehen in Berlin und Bonn fol­gt (ganz) eige­nen Regeln und hat eine beson­dere Dynamik – manch­mal allerd­ings lei­der auch nicht. Ich komme nochmals auf die Fest­stel­lun­gen und Forderun­gen des Gen­er­alin­spek­teurs zurück: »Die Marine wird auch kün­ftig einen bre­it­en Mix an unter­schiedlichen Plat­tfor­men vorhal­ten, wenn auch – nach Aus­pha­sung der Alt­sys­teme – in ver­ringert­er Stückzahl.« 

Der Kampf um junge Köpfe und Tal­ente wird schwierig

»Aus­pha­sung der Alt­sys­teme« zielt ein­deutig auf eine Reduzierung und Mod­ernisierung unseres »Fuhrparks«. Wir sind dabei, unsere gesamten schwim­menden und fliegen­den Ein­heit­en kri­tisch zu analysieren. Aufwendi­ge tech­nisch-logis­tis­che Betreu­ung und kosten­in­ten­siv­en Betrieb kön­nen und wollen wir uns in Zukun­ft nicht mehr leis­ten. Eine aus­ge­wo­gene Außer­di­en­st­stel­lungs­pla­nung, die unsere Verpflich­tun­gen nicht infrage stellt, wird hier Lösun­gen brin­gen und es uns erlauben, Mit­tel in unsere Zukun­ft zu investieren. Einen Anfang haben wir mit den U‑Booten der Klasse 206A gemacht. Es ist kein Geheim­nis, dass auch die Schnell­boote der Klasse 143A, die sich teil­weise in einem kri­tis­chen tech­nis­chen Zus­tand befind­en, auf der Prüfliste ste­hen. Auch wer­den wir die Sys­temvielfalt in eini­gen Bere­ichen, ich denke hier an unsere Minen­ab­wehrein­heit­en, über­prüfen und wo geboten, reduzieren. 

Diese Aus­pha­sung und Reduzierung muss allerd­ings einem schlüs­si­gen Konzept fol­gen; wir brauchen eine ganzheitliche Betra­ch­tung und ein abges­timmtes Vorge­hen und keine »Schnellschüsse«, die wir später möglicher­weise bereuen wür­den. Auf dem Weg zur neuen Ziel­struk­tur gilt es, Exper­tise zu erhal­ten und die per­son­elle und materielle Entwick­lung sorgfältig zu gestal­ten. Dies ist umso wichtiger, als neue und mod­erne Ein­heit­en unter Ver­trag sind, deren Zulauf und Auf­nahme in die Flotte in den kom­menden Jahren solide geplant und vor­bere­it­et wer­den müssen. (Fre­gat­te F125, U‑Boot U 212A, Einsatzgruppenversorger). 

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Lassen Sie mich schließlich dem Per­son­al zuwen­den. Die Men­schen sind es, die die Struk­turen zum Leben erweck­en, die in den Struk­turen sowie aus den Struk­turen her­aus Leis­tung erbrin­gen und Erfolg erst möglich machen und damit den guten Ruf unser­er Marine schaffen. 

Wir sind zufrieden mit den uns zuge­s­tande­nen aus­plan­baren Umfän­gen. Natür­lich wäre ein »Mehr« an Dien­st­posten immer willkom­men, aber dies müsste auch mit Haushaltsmit­teln unter­legt wer­den. Und – wir wollen mit dieser Reform endlich aus dem Zus­tand der chro­nis­chen Unter­fi­nanzierung her­aus. Ein Mehr an Dien­st­posten darf auch nicht, angesichts der drama­tis­chen demografis­chen Entwick­lung, zu hohlen Struk­turen führen. Also konzen­tri­eren wir uns darauf: »Klein, effizient und effek­tiv« – das muss das Ziel sein. 

Das wird schon schw­er genug, denn der Kampf um junge Köpfe und Tal­ente wird, auch vor dem Hin­ter­grund der Demografie, schwierig, trotz in Aus­sicht gestell­ter Attrak­tiv­ität­spro­gramme und möglich­er finanzieller Verbesserun­gen. Auch müssen zunächst, und zwar schnell, nach Weg­fall der Musterung, völ­lig neue Wege der Nach­wuchs­gewin­nung geschaf­fen werden. 

Die Kon­se­quen­zen der Aus­set­zung der Wehrpflicht sind aktuell noch nicht hin­re­ichend abse­hbar. Es zeich­net sich allerd­ings ab, dass wir über das Jahr weit über 1.000 Mannschafts­di­en­st­grade ver­lieren wer­den und erst­mals in diesem Bere­ich, über­gangsweise, ein Vakanzen­man­age­ment ein­führen müssen. Im April wird es hier mehr Klarheit geben; auch darüber, wie sich ins­ge­samt der Per­son­alkör­p­er der Bun­deswehr über die kom­menden Jahre entwick­eln bzw. rück­en­twick­eln wird. Min­is­ter zu Gut­ten­berg hat zugesichert, dass hier nichts über­stürzt wer­den wird und er sich für den per­son­ellen Umbau, der auch sozialverträglich abgewick­elt wer­den soll, dur­chaus einen Zeitraum von 6–8 Jahren vorstellen könne. 

Wir wollen eine Marine, die ihren Sol­dat­en und zivilen Mitar­beit­ern ein hohes Maß an Zufrieden­heit und an Moti­va­tion ermöglicht und dabei gle­ichzeit­ig eine pro­fes­sionelle und leis­tungs­fähige Auf­tragser­fül­lung gewährleis­tet. Wir müssen deshalb ver­hin­dern, dass die Belas­tun­gen und die Abwe­sen­heit­szeit­en für unsere Besatzun­gen weit­er steigen. Es gilt, unsere Marine so zu gestal­ten, dass sie für ihre Ange­höri­gen als Arbeit­splatz attrak­tiv bleibt bzw. wieder wird. 

Lösungsan­sätze sehen wir in Zukun­ft in Mehrbe­satzungsmod­ellen, dem Konzept der Inten­sivnutzung und ein­er ein­sat­zori­en­tierten Aus­bil­dung in den Stützpunk­ten. Damit wollen wir die seefahrts­be­d­ingte Abwe­sen­heit und die Belas­tung begren­zen; vielmehr aber wollen wir grund­sät­zlich die ver­lässliche Plan­barkeit des Dien­stes in der Marine für den Einzel­nen erhöhen. Über dieses Mehr an Attrak­tiv­ität erwarten wir ein Mehr an Per­son­al­bindung und Inter­esse an län­geren Verpflich­tungszeit­en. Wir wer­den für diesen Ansatz allerd­ings – und hier schla­gen wir teil­weise ganz neue Wege ein – die starre Bindung von Per­son­al an Schiffe und Boote aufgeben müssen. 

Natür­lich fra­gen Sie sich jet­zt, wie der Inspek­teur Mehrbe­satzungsmod­elle umset­zten möchte, wo wir schon heute kaum wis­sen, wie wir die per­son­ellen Eng­pässe an Bord überkom­men kön­nen; wir leben von Vakanzen­man­age­ment und Springer­tum – oft­mals eine Zumu­tung für die Betroffenen. 

Auch ist noch offen, wie das Prob­lem des Per­son­alfehls im Bere­ich der Porte­pee­un­terof­fiziere im Ver­wen­dungs­bere­ich 2 gelöst wer­den kann – hier wer­den uns im laufend­en Jahr bis zu 12 Prozent fehlen (im Bere­ich der Flotte 20 Prozent). 

Sie wer­den sich fra­gen, wie die »Inten­sivnutzung« ver­wirk­licht wer­den soll, wenn wir schon heute kaum wis­sen, wie wir bei der schwieri­gen Lage in der Mate­ri­aler­hal­tung die »Nor­mal­nutzung« sich­er­stellen wollen. 

Sie wer­den sich fra­gen, woher die Attrak­tiv­ität kom­men soll, bei reduzierten Möglichkeit­en der Über­nahme zum Beruf­s­sol­dat­en und bei Stan­dort- und Karriere-Verunsicherung. 

Ich gebe zu, wir haben viele Ideen, zu denen die Lösun­gen erst noch entste­hen müssen. Aber, wir wollen und müssen auch langfristig denken. Und zu der Wahrheit, die Sie von Ihrem Inspek­teur erwarten, gehört auch das Eingeständ­nis mein­er­seits, dass es (noch) nicht für alle Fra­gen eine Antwort gibt. 

Mir ist bewusst, dass ich hier und heute kein voll­ständi­ges, kein umfassendes Bild habe zeich­nen kön­nen. Zu kom­plex ist die Lage gegen­wär­tig, zu viele Dinge sind noch offen oder im Fluss, die Zahl der losen Enden ist noch gewaltig. Ich hoffe, es ist mir trotz­dem gelun­gen, die Sit­u­a­tion, der wir uns zu stellen haben, ehrlich und real­is­tisch zu beschreiben. Die Botschaft ist die, dass wir viele gute Gründe haben, pos­i­tiv nach vorne zu schauen. Es wird kein ein­fach­er Weg, aber wir haben Ziele. Auf dem Weg dor­thin gilt es, zusam­men­zuste­hen, füreinan­der und für die Sache da zu sein; vor allem aber, mit ein­er Stimme zu sprechen. Ziele wer­den dif­fus, ver­lieren ihre Leuchtkraft und gehen ver­loren, wenn wir sie mit leicht­fer­ti­gen Bemerkun­gen und Kom­mentaren infrage stellen. Manch­mal ist Schweigen der bessere Weg, wenn die Infor­ma­tio­nen für eine gute Antwort nicht ausreichen. 

»Miteinan­der, Füreinan­der, für die Sache!«

Unser Vertei­di­gungsmin­is­ter hat es mehrfach erwäh­nt: »Dies ist der tief greifend­ste Ein­schnitt in der Geschichte der Bun­deswehr seit ihrer Begründung […].« 

Für die anste­hen­den Verän­derun­gen und den Umbau der Deutschen Marine sehe ich mich per­sön­lich an vorder­ster Stelle in der Ver­ant­wor­tung und in der Pflicht. Aber, die Her­aus­forderun­gen, denen sich unsere Marine stellen muss, kön­nen nur mit einem »Alle- Manns-Manöver« bewältigt wer­den. Es gilt auch in Zukun­ft – mehr denn je: »Miteinan­der, Füreinan­der, für die Sache!« Ich ver­traue auch weit­er­hin auf Ihre Leis­tungs­bere­itschaft, Ihre pro­fes­sionelle Hal­tung und die von Ihnen gelebte Kameradschaft. 

Mir ist bewusst, dass zu den Ein­satz­be­las­tun­gen und den Belas­tun­gen, die uns das Sys­tem als solch­es aufer­legt, nun auch noch die Belas­tun­gen und die schw­er fass­baren Forderun­gen, die sich aus dem Umbau und der Reform der Bun­deswehr ergeben, hinzukom­men. Wir wollen behut­sam ans Werk gehen, wollen ver­suchen, dass aus dem Fordern kein Über­fordern wird. Heben Sie bitte rechtzeit­ig die Hand, machen Sie sich bemerk­bar, wenn Sie fest­stellen, dass wir einan­der zu viel zumuten. Wir brauchen auch hier Ihre Mithilfe! 

Ein chi­ne­sis­ches Sprich­wort lautet: »Wenn die Winde des Wech­sels wehen, bauen die einen Mauern, die anderen Wind­mühlen.« – Mar­itim for­muliert bauen wir nicht Wind­mühlen, son­dern set­zen Segel, um die Kraft und Dynamik der Winde des Wech­sels zu nutzen, um aufzubrechen, und – um an neue Ziele zu gelan­gen, gemein­sam in einem Boot. 

Ich wün­sche uns dazu einen sicheren Kurs und Kraft und aus­re­ichend Ideen, um auch widrige Wet­ter­la­gen und schwierige Fahrwass­er meis­tern zu kön­nen. Und ich wün­sche uns allen Schaf­fen­skraft, Kreativ­ität und prag­ma­tis­ches Han­deln in pro­fes­sioneller Gelassen­heit. Ihnen per­sön­lich wün­sche ich ein glück­lich­es, gesun­des und erfülltes Jahr 2011. Allen, die in Ein­sätzen unter­wegs sein wer­den, wün­sche ich Erfolg und eine glück­liche und gesunde Heimkehr. 

Zum Autor

Team GlobDef

Seit 2001 ist GlobalDefence.net im Internet unterwegs, um mit eigenen Analysen, interessanten Kooperationen und umfassenden Informationen für einen spannenden Überblick der Weltlage zu sorgen. GlobalDefence.net war dabei die erste deutschsprachige Internetseite, die mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik außerhalb von Hochschulen oder Instituten aufgetreten ist.

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