Ideen sind keine Lösungen, und Lösungen sind keine Entscheidungen!
Nach der Betrachtung von Umfängen und konzeptioneller Basis wage ich einen vorsichtigen Blick auf mögliche Strukturen. Es ist entschieden, dass das BMVg komplett neu aufgestellt und signifikant verkleinert wird (deutlich unter 2.000 ist die Absicht). Die Inspekteure der Teilstreitkräfte und der Militärischen Organisationsbereiche werden nicht mehr ministerielle Abteilungsleiter sein, sondern in den nachgeordneten Bereich verlagert. Dies wird dazu führen, dass der Führungsstab der Marine, das Flottenkommando und das Marineamt als Höhere Kommandobehörden in der bisherigen Form keinen Bestand mehr haben werden. Entstehen wird ein neues, schlankes Marinekommando, in dem die wesentlichen Funktionen abgebildet werden.
Die Marine muss nach wie vor Führen und Sonderaufgaben wahrnehmen können (bspw. U‑Boot-Sicherheit), auch wenn die Rolle des Einsatzführungskommandos insgesamt gestärkt wird. Die Inspekteure (sie werden diese Bezeichnung behalten) bleiben nach wie vor dem Generalinspekteur unmittelbar unterstellt, der allerdings künftig Vorgesetzter nach §1 VVO (truppendienstlich) der nachgeordneten TSK und MilOrgBereiche sein wird. Die Inspekteure gehören auch weiterhin dem Militärischen Führungsrat an, der künftig auch den Befehlshaber des Einsatzführungskommandos aufnehmen wird; und, die Inspekteure sind auch in Zukunft Gesicht und Stimme ihres Verantwortungsbereiches gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit.
Sea King beim Start PIZ Marine |
Auf weitere Details, in denen bekanntermaßen der Teufel stecken kann, möchte ich heute nicht eingehen, da die Überarbeitung des Berliner Erlasses noch läuft und die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten des Generalinspekteurs und der Inspekteure noch nicht abschließend definiert und festgelegt sind.
Auch unseren eigenen nachgeordneten Bereich werden wir straffen und umstrukturieren. Aufwendige Zwischenebenen werden entfallen; wir planen, die Einsatzflottillen, die sich bewährt haben, in ihrer Substanz zu erhalten und neben der Schul- und Ausbildungsorganisation ein Kommando Einsatzlogistik Marine (KELM) zu schaffen. Ein Marinefliegerkommando wird die Strukturen ergänzen.
Mehr als diese holzschnittartige Beschreibung möchte und kann ich Ihnen heute nicht präsentieren. Noch ist vieles, zu vieles im Fluss. Wir müssen wissen, wie das neue BMVg aussieht und wie die Verantwortlichkeiten verteilt sind, um die eigenen Andockstellen und Substrukturen definieren zu können. Ja, es gibt zahlreiche Ideen und auch Lösungen; aber, Sie wissen, wie ich es damit halte: Ideen sind keine Lösungen und Lösungen sind keine Entscheidungen! Wir sind dicht davor; ich hatte das Datum genannt, zu dem wir dem Minister vortragen werden. Haben Sie also bitte noch Geduld, bis übergeordnete Strukturen und Planungszahlen verbindlich geworden sind. Wir werden Sie zügig informieren, und, wo geboten und sinnvoll, auch in die Arbeiten einbinden.
Haben Sie in dieser teilweise hektisch-unübersichtlichen Zeit aber bitte auch Vertrauen in Entscheidungen der Marineführung, wo noch nicht abschließende und allumfassende Transparenz hergestellt werden konnte. Das Geschehen in Berlin und Bonn folgt (ganz) eigenen Regeln und hat eine besondere Dynamik – manchmal allerdings leider auch nicht. Ich komme nochmals auf die Feststellungen und Forderungen des Generalinspekteurs zurück: »Die Marine wird auch künftig einen breiten Mix an unterschiedlichen Plattformen vorhalten, wenn auch – nach Ausphasung der Altsysteme – in verringerter Stückzahl.«
Der Kampf um junge Köpfe und Talente wird schwierig
»Ausphasung der Altsysteme« zielt eindeutig auf eine Reduzierung und Modernisierung unseres »Fuhrparks«. Wir sind dabei, unsere gesamten schwimmenden und fliegenden Einheiten kritisch zu analysieren. Aufwendige technisch-logistische Betreuung und kostenintensiven Betrieb können und wollen wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Eine ausgewogene Außerdienststellungsplanung, die unsere Verpflichtungen nicht infrage stellt, wird hier Lösungen bringen und es uns erlauben, Mittel in unsere Zukunft zu investieren. Einen Anfang haben wir mit den U‑Booten der Klasse 206A gemacht. Es ist kein Geheimnis, dass auch die Schnellboote der Klasse 143A, die sich teilweise in einem kritischen technischen Zustand befinden, auf der Prüfliste stehen. Auch werden wir die Systemvielfalt in einigen Bereichen, ich denke hier an unsere Minenabwehreinheiten, überprüfen und wo geboten, reduzieren.
Diese Ausphasung und Reduzierung muss allerdings einem schlüssigen Konzept folgen; wir brauchen eine ganzheitliche Betrachtung und ein abgestimmtes Vorgehen und keine »Schnellschüsse«, die wir später möglicherweise bereuen würden. Auf dem Weg zur neuen Zielstruktur gilt es, Expertise zu erhalten und die personelle und materielle Entwicklung sorgfältig zu gestalten. Dies ist umso wichtiger, als neue und moderne Einheiten unter Vertrag sind, deren Zulauf und Aufnahme in die Flotte in den kommenden Jahren solide geplant und vorbereitet werden müssen. (Fregatte F125, U‑Boot U 212A, Einsatzgruppenversorger).
Lassen Sie mich schließlich dem Personal zuwenden. Die Menschen sind es, die die Strukturen zum Leben erwecken, die in den Strukturen sowie aus den Strukturen heraus Leistung erbringen und Erfolg erst möglich machen und damit den guten Ruf unserer Marine schaffen.
Wir sind zufrieden mit den uns zugestandenen ausplanbaren Umfängen. Natürlich wäre ein »Mehr« an Dienstposten immer willkommen, aber dies müsste auch mit Haushaltsmitteln unterlegt werden. Und – wir wollen mit dieser Reform endlich aus dem Zustand der chronischen Unterfinanzierung heraus. Ein Mehr an Dienstposten darf auch nicht, angesichts der dramatischen demografischen Entwicklung, zu hohlen Strukturen führen. Also konzentrieren wir uns darauf: »Klein, effizient und effektiv« – das muss das Ziel sein.
Das wird schon schwer genug, denn der Kampf um junge Köpfe und Talente wird, auch vor dem Hintergrund der Demografie, schwierig, trotz in Aussicht gestellter Attraktivitätsprogramme und möglicher finanzieller Verbesserungen. Auch müssen zunächst, und zwar schnell, nach Wegfall der Musterung, völlig neue Wege der Nachwuchsgewinnung geschaffen werden.
Die Konsequenzen der Aussetzung der Wehrpflicht sind aktuell noch nicht hinreichend absehbar. Es zeichnet sich allerdings ab, dass wir über das Jahr weit über 1.000 Mannschaftsdienstgrade verlieren werden und erstmals in diesem Bereich, übergangsweise, ein Vakanzenmanagement einführen müssen. Im April wird es hier mehr Klarheit geben; auch darüber, wie sich insgesamt der Personalkörper der Bundeswehr über die kommenden Jahre entwickeln bzw. rückentwickeln wird. Minister zu Guttenberg hat zugesichert, dass hier nichts überstürzt werden wird und er sich für den personellen Umbau, der auch sozialverträglich abgewickelt werden soll, durchaus einen Zeitraum von 6–8 Jahren vorstellen könne.
Wir wollen eine Marine, die ihren Soldaten und zivilen Mitarbeitern ein hohes Maß an Zufriedenheit und an Motivation ermöglicht und dabei gleichzeitig eine professionelle und leistungsfähige Auftragserfüllung gewährleistet. Wir müssen deshalb verhindern, dass die Belastungen und die Abwesenheitszeiten für unsere Besatzungen weiter steigen. Es gilt, unsere Marine so zu gestalten, dass sie für ihre Angehörigen als Arbeitsplatz attraktiv bleibt bzw. wieder wird.
Lösungsansätze sehen wir in Zukunft in Mehrbesatzungsmodellen, dem Konzept der Intensivnutzung und einer einsatzorientierten Ausbildung in den Stützpunkten. Damit wollen wir die seefahrtsbedingte Abwesenheit und die Belastung begrenzen; vielmehr aber wollen wir grundsätzlich die verlässliche Planbarkeit des Dienstes in der Marine für den Einzelnen erhöhen. Über dieses Mehr an Attraktivität erwarten wir ein Mehr an Personalbindung und Interesse an längeren Verpflichtungszeiten. Wir werden für diesen Ansatz allerdings – und hier schlagen wir teilweise ganz neue Wege ein – die starre Bindung von Personal an Schiffe und Boote aufgeben müssen.
Natürlich fragen Sie sich jetzt, wie der Inspekteur Mehrbesatzungsmodelle umsetzten möchte, wo wir schon heute kaum wissen, wie wir die personellen Engpässe an Bord überkommen können; wir leben von Vakanzenmanagement und Springertum – oftmals eine Zumutung für die Betroffenen.
Auch ist noch offen, wie das Problem des Personalfehls im Bereich der Portepeeunteroffiziere im Verwendungsbereich 2 gelöst werden kann – hier werden uns im laufenden Jahr bis zu 12 Prozent fehlen (im Bereich der Flotte 20 Prozent).
Sie werden sich fragen, wie die »Intensivnutzung« verwirklicht werden soll, wenn wir schon heute kaum wissen, wie wir bei der schwierigen Lage in der Materialerhaltung die »Normalnutzung« sicherstellen wollen.
Sie werden sich fragen, woher die Attraktivität kommen soll, bei reduzierten Möglichkeiten der Übernahme zum Berufssoldaten und bei Standort- und Karriere-Verunsicherung.
Ich gebe zu, wir haben viele Ideen, zu denen die Lösungen erst noch entstehen müssen. Aber, wir wollen und müssen auch langfristig denken. Und zu der Wahrheit, die Sie von Ihrem Inspekteur erwarten, gehört auch das Eingeständnis meinerseits, dass es (noch) nicht für alle Fragen eine Antwort gibt.
Mir ist bewusst, dass ich hier und heute kein vollständiges, kein umfassendes Bild habe zeichnen können. Zu komplex ist die Lage gegenwärtig, zu viele Dinge sind noch offen oder im Fluss, die Zahl der losen Enden ist noch gewaltig. Ich hoffe, es ist mir trotzdem gelungen, die Situation, der wir uns zu stellen haben, ehrlich und realistisch zu beschreiben. Die Botschaft ist die, dass wir viele gute Gründe haben, positiv nach vorne zu schauen. Es wird kein einfacher Weg, aber wir haben Ziele. Auf dem Weg dorthin gilt es, zusammenzustehen, füreinander und für die Sache da zu sein; vor allem aber, mit einer Stimme zu sprechen. Ziele werden diffus, verlieren ihre Leuchtkraft und gehen verloren, wenn wir sie mit leichtfertigen Bemerkungen und Kommentaren infrage stellen. Manchmal ist Schweigen der bessere Weg, wenn die Informationen für eine gute Antwort nicht ausreichen.
»Miteinander, Füreinander, für die Sache!«
Unser Verteidigungsminister hat es mehrfach erwähnt: »Dies ist der tief greifendste Einschnitt in der Geschichte der Bundeswehr seit ihrer Begründung […].«
Für die anstehenden Veränderungen und den Umbau der Deutschen Marine sehe ich mich persönlich an vorderster Stelle in der Verantwortung und in der Pflicht. Aber, die Herausforderungen, denen sich unsere Marine stellen muss, können nur mit einem »Alle- Manns-Manöver« bewältigt werden. Es gilt auch in Zukunft – mehr denn je: »Miteinander, Füreinander, für die Sache!« Ich vertraue auch weiterhin auf Ihre Leistungsbereitschaft, Ihre professionelle Haltung und die von Ihnen gelebte Kameradschaft.
Mir ist bewusst, dass zu den Einsatzbelastungen und den Belastungen, die uns das System als solches auferlegt, nun auch noch die Belastungen und die schwer fassbaren Forderungen, die sich aus dem Umbau und der Reform der Bundeswehr ergeben, hinzukommen. Wir wollen behutsam ans Werk gehen, wollen versuchen, dass aus dem Fordern kein Überfordern wird. Heben Sie bitte rechtzeitig die Hand, machen Sie sich bemerkbar, wenn Sie feststellen, dass wir einander zu viel zumuten. Wir brauchen auch hier Ihre Mithilfe!
Ein chinesisches Sprichwort lautet: »Wenn die Winde des Wechsels wehen, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen.« – Maritim formuliert bauen wir nicht Windmühlen, sondern setzen Segel, um die Kraft und Dynamik der Winde des Wechsels zu nutzen, um aufzubrechen, und – um an neue Ziele zu gelangen, gemeinsam in einem Boot.
Ich wünsche uns dazu einen sicheren Kurs und Kraft und ausreichend Ideen, um auch widrige Wetterlagen und schwierige Fahrwasser meistern zu können. Und ich wünsche uns allen Schaffenskraft, Kreativität und pragmatisches Handeln in professioneller Gelassenheit. Ihnen persönlich wünsche ich ein glückliches, gesundes und erfülltes Jahr 2011. Allen, die in Einsätzen unterwegs sein werden, wünsche ich Erfolg und eine glückliche und gesunde Heimkehr.
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