Bis heute in Teilen diffus und unvollständig
Lassen Sie uns kurz zurückschauen: Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir uns in diesem Kreis u.a. mit Fragen der Umgestaltung der Wehrpflicht zu W6 beschäftigt, der Gesamtstreitkräfteumfang von 250.000 Soldaten war noch nicht infrage gestellt. Die Neuorganisation des BMVg stand noch nicht auf der Tagesordnung, war allerdings durch Festlegungen in der Koalitionsvereinbarung in einem gewissen Umfang zu erwarten. Hinsichtlich der überproportionalen Einsatzbeteiligung der Deutschen Marine blickten wir vorsichtig auf eine mögliche Ergänzung unseres Dienstpostenumfangs, auf ein Aufbrechen des überkommenen Proporzes zwischen den Teilstreitkräften.
Das war die Ausgangslage zu Beginn des Jahres 2010. Hierauf waren wir eingestellt. Hierauf galt es, die Arbeit auszurichten. Hieraus erwuchsen auch Erwartungen.
Dann nahmen die Ereignisse, wie wir bei der Marine sagen, Fahrt auf. Ich erspare Ihnen die komplette Historie und Chronologie. Viele von Ihnen haben die Entwicklungen, zumindest in Teilen, über das Jahr mitverfolgt. Auch wenn wir uns vonseiten der Marineführung bemüht haben, belastbare Informationen zeitnah weiterzureichen, ist das Bild bis heute in Teilen diffus und unvollständig geblieben – für uns alle!
Die Kabinettsklausur vom 6./7. Juni, der Ergebnisbericht der Strukturkommission »Vom Einsatz her denken« vom 26. Oktober, die Aufstellung des »Arbeitsstabes Umbau Bundeswehr« unter Leitung von Staatssekretär Dr. Otremba am 5. November, die Bundeswehrtagung in Dresden am 22. und 23. November und schließlich die Kabinettsitzung am 15. Dezember, in der die Eckpunkte zur Neugestaltung der Bundeswehr gebilligt wurden, waren die markanten Meilensteine über das abgelaufene Jahr.
Oft konnte man die abfällige Bemerkung hören: »Armee nach Kassenlage!« Aber: Die Reformüberlegungen allein auf eine Finanzvorgabelinie zu reduzieren bedeutet einen allzu verengten Blick auf die strukturellen Defizite. Die Gründe – wie unser Verteidigungsminister formulierte – sind vielschichtiger Natur: »Ineffiziente Strukturen innerhalb der Bundeswehr, fehlende Klarheit in den Verantwortungsbereichen, dramatische Unterfinanzierung [sowie] veraltete und langwierige Abstimmungsprozesse […]« machen die tief greifendste Reform der Bundeswehr notwendig. Dazu kommt die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft insgesamt, die eine grundsätzliche Neubewertung notwendig macht.
Und es war die Realität der Einsätze selbst, die uns schonungslos Grenzen und Defizite unseres Systems vor Augen führte. Auch trugen die vom Verteidigungsminister angewiesenen (hausinternen) Defizitanalysen und die zusammengefassten Ergebnisse der externen Strukturkommission unter Leitung von Dr. Frank-Jürgen Weise zu dieser klaren Bestandsanalyse bei. Die verknappten Ressourcen (men, money, materiel) erlaubten auf keinen Fall ein »weiter so!« Dies war uns allen eigentlich seit geraumer Zeit klar.
An den grundsätzlichen Aufgaben der Bundeswehr wird sich nichts ändern. Aber – künftig müssen Einsatzkontingente einfacher lage- und bedrohungsgerecht zusammengestellt werden können. »Im Kern«, so der Generalinspekteur der Bundeswehr, »geht es darum, auf heute kaum definierbare künftige Herausforderungen mit größtmöglicher militärischer Flexibilität [zu] antworten und der Politik ein möglichst breites Spektrum an Handlungsoptionen anbieten zu können.«
Der Verteidigungsminister formulierte es in Dresden so: Vom Einsatz her denken heißt – »Unsere Bundeswehr muss noch professioneller, noch schlagkräftiger, noch moderner und attraktiver werden als heute.« D.h., Einsatzfähigkeit, Durchhaltefähigkeit und Zukunftsfähigkeit unserer Streitkräfte, wie wir es bereits im Leitbild unserer Deutschen Marine festgeschrieben haben, sind mehr denn je die Bestimmungsfaktoren, die nachhaltig und robust unterfüttert werden müssen.
Wo stehen wir zu Beginn des Jahres 2011?
Konturen einer neuen Bundeswehr lassen sich erkennen, belastbare Strukturen allerdings noch nicht. Wesentliche Merkmale werden sein:
- Die Wehrpflicht wird zum 1. Juli dieses Jahres ausgesetzt.
- Der Streitkräfteumfang wird auf bis zu maximal 185.000 Soldaten (davon 15.000 freiwillige Kurzdiener/FWD) reduziert werden.
- Das Zivilpersonal reduziert sich auf einen Umfang von ca. 60.000 bis 65.000
- Die Inspekteure der TSK und Militärischen Organisations-Bereiche (Mil-Org) werden keine ministerielle Instanz mehr sein.
- Der Personalkörper des (neuen) BMVg wird deutlich unter 2.000 liegen.
Der vom Verteidigungsminister anlässlich der Bundeswehrtagung in Dresden skizzierte »Level of Ambition« für die »neue Bundeswehr« wird auf der Grundlage neuer Verteidigungspolitischer Richtlinien und einer überarbeiteten Konzeption der Bundeswehr weiter ausbuchstabiert werden. Diese Arbeiten werden parallel zu den Planungsprozessen zur Umstrukturierung des Ministeriums und der nachgeordneten Bereiche laufen. Ein neues Weißbuch, seinem Kern und Selbstverständnis nach vielleicht eher eine Nationale Sicherheitsstrategie, wird folgen.
Es geht zügig weiter: In diesen Tagen wird der »Arbeitsstab Umbau Bundeswehr« dem Verteidigungsminister Maßnahmen zur Neugestaltung des Ministeriums zur Billigung vorstellen. Danach erfolgt die Feinausplanung zur Umgliederung des Ministeriums. Am 25. Januar, also in zwölf Tagen, werden die Inspekteure der TSK und der MilOrg-Bereiche dem Minister die ersten Entwürfe bzw. Skizzen für die Umorganisation und Neustrukturierung ihrer Verantwortungsbereiche vortragen. Die folgende Feinausplanung wird parallel und abgestimmt mit den Entwicklungen innerhalb des Ministeriums laufen; sie bedingen einander. Erst zum Schluss bindet ein Ressort- und Stationierungskonzept die Planungen ab. Minister und Generalinspekteur rechnen damit im Sommer des Jahres. Und, natürlich werden Standortkonzepte nicht ausschließlich nach betriebswirtschaftlichen Erwägungen erarbeitet. Bewährtes oder auch funktionale, attraktive und soziale Aspekte müssen ebenso Berücksichtigung finden.
Wer hätte das alles vor einem Jahr gedacht?
Was bedeutet dies für uns als Marine? Welche Vorgaben und Zahlenwerke sind zugrunde zu legen? Welchen Teil des Kuchens können wir erwarten? Wie packen wir die vor uns liegende Arbeit an, wie sind wir aufgestellt, mit welcher Substanz können wir uns einbringen? – Fragen über Fragen. Aber es gibt auch schon einige (vorsichtige) Antworten.
Wir müssen uns mit unseren Ideen und Ansätzen an übergeordneten Forderungen messen lassen. Hierzu rufe ich die Worte des Generalinspekteurs anlässlich der Bundeswehrtagung in Dresden in Erinnerung: Die Marine soll einen breiten Mix an unterschiedlichen Plattformen vorhalten: Fregatten mit Bordhubschraubern, Korvetten mit Unmanned Areal Vehicles, U‑Boote, Minenkampfeinheiten, MPA und spezialisierte Einsatzkräfte.
Künftig soll sich die Marine mit ihrem breiten Fähigkeitsspektrum noch stärker auf streitkräftegemeinsame Operationen ausrichten und ihre Fähigkeiten ausbauen, Kräfte an Land zu unterstützen.
Der Ansatz, eigene Kräfte über und von See verlegen, bereithalten, führen und unterstützen zu können, sei konsequent von allen Bereichen aufzunehmen und umzusetzen. Demnach könne die See auch zur Basis für Landoperationen werden, oder eine schwimmende Plattform in die integrierte Luftverteidigung eingebunden werden.
Damit, mit diesen Forderungen und Kernaussagen, unterstützt der Generalinspekteur ausdrücklich, was wir uns über die vergangenen Jahre konzeptionell erarbeitet haben und auch, wie wir unsere materielle Entwicklung Richtung Zukunft gestalten wollen. »Vom Einsatz her denken«, die prominente Überschrift zur Bundeswehrreform, ist für die Marine nicht neu.
Unter diesem Leitgedanken (ergänzt durch: »Von See her denken«) hat sich unsere Marine in den zurückliegenden Jahren konsequent den Anforderungen und Vorgaben der Transformation gestellt. Leistungsfähigkeit, robuste Aufgabenerfüllung im nationalen wie im internationalen Kontext und das Prinzip der Streitkräftegemeinsamkeit waren und sind wesentliche Bestimmungsgrößen.
»Kleiner werden« bedeutet nicht »Schlechter werden«
Flottillenstruktur, Unterstützungsbereiche, Schul- und Stützpunktlandschaft wie auch die Höheren Kommandobehörden wurden neu ausgerichtet, gestrafft und noch sorgfältiger aufeinander abgestimmt.
Die Tatsache, dass in den vergangenen fünf Jahren nahezu alle unsere schwimmenden und fliegenden maritimen Systeme in mandatierten Einsätzen und im Rahmen einsatzgleicher Verpflichtungen zum Einsatz gekommen sind, bestätigt das vorgehaltene Fähigkeitsportfolio.
Aber, die entschiedene Umfangsreduzierung der Bundeswehr wird natürlich auch an der Marine nicht spurlos vorübergehen. Auch wir sind gehalten, unseren Konsolidierungsbeitrag zu leisten; und, auch wir wollen uns erneuern und weiterentwickeln. Es gibt gute Gründe, positiv nach vorne zu schauen. »Kleiner werden« muss ja nicht bedeuten »schlechter werden«. In dem anstehenden Umbau liegen auch große Chancen.
Und damit lassen Sie mich einen konkreten Blick auf die Zahlen werfen. Gegenwärtig planen wir (auf einer seriösen Grundlage) mit einem operationellen Planungsumfang von 13.400 Marinedienstposten. Im Vergleich dazu nennt die heutige Sollstruktur im »Organisationsbereich Marine « nach Personalstrukturmodell 15.330 Dienstposten. Die künftige Zahl der Marineuniformträger wird deutlich höher sein als diese 13.400 Dienstposten, denn hinzu kommen ja noch Schülerstellen und der Marineanteil in der Streitkräftebasis; beide Größen sind allerdings noch nicht abschließend spezifiziert. Das bedeutet, dass wir im entscheidenden, im einsatzrelevanten Personalbereich (nur) eine Kürzung von etwa 12,5 Prozent erfahren.
Ja, wir werden kleiner, aber mit dieser im Vergleich zu den anderen Teilstreitkräften moderaten Reduzierung wird der starre Proporz der Vergangenheit endlich Geschichte! Zudem anerkennt man die Bedeutung einer Marine in der heutigen und kommenden Zeit, die wir, zu Recht, das »maritime Jahrhundert« nennen.
Konzeptionell können wir unsere neue Marine solide hinterlegen: mit der ZVM 2025+, den Zielvorstellungen für die Marine nach 2025. Dieses Dokument, 2008 erstellt, bleibt in seiner Grundsubstanz und ‑ausrichtung erhalten, wird jedoch in den kommenden Wochen entlang der Überarbeitung der Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) und der Konzeption der Bundeswehr (KdB) fortgeschrieben. Weiterhin mit den »Konzeptionellen Grundvorstellungen Basis See – Die See als Basis für streitkräftegemeinsame Operationen« – einem Dokument, das die Unterschrift des Generalinspekteurs trägt und in seiner Substanz das enthält, was durch ihn selbst in Dresden von der Marine der Zukunft gefordert wird. Und schließlich mit den »Konzeptionellen Grundvorstellungen Maritime Sicherheit«, die sich in der ministeriellen Schlusszeichnung befinden und einen ressortübergreifenden und multinationalen Ansatz präsentieren, also modern und zukunftsgerichtet sind.
Die skizzierte Basis erlaubt uns auch, nein, fordert von uns, uns materiell weiter zu entwickeln. Damit sehe ich die Weichen gestellt, unter anderem, für das Joint Support Ship: Es steht für mehr Streitkräftegemeinsamkeit, für Seetransport und ‑verlegefähigkeit, aber auch für Anlandungen unter Bedrohung bzw. ohne intakte Hafeninfrastruktur.
Mit der Korvette K131 (Arbeitsbegriff) wollen wir mehr Einsatzflexibilität über Missionsmodularität schaffen. Mit dem Mehrzweckeinsatzschiff (ebenfalls ein Arbeitsbegriff) wollen wir über ein Mutterschiff einen Mix von unbemannten Systemen zum Einsatz bringen und somit eine weitere Einsatzflexibilität und Leistungssteigerung erwirken. Es gilt, diese Projekte, die unsere Zukunftsfähigkeit ausmachen, planerisch so vorzubereiten, dass sie bei sich entspannender Haushaltslage zügig realisiert werden können. Je eher, desto besser.