Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Wenn die Winde wehen, setzen wir Segel — In einem Boot zu neuen Zielen
Ansprache des Inspekteurs der Marine, Vizeadmiral Axel Schimpf, anlässlich der 51. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte am 13. Januar 2011 in Damp
Es ist gewachsener und guter Brauch, dass der Inspekteur der Marine die HiTaTa auf Einladung des Befehlshabers der Flotte mit einer Ansprache beschließt. Für mich ist dies in doppelter Hinsicht wichtig. Zum einen trete ich als (ziemlich) neuer Inspekteur erstmals vor den HiTaTa-Kreis, der ja schon aufgrund seiner Zusammensetzung etwas Besonderes ist. Zum anderen ist unsere Marine zurzeit an vielen Fronten gefordert; folglich prägt das Einsatzgeschehen unser Tagesgeschäft. Auch sind wir gerade dabei, mit Blick auf die anstehende Bundeswehrreform, ausgesprochen schwierige und fordernde Fahrwasser zu durchsteuern.
All dies sind gute Anlässe, um über Position, Kurs, Fahrt und »navigatorische« Herausforderungen zu sprechen und um einige Eindrücke von der »Brücke« zu präsentieren. Aber auch eine gute Gelegenheit, um uns alle auf gemeinsame Ziele einzuschwören. Das liegt mir ganz besonders am Herzen, denn unsere Marine ist klein: Wir können und wollen es uns nicht leisten, unsere Kräfte beliebig zu verschleißen und zu verschwenden. Wir müssen sie in den Dienst unserer gemeinsamen Sache stellen.
Zu Beginn möchte ich, quasi außerhalb der Agenda, zwei Themen aufgreifen, Themen, die Bezug zu unserer Werteorientierung haben.
Erinnern Sie sich an die Worte meines Vorgängers anlässlich der letzten HiTaTa. Mit Blick auf die Einweihung des neuen Ehrenmals der Bundeswehr als Teil der öffentlichen Erinnerungskultur betonte Admiral Nolting, dass dieses Ehrenmal eine Lücke schließen, aber nicht bewährte Gedenkorte verdrängen würde. Gedenken und Trauerarbeit bleiben individuell. Aber mit Blick auf die Marine bedarf beides eines sinnstiftenden Rahmens der kollektiven Erinnerungskultur ohne Exklusivitätskritierien innerhalb unserer maritimen Gemeinschaft. Daher wurde entschieden, das Ehrenbuch der Flotte in ein Ehrenbuch der Marine umzuwandeln, damit alle im Dienst verstorbenen Marineangehörigen Eingang in unser Totenbuch finden.
Wir haben die im letzten Jahr getroffene Entscheidung umgesetzt. Vor zwei Tagen haben wir das neue Ehrenbuch der Marine im Rahmen einer kleinen und feierlichen Gedenkveranstaltung im Marine-Ehrenmal Laboe in die Obhut des Deutschen Marinebundes übergeben; im Marine-Ehrenmal Laboe, unserem Ort des maritimen Gedenkens, unserem Ort des Trauerns und Erinnerns, dem Ort unserer eigenen maritimen Erinnerungskultur.
Verdeckter Angriff aus dem Wasser PIZ Marine |
Mein zweiter kurzer Exkurs richtet sich auf das Bild des Soldaten. Mit gewisser Sorge stelle ich fest, dass es einige (wenn auch wenige) Stimmen gibt, die feststellen, dass die Einsatzrealität der Bundeswehr einen neuen Soldatentypus hervorbringen müsse. Hier verbergen sich Tendenzen, die das Bild des »archaischen Kämpfers« oder des »Hightech-Kriegers« bemühen. Damit – so glaubt manch einer – begegne man heute angemessen der Wirklichkeit.
Aber gezeichnet wird hier nur das Bild des auf den Kampf verengten Kriegers, der, weitgehend losgelöst von seinem unmittelbaren Wirkungsumfeld, sein Streben schlicht im Ausüben seines Handwerks im Einsatz sieht – der moralische Anspruch bleibt dabei deutlich zurück! Einer solchen Sichtweise erteile ich eine klare Absage. Es ist richtig, dass wir Soldaten brauchen, die kämpfen können und wollen, wann und wo es denn notwendig ist. Auch haben wir es zunehmend mit Gefahren zu tun, denen wir unter Umständen ausgesprochen robust entgegentreten müssen. Aber der Kampf ist nicht Selbstzweck! Die Forderung nach einem »archaischen Krieger« ist unserer Sache nicht dienlich!
Nach unserem Verständnis von Innerer Führung ist im komplexen Umfeld weltweiter Einsätze ein anderer Soldatentypus gefordert: Wir brauchen Soldaten mit einem gereiften Welt- und Menschenbild, mit festem moralischem Fundament und mit einem Verständnis für Gesamtzusammenhänge. Wir brauchen Soldaten, die ihren Beruf reflektieren, die zutiefst überzeugt von ihrem Handeln sind, und die sich gleichzeitig den technischen und geistigen Herausforderungen ihres Dienstes stellen. Das alles macht den Wertekanon unserer Profession aus!
Bundespräsident Christian Wulff hat es jüngst klar herausgestellt: »Heute sollen […] [die soldatischen und moralischen] Kenntnisse dazu dienen, Brücken über das Meer zu bauen und Völker zu verbinden.« »Wir Soldaten haben [nämlich] den Frieden zum Beruf«, so formulierte es einst Admiral Dieter Wellershoff. Dies ist die Umkehrung der Zweckbestimmung von Soldaten seit 1955 in Abgrenzung zum deutschen Militär vor 1945. – Der Kampf für den Soldaten der Gegenwart ist nur eine Facette! Damit ist das Wort »Gegenwart« gefallen und damit möchte ich meinen Exkurs beenden und den Blick auf das Hier und Heute, aber auch auf das Morgen richten.
Blick auf das Heute, Hier und Morgen
Der Betrieb unserer Marine im vergangenen Jahr verlief mit Blick auf die Auftragserfüllung ausgesprochen erfreulich. Seit meinem Amtsantritt im April des vergangenen Jahres konnte ich mich persönlich vielfach davon überzeugen, dass die Männer und Frauen unserer Marine mit Tatkraft, Leistungswille und untadeligem Auftreten, auch unter schwierigen Bedingungen, zur gelungenen Aufgabenerfüllung der Deutschen Marine beigetragen haben. Dies erfüllt mich mit Freude und es kann und darf uns alle mit Stolz erfüllen.
HESSEN und US-Kreuzer NORMANDY PIZ Marine |
Die Operationen Atalanta, UNIFIL, Active Endeavour und Enduring Freedom bestimmten im letzten Jahr unsere Einsatzwirklichkeit. Ergänzend demonstrierten wir mit der Durchführung des Manöver Good Hope IV (gemeinsam mit der südafrikanischen Marine), mit dem Einsatz der Fregatte HESSEN als vollwertige »Stand-by-Air-Defence« Einheit in der US-amerikanischen Trägergruppe HARRY S. TRUMAN und mit der Beteiligung an den Standing NATO Maritime Groups die große Bandbreite an Fähigkeiten unserer Marine. All dies wäre nicht möglich ohne einen soliden, kompetenten und nachhaltigen Grundbetrieb. Es ist wichtig, dass wir dies nicht vergessen und damit auch die Leistungen in der Heimat geziemend würdigen. Es ist eine Gemeinschaftsleistung von Flottenkommando und Marineamt.
Die guten Leistungen des vergangenen Jahres, aber auch der vergangenen Jahre insgesamt, haben unserer Marine eine national wie auch international gute Reputation verschafft. Die Sichtbarkeit der Deutschen Marine hat weiter zugenommen. Sinn und Zweck unserer Marine werden angesichts der maritimen Dimension der internationalen Sicherheitspolitik und der vitalen Abhängigkeit Deutschlands von der See von maßgeblichen Kreisen (der Bevölkerung/Entscheidungsträgern) kaum mehr infrage gestellt. Das ist erfreulich.
Erfolg ist stets etwas Willkommenes. Aber auch diese Medaille hat eine Kehrseite. Unser Handeln ist mit einem teuren Preisschild versehen. Sowohl bei Personal als auch bei Material zehren wir seit geraumer Zeit von der Substanz; eine Feststellung, die bereits mein Vorgänger eindringlich getroffen hat. Die finanziellen Spielräume sind ausgesprochen eng und damit die Möglichkeiten des Handelns begrenzt. Hier will ich nichts beschönigen, und auch die staatlich-gesetzlich verordnete Schuldenbremse ist eine Tatsache, die wir nicht ignorieren können.
Kommentiert wird diese Situation grundsätzlich mit den Worten: »So kann es nicht weitergehen« – und diesen Kommentar hören wir schon seit Jahren, ja, wir sprechen ihn auch häufig selbst aus.
Ja, so kann es nicht weitergehen, ja, es muss etwas geschehen, jenseits aller Lippenbekenntnisse, Beteuerungen und Ankündigungen. Und damit werden in die anstehende Bundeswehrreform große, wirklich große Erwartungen gesetzt. Wie tief greifend und weit reichend wird die Reform wirklich sein? Welchen Zuschnitt wird die zukünftige Marine haben? Wie wird es um die Personal- und Materiallage bestellt sein? Wie gewinnen wir den Nachwuchs für unsere Marine? Welche Auswirkungen ergeben sich für die Standorte? Was habe ich ganz persönlich für Chancen und Perspektiven? Es stehen viele Fragen im Raum. Es gibt Ängste und Sorgen, aber ich spüre auch viel Aufbruchstimmung und Gestaltungswillen.
Und diesen wollen und müssen wir nutzen. Es muss zügig gehandelt werden. Ein weiteres Zuwarten wäre kontraproduktiv. Die heutige Einsatz- und Lebenswirklichkeit fordert uns weit mehr ab, als die Umstände der Zeiten des Kalten Krieges – und dies in einem gewaltigen Tempo, auch unter Feindkontakt und ständig unter dem kritischen Blick der Öffentlichkeit, der Medien und der Politik.