Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Abwehr asymmetrischer Bedrohungen
Von Rohrwaffen über unbemannte Fahrzeuge bis hin zu nicht-lethalen Waffen
Zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation herrschten hinsichtlich der Freund-Feind-Erkennung und der Gegnerbestimmung klare Verhältnisse. Mit dem Ende des Kalten Krieges und erst recht seit dem 11. September 2001 ist dies Vergangenheit und Geschichte. Die klassischen Seekriegsszenarien mit ihrer Auslegung auf die durch Staaten bzw. Militärbündnisse ausgetragene Konfliktbewältigung sind in den Hintergrund gerückt. Nicht mehr die Hohe See, die Randmeere und die küstennahen Gewässer sind jetzt die möglichen Schauplätze des Geschehens. Asymmetrische Bedrohungen durch nichtstaatliche Akteure in Form des Terrorismus, organisierter Kriminalität und Piraterie sowie Menschen‑, Drogen- und Waffenschmuggel haben sich dort breit gemacht. Ihre Aktivitäten zu unterbinden, ihre Transportwege zu unterbrechen und ihre Netzwerke und Logistik zu zerstören sind in Zukunft Aufgabe und Herausforderung für die Seestreitkräfte und Küstenwachorganisationen.
Asymmetrische Bedrohungen
Asymmetrische Kriegführung ist grundsätzlich nichts Neues. Erinnert sei nur an die Kamikaze-Einsätze der Japaner oder auch an die Sprengboote und anderen Kleinkampfmittel der deutschen Kriegsmarine. Neu ist allerdings, dass die heutige asymmetrische Kriegsführung nicht mehr eingebunden ist in die operativen Planungen und in die Kampfhandlungen militärischer Verbände, sondern von Nichtkombattanten wie exzentrisch und fanatisch ausgebildeten Terroristen, Gotteskriegern und Selbstmordattentätern durchgeführt wird. Ihre Motivation kommt in aller Regel aus politischem, ideologischem oder religiösem Fanatismus. Finanzielle und materielle Unterstützung finden sie bei Terrororganisationen und teilweise auch durch Staaten. Nicht auszuschließen ist, dass auch Schmuggel, Piraterie und organisierte Kriminalität als Mittel zur Ressourcenbeschaffung dienen.
Asymmetrische Aktionen werden vorsätzlich, systematisch und zielgerichtet geplant. Dem Gegner soll mit relativ einfachen Mitteln und mit möglichst wenig Aufwand ein größtmöglicher Schaden zugefügt werden. Dabei stehen die psychologischen Auswirkungen eines Anschlages im Vordergrund der Handlung. Aus heiterem Himmel wird ein Ort oder eine Region plötzlich mit massiver Zerstörung, herbeigeführten Umweltgefahren, vielfältigem Chaos und einer großen Anzahl von toten oder verletzten Menschen konfrontiert. Im maritimen Bereich wurde im Hafen von Aden im Oktober 2000 der US-Zerstörer COLE und vor der jemenitischen Küste im Oktober 2002 der zivile französische Tanker LIMBURG Opfer eines solchen asymmetrischen Angriffs.
In ihrem Facettenreichtum sind die asymmetrischen Kampfmethoden und ‑mittel sowie ihre potenziellen Ziele kaum abschätzbar. „Anytime — Anywhere — Anything – Anyone“. Lediglich der (nicht)vorhandene Ideen- und Einfallsreichtum der Akteure setzt Grenzen. Die Bedrohungen sind schwer zu detektieren. In der Regel werden sie, wenn überhaupt, erst im Nah- und Nächstbereich erkennbar. Somit verbleiben nur äußerst kurze Reaktionszeiten. Auf Hoher See sind Kriegsschiffe kaum bedroht. Asymmetrische Angriffe bilden hier eher die Ausnahme und sind wenig Erfolg versprechend. Der im März 2006 vor der somalischen Küste mit Maschinenwaffen durchgeführte Angriff von Piraten auf zwei amerikanische Zerstörer endete mit der raschen Versenkung des Gegners.
In den Randmeeren, Küstengewässern und in Häfen ist jedoch erhöhte Wachsamkeit von Nöten. Festgelegte Schifffahrtswege, enge Fahrwasser, Meerengen und Seegebiete mit geringen Wassertiefen schränken die Kurswahl ein und zwingen zur Fahrtverminderung. Einschränkungen, die zum Beispiel für kleine schnelle Motorboote, landestypische Fischereifahrzeuge oder Segeljachten nicht oder nur in geringem Umfang zum Tragen kommen. Als Sprengboote mit Selbstmordattentätern sind solche Fahrzeuge eine ernst zu nehmende Gefahr. Die zwangsläufig in den genannten Seegebieten vorhandene Konzentration und Ansammlung von Schiffen erleichtert zudem das unbemerkte Herankommen und plötzliche Zuschlagen. Bei Kanalpassagen, in Reviergewässern, auf Reeden oder in Häfen ergeben sich durch die Landnähe weitere Gefahren wie etwa Beschuss durch Scharfschützen, Panzerfaust- oder Raketenanschlägen, Angriffe mit Leichtflugzeugen oder mit ferngelenkten Modellflugzeugen. Auch Treibminen und Selbstmordkampfschwimmer können hier zum Einsatz kommen.
Die erforderlichen Technologien und Ausrüstungsgegenstände sind überwiegend ziviler Natur und damit frei auf dem Markt erhältlich. Moderne Kommunikationstechniken und das Internet erleichtern und unterstützen zudem Organisation und Durchführung von Anschlägen. Außerdem haben die Proliferation von Waffen und Munition sowie nuklearem Material oder anderen Massenvernichtungswaffen gewaltige Ausmaße angenommen. Für potenzielle Terroristen bestehen also auf Schwarzmärkten kaum Schwierigkeiten bei der Beschaffung.
Ein Vorfall im Juli 2006 vor der libanesischen Küste zeigt aber auch, dass durchaus »hochwertige« Waffen zum Einsatz kommen können. In diesem Falle wurde die israelische Korvette HANIT plötzlich von einem Seezielflugkörper getroffen. Vier Besatzungsmitglieder fanden dabei den Tod. Das Versagen des Zünders verhütete Schlimmeres. Vermutlich handelte es dabei um einen von Hisbollah-Milizen aus einer Landstellung abgefeuerten chinesischen Flugkörper des Typs C 802. Die HANIT hatte mit einer solchen Bedrohung nicht gerechnet.