Allgemein — Piraterie/Terrorismus — Terroristen im Fahrwasser moderner Piraten

Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der “Marine­Fo­rum — Zeitschrift für mar­itime Fra­gen” veröf­fentlicht.

Marineforum

Gefahr auf See

Im Fahrwass­er mod­ern­er Pirat­en sind Ter­ror­is­ten zunehmend auch im mar­iti­men Bere­ich aktiv

(Dirk Siebels war bis Ende April 2008 als OLtzS Mitar­beit­er im Pressezen­trum des Flot­tenkom­man­dos und ist jet­zt als Freier Jour­nal­ist tätig.)

Der Angriff auf die franzö­sis­che Luxu­s­jacht LE PONANT vor der Küste Soma­lias vor eini­gen Wochen hat die Gefahr durch Pira­terie in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Schwer­be­waffnete Angreifer, die ein Schiff kapern und die Besatzung als Geiseln nehmen, um Lösegeld zu erpressen – viele Deutsche hät­ten dieses Szenario bis dahin wohl für unmöglich gehalten.

Doch das Prob­lem Pira­terie ist bere­its seit Beginn der 90er Jahre immer drän­gen­der gewor­den. Zwar ging die Zahl der weltweit reg­istri­erten Fälle zwis­chen 2003 und 2006 stetig zurück, 2007 jedoch wur­den wieder mehr Über­fälle reg­istri­ert. Das Inter­na­tion­al Mar­itime Bureau (IMB) meldete in seinem Jahres­bericht 263 Über­griffe weltweit, »wobei zu beacht­en ist, dass bei allen offiziellen Zahlen eine Dunkelz­if­fer von annäh­ernd 50 Prozent hinzugerech­net wer­den muss«, wie Dieter Berg, Pro­jek­tleit­er Pira­terie bei der Münch­en­er Rück, betont. Viele Schiff­seign­er melden Über­fälle nicht, wenn die Pirat­en nur Geld oder Teile der Ladung rauben; steigende Ver­sicherung­sprämien sind auf Dauer teur­er als der Ver­lust durch einen einzel­nen Überfall.

In der Öffentlichkeit ist die große Bedeu­tung der Seewege kaum bekan­nt: Mehr als 90 Prozent des Welthandels wer­den darüber abgewick­elt, seit 1990 ist der See­han­del um durch­schnit­tlich 3,6 Prozent pro Jahr gewach­sen. Und im Zeital­ter der Glob­al­isierung ist noch lange kein Ende dieser Entwick­lung abse­hbar. Während im Flugverkehr die Sicher­heitsvorkehrun­gen in den ver­gan­genen Jahren ständig erweit­ert wur­den, steck­en sie auf See erst in den Anfän­gen. Häu­fig sind selb­st grundle­gende Infor­ma­tio­nen unbekan­nt, etwa wer ein Schiff besitzt oder welche Ladung sich an Bord befindet.

Ein weit­eres Prob­lem: die Konzen­tra­tion auf wenige Seewege und große Häfen. Rund drei Vier­tel des gesamten See­han­dels müssen von Kapitä­nen vor­sichtig durch einige wenige Eng­pässe manövri­ert wer­den. Dazu zählen kün­stliche Wasser­straßen (vor allem Pana­ma- und Suezkanal), aber auch Meeren­gen wie der Ärmelka­nal oder die Straße von Gibraltar.

Das beste Beispiel für poten­zielle Gefahren ist die Straße von Malak­ka. Rund ein Vier­tel der weltweit auf dem Seeweg gehan­del­ten Waren passieren diesen Wasser­weg in Südostasien; etwa 80 Prozent des Öls, das Japan, Chi­na und Süd­ko­rea importieren, wird durch dieses Nadelöhr trans­portiert. Unzäh­lige Schlupfwinkel an der Küste haben dafür gesorgt, dass dieses Gebi­et im ver­gan­genen Jahrzehnt trau­rige Berühmtheit als eines der gefährlich­sten Gewäss­er weltweit erlangt hat. Zwar hat die Zahl der Über­fälle in den ver­gan­genen Jahren aus ver­schiede­nen Grün­den leicht abgenom­men, trotz­dem ist die Fahrt durch die Straße von Malak­ka von vie­len Besatzun­gen noch immer gefürchtet.

Doch nicht nur für Seeleute, auch für Sicher­heits­di­en­ste sind solche Meeren­gen ein Alb­traum. In der Straße von Malak­ka kön­nte das so ausse­hen: Durch einen einzi­gen Ter­ro­ran­schlag kön­nte die teil­weise nur knapp über einen Kilo­me­ter bre­ite Meerenge vorüberge­hend unpassier­bar wer­den. Angesichts der bere­its ange­sproch­enen riesi­gen Waren­ströme, die dort trans­portiert wer­den, wäre das ein Schlag gegen den freien See­han­del, der längst nicht nur in der Region große Auswirkun­gen hätte.

»Unter­mauert wird die Erwartung eines Angriffs auf die Schiff­fahrt durch Äußerun­gen Osama bin Ladens, wonach die Weltwirtschaft als vor­rangiges Ziel von Anschlä­gen beste­hen bleibe«, betont der Ter­ror­is­mus-Experte Rolf Tophoven. Das denkbar schlimm­ste Szenario hat der britis­che Best­seller-Autor Forsyth in seinem Roman »Der Afghane« aus­führlich geschildert: der Ein­satz eines voll belade­nen Gas­tankers als schwim­mende Bombe.

Zwar ist das Buch von Forsyth bish­er noch nicht Real­ität gewor­den, aber der Schrift­steller ist bekan­nt für seine exzel­len­ten Kon­tak­te zu Experten aus den Sicher­heits­di­en­sten und für die Kom­bi­na­tion aus Real­ität und Fik­tion in seinen Roma­nen. Das gilt auch für »Der Afghane«: Wenn ein Gas­tanker – größere Schiffe dieser Art kön­nen bis zu 125.000 Kubik­me­ter laden – zur Explo­sion gebracht würde, wäre die Wirkung im Umkreis von eini­gen Kilo­me­tern so ver­nich­t­end wie die ein­er Atom­bombe. Angesichts dieser poten­ziellen Gefahr wirken die Sicher­heitsvorkehrun­gen für Schiffe dieser Art ger­adezu lächerlich.

Selb­st ohne eine solche Katas­tro­phe sind die Leben­sadern der Weltwirtschaft ver­wund­bar, wie der Angriff eines Selb­st­mord-Kom­man­dos auf den franzö­sis­chen Tanker LIMBOURG im Herb­st 2002 gezeigt hat. Diese Aktion islamistis­ch­er Ter­ror­is­ten war nicht nur ein Angriff auf einen beliebi­gen Öltanker, wie Osama bin Laden danach in ein­er Videobotschaft verkün­dete: »Der Angriff zielte auf die Ver­sorgungsstränge der west­lichen Welt!« Die Fol­gen zeigt ein Blick auf den Jemen nach dem Anschlag auf die LIMBOURG: Schlu­gen die Häfen des Lan­des vor dem Anschlag rund 43.000 Con­tain­er pro Monat um, waren es danach nur noch etwa 3.000, der Ver­lust für die Volk­swirtschaft betrug rund ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Betra­chtet man diese Zahlen, kann man sich in etwa aus­malen, welche Wirkung ein Anschlag ähn­lich­er Dimen­sion beispiel­sweise im Ham­burg­er Hafen hätte. Dort wur­den 2007 knapp zehn Mil­lio­nen Stan­dard­con­tain­er umgeschla­gen, die Kon­trolle solch gigan­tis­ch­er Men­gen kann niemals lück­en­los sein. Selb­st ohne per­ma­nente Aktio­nen spie­len die finanziellen Aufwen­dun­gen für mar­itime Sicher­heitspakete den Ter­ror­is­ten jedoch in die Hände, »die bloße Dro­hung genügt, um die Kosten­spi­rale für die her­aus­ge­forderten Län­der immer höher zu drehen«, beschreibt Rolf Tophoven diese Entwicklung. 

Marineforum - Befehlshaber der Flotte VAdm Stricker-(Foto: PIZM) Und neben der akuten Gefahr durch Anschläge sor­gen ter­ror­is­tis­che Grup­pen noch aus einem weit­eren Grund für unruhige Nächte bei Sicher­heit­sex­perten: Sie haben Über­fälle in Piraten­manier als lohnende Ein­nah­me­quelle für sich ent­deckt. Die Gren­ze zwis­chen Pira­terie und Ter­ror­is­mus ver­schwimmt so immer mehr. Für die Deutsche Marine ist dieses Prob­lem dur­chaus akut. Vor allem bei der Vor­bere­itung der Sol­dat­en, die an den Ein­sätzen vor der Küste des Libanons oder am Horn von Afri­ka beteiligt sind, spielt die Abwehr von Angrif­f­en mit kleinen, schnellen Booten eine große Rolle.

»Ins­ge­samt richt­en sich die Befug­nisse der Deutschen Marine nach dem all­ge­meinen Seerecht«, betont der Befehlshaber der Flotte, Hans-Joachim Strick­er. »Danach beste­ht eine grund­sät­zliche Pflicht aller Staat­en zur Zusam­me­nar­beit bei der Bekämp­fung der Seeräu­berei in inter­na­tionalen Gewässern.«

Gezielt Jagd auf Pirat­en, beispiel­sweise vor der Küste Soma­lias, macht die Marine allerd­ings nicht. »Eine Bekämp­fung seeräu­berisch­er Aktiv­itäten ist nicht Teil des Auf­trags der Oper­a­tion Endur­ing Free­dom und auch nicht Gegen­stand des Bun­destags­man­dats«, unter­stre­icht Strick­er. Bei einem Angriff auf ein Han­delss­chiff dür­fen deutsche Sol­dat­en daher nur im Rah­men der Nothil­fe ein­greifen, also dann, wenn der Gefahr für Schiff und Besatzung nicht anders begeg­net wer­den kann.

Der ehe­ma­lige Inspek­teur der Marine, Vizead­mi­ral a. D. Lutz Feldt, hat diese Recht­slage erst kür­zlich in einem Inter­view mit dem Inter­na­tionalen Mag­a­zin für Sicher­heit kri­tisiert. In inter­na­tionalen Friedens­mis­sio­nen stelle die Tren­nung zwis­chen Polizeiauf­gaben und Auf­gaben der Seestre­itkräfte »eine rein the­o­retis­che Gren­ze dar«, sagte Feldt und unter­strich weit­er: »Für die Sol­dat­en und ver­ant­wortlichen Offiziere – egal ob in Afghanistan, im Koso­vo, vor Afri­ka oder vor dem Libanon – sind das rein the­o­retis­che Fra­gen, und da muss der Gesamt­sicher­heit­sansatz gese­hen wer­den.«

Team GlobDef

Seit 2001 ist GlobalDefence.net im Internet unterwegs, um mit eigenen Analysen, interessanten Kooperationen und umfassenden Informationen für einen spannenden Überblick der Weltlage zu sorgen. GlobalDefence.net war dabei die erste deutschsprachige Internetseite, die mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik außerhalb von Hochschulen oder Instituten aufgetreten ist.

Alle Beiträge ansehen von Team GlobDef →