Allgemein — Piraterie 2008 — LE PONANT – Folgen und Folgerungen

Die Hand­lungs­befug­nisse der Deutschen Marine nach deutschem Recht
Die Befug­nis zur Abwehr von Angrif­f­en auf deutsche Schiffe fol­gt aus dem Vertei­di­gungsauf­trag des Artikels 87a Grundge­setz, der seit dem »Out-of-area-Urteil« des Bun­desver­fas­sungs­gerichts weit gefasst ver­standen wird. Für die Nothil­fe bei Angrif­f­en auf Schiffe unter fremder Flagge stellt Artikel 24 Grundge­setz die Basis dar. Er erlaubt die Einord­nung der Bun­desre­pub­lik in Sys­teme kollek­tiv­er Sicher­heit mit allen damit ver­bun­de­nen Recht­en und Pflicht­en. Das SRÜ ist ein Ver­trag, der inner­halb des Sys­tems kollek­tiv­er Sicher­heit namens Unit­ed Nations (UN) gegen­seit­ige Befug­nisse und Pflicht­en zum Schutz von Schif­f­en vor seeräu­berischen Über­grif­f­en beschreibt. Nationale Vorschriften, die der Wahrnehmung der entsprechen­den Pflicht­en durch die dazu befähigten Organe ent­ge­gen­stün­den, wür­den durch ihre Anwen­dung einen Ver­trags­bruch bewirken. Dies gilt auch für Hil­feleis­tun­gen inner­halb fremder Hoheits­gewäss­er. Solch­es Ein­greifen kann zwar dem jew­eili­gen Anspruch auf das Gewalt­monopol ent­ge­gen­laufen, stellt aber den­noch keine Störung des friedlichen Zusam­men­lebens der Völk­er im Sinne des Artikels 26 des Grundge­set­zes dar, wenn der jew­eilige Küsten­staat seine völk­er­rechtlichen Pflicht­en zum Schutz von ange­grif­f­e­nen Schif­f­en nicht wahrn­immt – unab­hängig davon, ob er es nicht kann oder nicht will. In dieser Sit­u­a­tion sind die übri­gen Ver­tragsstaat­en dazu aufgerufen, einzus­prin­gen, wenn es ihnen möglich ist. Die Abwehr von Pira­te­nan­grif­f­en nicht nur auf hoher See, son­dern auch in frem­den Hoheits­gewässern durch die Deutsche Marine ist daher bei Vor­liegen der geschilderten Umstände auch staat­srechtlich gedeckt.

Die Zuständigkeit für die Strafver­fol­gung – d. h. Fes­t­nahme – von Seeräu­bern wird im Deutschen Recht geregelt in der »Verord­nung zur Beze­ich­nung der zuständi­gen Vol­lzugs­beamten des Bun­des für Auf­gaben nach der Straf­prozes­sor­d­nung auf dem Gebi­et der Seeschiff­fahrt « (Zuständigkeits­beze­ich­nungs-Verord­nung See, Zust­BV-See) vom 4. März 1994 (BGBl. I, S. 442, siehe auch »Zust­BV-See« unter www.gesetze-im-internet.de). Die Zuständigkeit der Strafver­fol­gung durch Fes­t­nahme liegt auch »seewärts der Begren­zung des deutschen Küsten­meeres« bei der Bun­de­spolizei- See. Das Seege­bi­et, für das in dieser Vorschrift eine Zuständigkeit aus­gewiesen wird, kann sin­nvoller­weise nur das­jenige Seege­bi­et jen­seits der deutschen See­gren­zen sein, in dem die Boote der Bun­de­spolizei-See regelmäßig Seer­aumüberwachung betreiben, also ganz großzügig aus­gelegt sind dies die Nord- und Ost­see. Der ganz übrige Rest der Welt­meere ist sich­er nicht gemeint, weil es keinen poli­tis­chen Willen gibt zur entsprechen­den Aus­dehnung des Oper­a­tions­ge­bi­etes der Bun­de­spolizei See. Deshalb ist die Zust­BV-See auf Ein­sätze am Horn von Afri­ka oder an ander­er weit von Deutsch­lands Küstengewässern ent­fer­n­ter Stelle nicht anwend­bar. Oder sicher­heit­spoli­tisch gewen­det: Wenn die Sicher­heit Deutsch­lands nach Aus­sage eines ehe­ma­li­gen Vertei­di­gungsmin­is­ters auch am Hin­dukusch vertei­digt wird, dann muss sie auch dort vertei­digt wer­den, wo deutsche Seeleute oder Urlauber auf Kreuz­fahrtschif­f­en oder die lebenswichti­gen Waren­ströme gefährdet sind. Die Deutsche Marine ist in ent­fer­n­ten Seege­bi­eten deshalb auch für die Strafver­fol­gung zuständig.

Ein Ein­satz deutsch­er Seestre­itkräfte in frem­dem Hoheits­ge­bi­et zur aktiv­en Bekämp­fung der Pira­terie – Ver­dacht­skon­trolle, Beschlagnahme oder Zer­störung von Fahrzeu­gen, Suche nach Tätern in ihren Basen – ist auf der Basis eines UN-Man­dats oder auf­grund ein­er bilat­eralen Vere­in­barung wie oben schon bemerkt völk­er­rechtlich zuläs­sig. Das Grundge­setz ste­ht solchen Vere­in­barun­gen und Aktiv­itäten nicht ent­ge­gen, wenn sie nicht friedensstörend sind. Bilat­erale Vere­in­barun­gen über die gemein­same Bekämp­fung von soge­nan­nten Grey Area Phe­nom­e­na, zu denen auch die Pira­terie gezählt wird, sind übri­gens nichts Neues. In den neun­ziger Jahren hat z. B. die ital­ienis­che Marine auf­grund von solchen Vere­in­barun­gen gemein­sam mit den Seestre­itkräften und Polizeibehör­den mehrerer karibis­ch­er Staat­en in der Karibik an der Bekämp­fung des Dro­gen­schmuggels teilgenom­men. Schon 1997 hat das Insti­tute for Secu­ri­ty der Wes­teu­ropäis­chen Union (WEU) solche Vere­in­barun­gen als geeignete Basis für Ein­sätze der Seestre­itkräfte europäis­ch­er Staat­en in frem­den Hoheits­gewässern angesehen.

Deutsch­land ist poli­tisch gefordert
Die Betra­ch­tung der rechtlichen Sit­u­a­tion allein deckt nicht alle zu bedenk­enden Aspek­te der Her­aus­forderung »Pira­terie« ab. Es sprechen mehr als genug poli­tis­che Inter­essen und auch ethis­che Über­legun­gen für ein ener­gis­ches Vorge­hen gegen die Pirat­en am Horn von Afrika.

Abge­se­hen von eige­nen Sicher­heitsin­ter­essen, immer­hin hängt die innere Sta­bil­ität der Bun­desre­pub­lik stark ab vom wirtschaftlichen Woh­lerge­hen sein­er Bürg­er, pflegt die Bun­desre­pub­lik seit langem ethisch hoch bew­ertete außen­poli­tis­che Prak­tiken wie die Leis­tung human­itär­er Hil­fe, die Deutsch­land vie­len Län­dern und Völk­ern gewährt, und die den Deutschen viel Sym­pa­thie einge­tra­gen hat. Kurz und etwas polemisch for­muliert: Es kann nicht ange­hen, dass die Bun­desre­pub­lik über­all auf der Welt beträchtliche finanzielle Mit­tel ein­set­zt, um human­itäre Hil­fe zu leis­ten und den Wert der Human­ität ver­bal hochhält, aber nicht bere­it ist, leben­snotwendi­ge Hil­f­s­liefer­un­gen nach Soma­lia gegen den Raub durch Wege­lager­er zu schützen! Für der­ar­tige konkrete Schutz­maß­nah­men haben sich Frankre­ich und Däne­mark entsch­ieden, als sie im Herb­st 2007 began­nen, die Schiffe mit den Reis­liefer­un­gen des World Food Pro­grams nach Soma­lia bis in die dor­ti­gen Häfen zu geleit­en (dazu MF3/2008, S. 5f) . Die Bere­itschaft der Fran­zosen und der Dänen, die Nahrungsmit­tel­hil­fe für hungernde Soma­lier not­falls auch gewalt­sam gegen Raubüber­fälle zu schützen, ist prak­tizierte Human­ität. Die Deutschen soll­ten eben­so wie Fran­zosen und Dänen anbi­eten, für eine Zeit von zwei bis drei Monat­en den Schif­f­en mit Hil­f­s­gütern des World Food Pro­grams der UN Geleit bis in die Häfen Soma­lias zu gewähren!

Deutsch­land hat ein vitales Inter­esse an der Sicher­heit der glob­al bedeut­samen Seestraßen – vom Import und Export hän­gen Woh­lerge­hen der Bürg­er und innere Sta­bil­ität des Lan­des ab. Schon deshalb – und erst recht, weil wir Bestandteil der Staatenge­mein­schaft sind – ste­ht die Bun­desre­pub­lik in der Pflicht, auch gegen Pirat­en so vorzuge­hen, wie es ihnen gebührt. Sie sind Ver­brech­er und müssen bestraft und im wahrsten Sinne des Wortes aus dem (See-)Verkehr gezo­gen werden. 

Team GlobDef

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