Die Handlungsbefugnisse der Deutschen Marine nach deutschem Recht
Die Befugnis zur Abwehr von Angriffen auf deutsche Schiffe folgt aus dem Verteidigungsauftrag des Artikels 87a Grundgesetz, der seit dem »Out-of-area-Urteil« des Bundesverfassungsgerichts weit gefasst verstanden wird. Für die Nothilfe bei Angriffen auf Schiffe unter fremder Flagge stellt Artikel 24 Grundgesetz die Basis dar. Er erlaubt die Einordnung der Bundesrepublik in Systeme kollektiver Sicherheit mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten. Das SRÜ ist ein Vertrag, der innerhalb des Systems kollektiver Sicherheit namens United Nations (UN) gegenseitige Befugnisse und Pflichten zum Schutz von Schiffen vor seeräuberischen Übergriffen beschreibt. Nationale Vorschriften, die der Wahrnehmung der entsprechenden Pflichten durch die dazu befähigten Organe entgegenstünden, würden durch ihre Anwendung einen Vertragsbruch bewirken. Dies gilt auch für Hilfeleistungen innerhalb fremder Hoheitsgewässer. Solches Eingreifen kann zwar dem jeweiligen Anspruch auf das Gewaltmonopol entgegenlaufen, stellt aber dennoch keine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker im Sinne des Artikels 26 des Grundgesetzes dar, wenn der jeweilige Küstenstaat seine völkerrechtlichen Pflichten zum Schutz von angegriffenen Schiffen nicht wahrnimmt – unabhängig davon, ob er es nicht kann oder nicht will. In dieser Situation sind die übrigen Vertragsstaaten dazu aufgerufen, einzuspringen, wenn es ihnen möglich ist. Die Abwehr von Piratenangriffen nicht nur auf hoher See, sondern auch in fremden Hoheitsgewässern durch die Deutsche Marine ist daher bei Vorliegen der geschilderten Umstände auch staatsrechtlich gedeckt.
Die Zuständigkeit für die Strafverfolgung – d. h. Festnahme – von Seeräubern wird im Deutschen Recht geregelt in der »Verordnung zur Bezeichnung der zuständigen Vollzugsbeamten des Bundes für Aufgaben nach der Strafprozessordnung auf dem Gebiet der Seeschifffahrt « (Zuständigkeitsbezeichnungs-Verordnung See, ZustBV-See) vom 4. März 1994 (BGBl. I, S. 442, siehe auch »ZustBV-See« unter www.gesetze-im-internet.de). Die Zuständigkeit der Strafverfolgung durch Festnahme liegt auch »seewärts der Begrenzung des deutschen Küstenmeeres« bei der Bundespolizei- See. Das Seegebiet, für das in dieser Vorschrift eine Zuständigkeit ausgewiesen wird, kann sinnvollerweise nur dasjenige Seegebiet jenseits der deutschen Seegrenzen sein, in dem die Boote der Bundespolizei-See regelmäßig Seeraumüberwachung betreiben, also ganz großzügig ausgelegt sind dies die Nord- und Ostsee. Der ganz übrige Rest der Weltmeere ist sicher nicht gemeint, weil es keinen politischen Willen gibt zur entsprechenden Ausdehnung des Operationsgebietes der Bundespolizei See. Deshalb ist die ZustBV-See auf Einsätze am Horn von Afrika oder an anderer weit von Deutschlands Küstengewässern entfernter Stelle nicht anwendbar. Oder sicherheitspolitisch gewendet: Wenn die Sicherheit Deutschlands nach Aussage eines ehemaligen Verteidigungsministers auch am Hindukusch verteidigt wird, dann muss sie auch dort verteidigt werden, wo deutsche Seeleute oder Urlauber auf Kreuzfahrtschiffen oder die lebenswichtigen Warenströme gefährdet sind. Die Deutsche Marine ist in entfernten Seegebieten deshalb auch für die Strafverfolgung zuständig.
Ein Einsatz deutscher Seestreitkräfte in fremdem Hoheitsgebiet zur aktiven Bekämpfung der Piraterie – Verdachtskontrolle, Beschlagnahme oder Zerstörung von Fahrzeugen, Suche nach Tätern in ihren Basen – ist auf der Basis eines UN-Mandats oder aufgrund einer bilateralen Vereinbarung wie oben schon bemerkt völkerrechtlich zulässig. Das Grundgesetz steht solchen Vereinbarungen und Aktivitäten nicht entgegen, wenn sie nicht friedensstörend sind. Bilaterale Vereinbarungen über die gemeinsame Bekämpfung von sogenannten Grey Area Phenomena, zu denen auch die Piraterie gezählt wird, sind übrigens nichts Neues. In den neunziger Jahren hat z. B. die italienische Marine aufgrund von solchen Vereinbarungen gemeinsam mit den Seestreitkräften und Polizeibehörden mehrerer karibischer Staaten in der Karibik an der Bekämpfung des Drogenschmuggels teilgenommen. Schon 1997 hat das Institute for Security der Westeuropäischen Union (WEU) solche Vereinbarungen als geeignete Basis für Einsätze der Seestreitkräfte europäischer Staaten in fremden Hoheitsgewässern angesehen.
Deutschland ist politisch gefordert
Die Betrachtung der rechtlichen Situation allein deckt nicht alle zu bedenkenden Aspekte der Herausforderung »Piraterie« ab. Es sprechen mehr als genug politische Interessen und auch ethische Überlegungen für ein energisches Vorgehen gegen die Piraten am Horn von Afrika.
Abgesehen von eigenen Sicherheitsinteressen, immerhin hängt die innere Stabilität der Bundesrepublik stark ab vom wirtschaftlichen Wohlergehen seiner Bürger, pflegt die Bundesrepublik seit langem ethisch hoch bewertete außenpolitische Praktiken wie die Leistung humanitärer Hilfe, die Deutschland vielen Ländern und Völkern gewährt, und die den Deutschen viel Sympathie eingetragen hat. Kurz und etwas polemisch formuliert: Es kann nicht angehen, dass die Bundesrepublik überall auf der Welt beträchtliche finanzielle Mittel einsetzt, um humanitäre Hilfe zu leisten und den Wert der Humanität verbal hochhält, aber nicht bereit ist, lebensnotwendige Hilfslieferungen nach Somalia gegen den Raub durch Wegelagerer zu schützen! Für derartige konkrete Schutzmaßnahmen haben sich Frankreich und Dänemark entschieden, als sie im Herbst 2007 begannen, die Schiffe mit den Reislieferungen des World Food Programs nach Somalia bis in die dortigen Häfen zu geleiten (dazu MF3/2008, S. 5f) . Die Bereitschaft der Franzosen und der Dänen, die Nahrungsmittelhilfe für hungernde Somalier notfalls auch gewaltsam gegen Raubüberfälle zu schützen, ist praktizierte Humanität. Die Deutschen sollten ebenso wie Franzosen und Dänen anbieten, für eine Zeit von zwei bis drei Monaten den Schiffen mit Hilfsgütern des World Food Programs der UN Geleit bis in die Häfen Somalias zu gewähren!
Deutschland hat ein vitales Interesse an der Sicherheit der global bedeutsamen Seestraßen – vom Import und Export hängen Wohlergehen der Bürger und innere Stabilität des Landes ab. Schon deshalb – und erst recht, weil wir Bestandteil der Staatengemeinschaft sind – steht die Bundesrepublik in der Pflicht, auch gegen Piraten so vorzugehen, wie es ihnen gebührt. Sie sind Verbrecher und müssen bestraft und im wahrsten Sinne des Wortes aus dem (See-)Verkehr gezogen werden.