Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Von Klaus Mommsen
(Klaus Mommsen ist in der Redaktion des MarineForum zuständig für die Berichterstattung zu ausländischen Marinen)
Nicht nur für die USA erhält das offenbar nicht mehr ganz so »Ewige Eis« rund um den Nordpol neue Bedeutung. Auch Russland, Kanada und selbst das kleine Dänemark (Grönland) wollen keinesfalls auf territoriale Ansprüche, vor allem aber nicht auf zunehmend erreichbare regionale Rohstoffe verzichten. Vermehrte Vermessungsoperationen sollen Besitzansprüche auf den arktischen Festlandssockel untermauern.
Auch militärische Aspekte erhalten neue Bedeutung. Bedrohungen waren im Nordpolarmeer bisher eher begrenzt. Neben Fernbombern war die Arktis fast ausschließlich nuklear getriebenen U‑Booten vorbehalten. Vor allem strategische U‑Boote konnten unter dem Eis weitgehend unangreifbar operieren und die für die nukleare Abschreckung unverzichtbare Zweitschlagfähigkeit garantieren. Bei zurückgehender Eisbedeckung sehen sie sich nun erhöhter Bedrohung ausgesetzt, und es wächst die Notwendigkeit, sie durch Flugzeuge und Schiffe zu sichern. Zugleich werden bisher unnahbare Küsten zugänglich. Küstenverteidigung – bisher in der Arktis weitestgehend zu vernachlässigen – wird plötzlich notwendig.
Relevant werden aber auch nicht-militärische Faktoren. Länger befahrbare Seeverkehrswege im Norden von Russland und Kanada werden reale Alternativen zu den langen Wegen durch den Panamakanal oder rund um Südasien. Entlang dieser Routen und einhergehend mit dem Abbau von Rohstoffen wird an den arktischen Küsten neue Infrastruktur entstehen. Nicht zuletzt wird auch der Tourismus bemüht sein, sich das neue, noch weitgehend unentdeckte Terrain zu erschließen.
Im sich rapide verändernden Umfeld werden die Anrainermarinen neue, anspruchsvolle Aufgaben finden: von ganzjähriger Präsenz über Umweltschutz, Versorgung und Seesicherheit bis hin zu Küsten-/Landesverteidigung. Größte Herausforderung könnte die Gewährleistung eines effektiven SAR-Dienstes werden. Neue Seekriegsmittel mit bisher nicht geforderten (und teils sehr teuren) Fähigkeiten zu Operationen im Eis werden unverzichtbar. Ihre Beschaffung drängt und kann schon kurzfristig neue Prioritäten in der Rüstungsplanung schaffen – mit Verdrängungseffekten für andere Vorhaben.
Kanadische Fregatte bei Arktisoperationen Bildquelle: kanad. Marine |
Kanada macht mit der neuen »Canada First« Strategie auch deutlich, dass es nicht auf territoriale Ansprüche und die damit verbundene Ausbeutung von Bodenschätzen in der Arktis verzichten wird; letztere hätten »strategische Bedeutung«. Mit wachsender ökonomischer Bedeutung der zunehmend besser befahrbaren Nordwestpassage nimmt auch ihre politische Bedeutung zu. Am 3. Dezember 2009 erklärte das Parlament in Ottawa den Seeweg schon einmal offiziell zur »Canadian Northwest Passage«. Die Marine übt vermehrt in arktischen Gewässern, ist dabei allerdings noch auf die Sommermonate begrenzt. Neue Schiffe sollen erweiterte Präsenz ermöglichen. Geplant sind bis zu acht Arctic Patrol Ships, die in bis zu einen Meter dickem Eis operieren können. Ausgestattet mit Hubschraubern, sollen sie ganzjährig die Zufahrten zur Nordwestpassage patrouillieren, im Sommer auch in der Wasserstraße selbst präsent sein. Daneben gibt es Forderungen nach »großen bewaffneten Eisbrechern«, die auch über den Sommer hinaus die Nordwestpassage befahren sollen. Standort der Neubauten, deren Beschaffung sich unter knappem Budget allerdings verzögert, soll u.a. ein im Norden von Baffin Island bei Nanisivik neu zu bauender arktischer Tiefwasserhafen werden, der 2015 betriebsklar sein soll.
In Russland ist der Ausbau der Infrastruktur entlang des Nördlichen Seeweges und zur Unterstützung des Rohstoffabbaus beschlossene Sache. Im März 2009 unterzeichnete Präsident Medwedjew ein neues Strategiepapier, das die Arktis als Russlands »Top Strategic Resource Base« postuliert. Schwimmende Kernkraftwerke sollen schon bald arktische Ortschaften mit Energie versorgen. Im Sommer 2008 sprach man offen von einer »Instrumentalisierung« der Marine und des Seegrenzschutzes bei der Unterstreichung von regionalen Ansprüchen. Bei verstärkter maritimer Präsenz sollen Streitkräfte und Grenzschutz in der Arktis bis 2020 deutlich aufwachsen und ihre regionsspezifische Ausrüstung modernisiert werden, eventuell sogar eine neue »Group of Forces« aufgestellt werden.
Dänemark hat sich mit der Ausformulierung einer »Arktis-Strategie« – zumindest öffentlich – bisher noch zurückgehalten. Das bedeutet aber nicht, dass man die Arktis als nachrangig betrachtet. Im Gegenteil: Vermessungen sollen nachweisen, dass der umstrittene Lomonosov-Rücken die geologische Fortsetzung Grönlands ist – der Abbau der hier lagernden Rohstoffe also dänische Sache ist. Im Juli 2009 forderte ein parteiübergreifendes Positionspapier den substanziellen Ausbau der militärischen Fähigkeiten zu Arktisoperationen mit Einrichtung eines eigenen »Befehlsbereiches Arktis« und Aufstellung eines TSK-gemeinsamen Arktisverbandes. Überwachungssysteme sollen modernisiert werden; neue, eisverstärkte Schiffe sollen mit bordgestützten Hubschraubern die schnelle Verlegung von Soldaten ermöglichen. Zwei solche modernen Schiffe der KNUD RASMUSSEN-Klasse sind bereits in Dienst; ein drittes ist geplant.