Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.
Klimawandel und Technologie öffnen neue Perspektiven in der Arktis. Dies hat wirtschaftliche wie strategische Implikationen. Falls die ständige Eisdecke des Polarmeers voraussagegerecht bis 2050 weitgehend schwindet, wird der internationale Schiffsverkehr ebenso ansteigen wie die Ausbeutung von Rohstoffen. Viele Länder drängen sich vor, um Nutzungsrechte in dieser Region zu sichern.
An aktivsten sind logischerweise die Anrainerstaaten, doch selbst die Volksrepublik China will sich Rechte in der Arktis sichern. Lediglich die Vereinigten Staaten hinken bei der Sicherung ihrer Ansprüche hinterher. Dies hängt zu einem großen Teil mit der Tatsache zusammen, dass die USA noch immer nicht die UN-Seerechtskonvention von 1982 (UN Convention on the Law Of the Sea – UNCLOS) ratifiziert haben.
Die Blockade liegt nicht am Weißen Haus – sowohl Präsident Barack Obama wie seine Amtsvorgänger George W. Bush und Bill Clinton sind engagierte Befürworter der Ratifizierung. Eine einflussreiche Minderheit im Senat verhindert eine Abstimmung über die Ratifizierung aufgrund (sachlich nicht gerechtfertigter) Sorgen vor einem maritimen Souveränitätsverlust der USA. Durch diese Weigerung legt sich Washington allerdings Fesseln an; die Souveränitätsansprüche der USA in der Arktis könnten am effektivsten im Rahmen des Seerechtsabkommens durchgesetzt werden.
Arktisstrategie
Auch die internen Maßnahmen bezüglich des arktischen Wandels erfolgen – im Vergleich zu anderen Anrainern – eher spät. Verschiedene Faktoren spielen eine Rolle. Zum einen gibt es im Kongress noch viele Klimawandelskeptiker, die die Erderwärmung als vorübergehendes Phänomen oder gar als politisch-motivierte Erfindung bewerten. Die seit 2001 bestehende einseitige Ausrichtung auf den Nahen Osten und des Terrorismus bindet sowohl die Aufmerksamkeit wie die Ressourcen der USA. Und schließlich gelten seit 2013 für den gesamten Staatsetat der USA strenge Sparmaßnahmen, die eine Bewilligung für arktische Infrastruktur oder der Beschaffung von Ausrüstung für arktische Einsätze erschweren. Hätte der Anrainerstaat Russland nicht in den letzten Jahren einen aggressiveren Kurs eingeschlagen, wäre der Stellenwert der Arktis in der US-Politik mit Sicherheit noch geringer als heute.
Die US-Regierung verfasste erst 2013 eine Nationale Strategie für die Arktisregion, die als Leitplan für künftige Politik und Investitionen dienen soll. Die Strategie verfolgt drei umfassende Ziele: Förderung US-amerikanischer Sicherheitsinteressen; Gewährleistung eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Arktis, einschließlich Umweltschutz und Ressourcenmanagement sowie die Förderung der internationalen Kooperation. Eine im März 2016 veröffentlichte Zwischenbilanz belegt, dass verschiedene Bestandsaufnahmen und Studien, die als Grundlage eines präzisen Aktionsplans dienen sollen, zwischen 2016 und 2019 abgeschlossen sein werden.
Die Infrastrukturmaßnahmen nördlich der Arktis sollen 2020 beginnen und rund zehn Jahre dauern. Hierzu gehört der Ausbau der Hafenkapazität in der Stadt Nome (Bering-Straße), um größere Handelsschiffe aufzunehmen. Die Einrichtung von weiter nördlich gelegenen Nothäfen wird geprüft. Auch die Flugleitsysteme sowie die Kommunikationsinfrastruktur sollen ausgebaut werden.
Die arktischen Gewässer um Alaska umfassen den westlichen Teil des Beaufort- Sees, den östlichen Teil der Tschuktschen-See sowie die Bering Straße. Washington erhebt Anspruch auf den nördlich Alaskas gelegenen Festlandsockel; das beanspruchte Gebiet wäre ungefähr so groß wie Alaska. Alleine hier werden fünfzehn Milliarden Barrel Erdöl vermutet. Gemeinsam mit Kanada leiteten die USA 2009 eine Vermessung des arktischen Meeresbodens ein, um eigene Gebietsansprüche präzise formulieren zu können.
Dies ist vor allem wichtig, weil UNCLOS eine Ausweitung der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) über die standardmäßige 200-Meilen-Zone hinaus ermöglicht, auf bis zu 350 Meilen. Eine internationale Anerkennung erweiterter Gebietsansprüche durch die UN-Festlandsockelkommission kann Washington zwar ohne UNCLOS-Ratifizierung nicht beantragen, doch könnte Washington auf eine Respektierung solcher Ansprüche im Rahmen anderer Körperschaften – etwa des Arktischen Rats – drängen; zudem bleibt die Hoffnung auf eine künftige UNCLOS-Ratifizierung bestehen.
Militärstandort Alaska
Aussetzen Unterwasserdrohne bei ICEX 2016 (Foto: US Navy)Das US-Militär erkannte vor den meisten zivilen US-Behörden die Implikationen des Klimawandels und die Bedeutung der Arktis. Die US-Navy richtete bereits 2009 eine „Arbeitsgruppe Klimawandel“ (Task Force Climate Change) unter Leitung des Chefozeanografen der Navy ein. Die Arbeitsgruppe steuert die meereswissenschaftliche, ökologische und meteorologische Forschung der Navy in der Arktis, um Trends frühzeitig zu erkennen.
Diese Erkenntnisse dienen der Navigationssicherheit und fließen in die Forschungs- und Planungstätigkeit der Seestreitkräfte ein. Im Rahmen dieser Forschung führt die Navy unter anderem in zweijährigen Abständen eine fünfwöchige kombinierte U‑Boot-Übung und Forschungsexpedition in der Arktis durch (Ice Exercise ICEX); die US-Coast Guard (USCG) und andere Behörden beteiligen sich ebenfalls an der Übungsreihe.
Die militärische Verteidigung der arktischen Gebiete der USA obliegt dem nachgeordneten TSK-gemeinsamen Regionalkommando Alaskan Command (ALCOM). ALCOM unterstand ab 1989 dem Oberkommando US-Pacific Command und wurde Ende 2014 dem für den Schutz Nordamerikas zuständigen Northern Command unterstellt. Dies reflektiert die steigende Bedeutung der Arktis auch in der US-Militärplanung. Die ALCOM zugeordneten Einheiten stehen allerdings weiterhin auch für Einsätze im Pazifikraum zur Verfügung.
Während Russland gezielt die Militärpräsenz in der Arktis steigert, stagniert die US-Verteidigungskapazität in der Region. Insgesamt sind 11.000 Army Soldaten in Alaska stationiert, darunter eine Stryker-Brigade bei Fairbanks in Zentral-Alaska, eine Luftlandebrigade bei Anchorage im Süden Alaskas sowie eine Aufklärungsbrigade der Nationalgarde. Das Übungstempo der Army in Alaska wird seit 2014 gesteigert – im November wurden erstmals Stryker-Schützenpanzer nördlich des Polarkreises an die Nordküste Alaskas verlegt – bleibt aber im Vergleich zu russischen Anstrengungen bescheiden. Die einzige Großübung in Alaska, „Northern Edge“, erfolgt nur alle zwei Jahre; die Szenarien gelten nicht dem Schutz Alaskas oder der Arktis, sondern dem TSK-gemeinsamen Einsatz im Pazifikraum.
Die bereits angeführte Luftlandebrigade ist der einzige Großkampfverband der US-Army, der gezielt für Einsätze in extrem-kalten Regionen ausgerichtet ist. Aus Etatgründen sollte die Brigade (4.000 Soldaten) bis 2017 auf ein verstärktes Bataillon (1.050 Soldaten) reduziert werden. Im März wurde die Entscheidung über diesen Abbau um (vorerst) ein Jahr vertagt. Army Stabschef General Mark Milley zitierte russische Aggression in Europa, „aber auch im Pazifikraum und insbesondere in der Arktis“, als Grundlage der Entscheidung. Die Air Force unterhält derzeit zwei F‑22 Jagdgeschwader bei Anchorage. Ab 2020 sollen zwei Geschwader F‑35 bei Fairbanks stationiert werden.
Überlastete Coast Guard
Die maritime Komponente ALCOMs wird als Naval Forces Alaska bezeichnet, besteht allerdings hundertprozentig aus Kräften der US-Coast Guard. Einsätze der Navy in der Arktis bestehen derzeit ausschließlich aus Transitfahrten atomarer U‑Boote unter der Eisdecke. Die Überwasserkriegsschiffe der Navy können nicht in vereisten Gewässern fahren.
Der für Alaska und die Arktis zuständige 17. USCG Distrikt unterhält acht Stützpunkte für Schiffe und Boote sowie drei Flugstützpunkte. Der nördlichst gelegene Standort liegt bei Nome. Der Standortmangel nördlich des Polarkreises erschwert Einsätze entlang der Nordküste Alaskas und in den darüber hinaus liegenden arktischen Gewässern, da keine ständige Präsenz möglich ist. In den Sommermonaten, wenn die Küstengewässer eisfrei sind, werden derzeit einzelne USCG-Schiffe abwechselnd von anderen Standorten abgezogen, um Patrouillen von wenigen Wochen Dauer durchzuführen.
Die erwartete Zunahme des Schiffsverkehrs in der Arktis sowie die Aussicht auf illegale Ausbeutung von Ressourcen innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der USA wird künftig zumindest während der Sommermonate eine ständige Präsenz der Küstenwache erfordern. Auch terroristische Angriffe gegen Öl- und Gasinfrastruktur, mit dem Ziel einer (auch finanziell sehr kostspieligen) Umweltkatastrophe, werden künftig eine reale Gefahr darstellen, sobald die zivile Schifffahrt in der Arktis zunimmt.
Das Ziel einer ständigen Präsenz US-amerikanischer Sicherheitskräfte ist in der Arktisstrategie festgeschrieben. Die USCG Führung konstatiert allerdings eine mangelhafte Ausrüstung für den arktischen Einsatz. „Wir beklagen seit einiger Zeit die mangelnde Fähigkeit unseres Landes, eine sinnvolle Präsenz in der Arktis zu wahren“, erklärte Coast Guard Commandant Admiral Paul Zukunft bereits letztes Jahr.
Trotz Eisschmelze bleibt eine erweiterte staatliche Präsenz in der Arktis weiterhin vom Einsatz schwerer und mittlerer Eisbrecher abhängig. Die USCG verfügt über lediglich zwei voll einsatzbereite Eisbrecher, darunter nur ein schweres Schiff, das 1976 in Dienst gestellt wurde und voraussichtlich in sieben Jahren ausgemustert werden muss. „Es heißt oft, wir können uns [die Beschaffung] nicht leisten; dabei haben wir das achtfache Bruttosozialprodukt Russlands, und die Russen bauen derzeit vierzehn [Eisbrecher]”, erklärt Admiral Paul Zukunft.
Der grundsätzlich beschlossene Bau eines einzigen neuen schweren Eisbrechers wird voraussichtlich erst 2026 vollendet sein und eine Milliarde Dollar kosten; die ersten 150 Millionen Dollar für die Entwicklung wurden im USCG-Etatantrag für 2017 untergebracht. Ferner sollen mehrere kleinere Eisbrecher beschafft werden; hierfür wurde noch kein Zeitplan bekannt gegeben. Die Tatsache, dass die USCG zwischen 2011 und 2015 aufgrund des allgemeinen Sparzwangs vierzig Prozent ihres Beschaffungsetats und 4.000 Planstellen einbüßte, erschwert die Einstellung auf die ansteigende Verantwortung in der Arktis.
Das Verteidigungsministerium räumt ein, dass wir in der Arktis sehr, sehr weit hinten dran sind hinsichtlich Transport und Ressourcen und im Vergleich zu Russland“, erklärt folglich Senator Dan Sullivan aus Alaska. „Wir müssen aufholen.“ Im Kongress laufen mehrere Parallelansätze, um die Eisbrecherflotte zügiger auszubauen; Vorschläge reichen vom Leasing privater Eisbrecher (langfristig teurer und nur durch den Erwerb ausländischer Schiffe realisierbar) bis zur Beschaffung mehrerer kleinerer Eisbrecher an Stelle des schweren Schiffes, um eine größere arktische Präsenz zu gewährleisten. Der Kongressabgeordnete Duncan Hunter schlug im Mai dieses Jahres vor, dass die Navy sich finanziell am Bau des neuen Eisbrechers beteiligen sollte, da die Navy operativ zu den Hauptnutznießern der Eisräumung zählen wird. Hunter und auch einige Senatoren drohen sogar, die Schiffbaubewilligung für 2017 zu blockieren, um einen der Alternativvorschläge durchzusetzen.
Auf TSK-gemeinsamer Ebene werden verbesserte Überwachungsmöglichkeiten des Schiffsverkehrs, einschließlich der Frühidentifizierung anfahrender Schiffe, angestrebt. Unbemannte Sensoren, Flugzeuge und Über- wie Unterwasserdrohnen sowie Satelliten dürften einen Großteil dieser Überwachung durchführen. Der Informationsaustausch auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene soll gesteigert werden. Diesbezüglich wird die bereits enge Kooperation mit den arktischen NATO-Staaten, vor allem Kanada und Norwegen, ausgebaut.
Die US-Navy geht ihrerseits davon aus, dass sie bis 2030, angesichts der Ausweitung der im Sommer befahrbaren Wasserstraße, in der Lage sein wird, eine operative Präsenz in den arktischen Gewässern aufrecht zu halten. Bereits in den nächsten Jahren will die Navy beginnen, einen für arktische Einsätze ausgebildeten Kader aufzubauen. Kenntnisse sollen unter anderem von Partnerdiensten befreundeter Nationen übernommen werden.
Internationale Kooperation
Zusammen mit den sieben anderen arktischen Staaten sind die USA Mitglied im Arktischen Rat (AR); Washington hält derzeit (bis Mai 2017) den turnusmäßigen Vorsitz inne. Die Zusammenarbeit im Rahmen des Rats wird allgemein positiv bewertet. USCG Admiral a.D. Robert Papp, heute Arktisbeauftragter des US-State Department, lobt ausdrücklich auch die russische Einhaltung völkerrechtlicher Normen in der Arktis sowie den Ausbau der für Navigationssicherheit nützlichen Infrastruktur.
Während des Vorsitzes im Arktischen Rat will Washington internationale Übungen der Anrainerstaaten organisieren, um die gemeinsame Bekämpfung von Umweltkatastrophen und Havarien zu optimieren. Hierzu gehört 2017 eine groß angelegte gemeinsame Rettungsübung; als Szenario ist die Havarie eins Kreuzfahrtschiffes in arktischen Gewässern geplant. Ebenfalls bis Mai 2017 soll eine gemeinsame Datenbank erstellt werden, die die S&R und Katastrophenschutzausrüstung der einzelnen Mitgliedsstaaten erfasst und Fehlbestände erkennbar macht. Ferner will Washington mit den Anrainerstaaten sowie mit Nichtanrainern ein Abkommen zur Beschränkung des arktischen Fischfangs vereinbaren, bis ausreichende Kenntnisse hinsichtlich der Fischbestände vorliegen.
Im Juni dieses Jahres wurde ein Kooperationsabkommen der Küstenwachtbehörden der acht AR-Mitglieder in Boston unterzeichnet. Die hierdurch geschaffene Arbeitsgruppe Arctic Coast Guard Forum dient der Verkehrssicherheit sowie dem Umweltschutz in den arktischen Gewässern. Vorerst wurden ständige direkte Kommunikationskanäle zwischen den nationalen Dienststellen hergestellt, die ein gemeinsames Lagebild ermöglichen. Gemeinsame Einsatzrichtlinien sollen bis März 2017 erarbeitet werden, erklärt Admiral Zukunft.
Bereits im Februar tagten die Leiter der Marineforschungsämter aus sechs der acht arktischen Staaten (es fehlten Island und Russland). Es war das erste Treffen hochrangiger Militärs mit dem Zweck der Koordinierung der arktischen Forschung und Technologie. Die Tagung galt sowohl der Grundlagenforschung wie der Entwicklung praktischer Anwendungen für arktische Einsätze. Dies umfasst unter anderem die Entwicklung arktistauglicher Überwasserschiffe und Drohnen sowie Sensoren.
Die Tatsache, dass Russland und andere Staaten derzeit einen Vorsprung beim Ausbau der arktischen Infrastruktur und bei der Anmeldung von Gebietsansprüchen besitzen, muss langfristig keinen Schaden für Washington bedeuten. Klimaforscher gehen davon aus, dass noch zwei bis drei Jahrzehnte vergehen, bis regelmäßige Handelsrouten durch die Arktis eingerichtet werden. Auch jüngste Versuche, Öl- und Gasvorkommen in den von den USA beanspruchten arktischen Gebieten zu erschließen, scheiterten aufgrund der technologischen und klimatologischen Herausforderungen.
Die Vereinigten Staaten können also noch aufholen, allerdings nur, wenn gezielt und beständig an der Infrastruktur, der Technologieentwicklung und der Ressourcenverteilung gearbeitet wird. Die Streitkräfte einschließlich der Küstenwache müssen sich darauf einstellen, dass eine neue, noch weitgehend ungeschützte Angriffsfläche entsteht. Eine russische Invasion über die Arktis dürfte weiterhin Stoff für Abenteuerromane bleiben; hingegen wächst, je zugänglicher die Arktisregion wird, die Gefahr der Sabotageakte oder der Infiltration von Agenten durch staatliche und nichtstaatliche Akteure.