Deutschland — Deutsch-Russische Atom-U-Boot-Entsorgung

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Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der “Marine­Fo­rum — Zeitschrift für mar­itime Fra­gen” veröf­fentlicht.

Marineforum

Deutsch-Rus­sis­che Atom-U-Boot-Entsorgung
Energiew­erke Nord erricht­en Langzeit­lager auf der Kola Halbinsel

von Andreas Knudsen 

Marineforum - Schwimmende Reaktorsektionen (Foto:  EWN)
Schwim­mende Reak­torsek­tio­nen
Bildquelle: EWN

Die naturschöne Hal­binsel Kola hat sich den trau­ri­gen Ruf erwor­ben, eine der Stellen in der Welt mit der höch­sten Konzen­tra­tion radioak­tiv­er Abfall­stoffe zu sein, haupt­säch­lich aus mil­itärischen Hin­ter­lassen­schaften. Anlass zur Besorg­nis nicht nur bei den geografis­chen Nach­barn sind beson­ders die Atom­reak­toren aus­ge­mustert­er sow­jetis­ch­er U‑Boote.

Um die Jahrtausendwende lagen etwa 120 aus­ge­musterte Atom-U-Boote vertäut in der Saj­da-Bucht. Der Atom­müll soll nach Experten­schätzun­gen jährlich bis zu 25 Mil­lio­nen Curie abstrahlen. Rus­s­land fehlen die finanziellen Mit­tel, seinen Verpflich­tun­gen zum Umweltschutz, Pro­lif­er­a­tion und sicheren Ver­wahrung während der Auf­be­wahrungsphase von 70 Jahren nachzukom­men. Erst dann ist die Radioak­tiv­ität soweit abgek­lun­gen, dass mit der eigentlichen Entsorgung begonnen wer­den kann. Deshalb wurde auf dem G8-Gipfel 2002 in Kananask­is (Kana­da) beschlossen, ein Langzeit­lager (LzL) zu erricht­en und für Abrüs­tungs­maß­nah­men bis zu 20 Mil­liar­den Dol­lar bere­itzustellen. Ein Teil­pro­jekt davon ist die Errich­tung eines Langzeit­lagers (LzL) auf der Kola-Hal­binsel, für dessen Finanzierung der dama­lige Kan­zler Schröder 1,5 Mil­liar­den Euro zusagte. 

Greif­swald kommt ins Spiel

Man kön­nte ein­wen­den, dass Schröder einen reich­lich muti­gen Entschluss fasste, deutsche Experten­hil­fe anzu­bi­eten. Der Beschluss sein­er Koali­tion zum Atom­ausstieg wurde erst 2000 gefasst und es lagen im Prinzip noch keine prak­tis­chen Erfahrun­gen vor – wenn man den Blick auf die Alt­bun­desre­pub­lik richtet. Aber in diesem Fall hat­te eines der neuen Bun­deslän­der, Meck­len­burg-Vor­pom­mern, dieses Wis­sen. Das Etikett Tech­nolo­gi­e­s­tandort haben sich die Energiew­erke Nord (EWN) in Greif­swald eigentlich unge­wollt ver­di­ent, zu dem das einzige an das Strom­netz gegan­gene KKW der DDR gehörte. Im Dezem­ber 1990 wurde es auf­grund von Sicher­heitsmän­geln vom Netz geschal­tet und per 30.06.1995 mit dem Rück­bau begonnen. 

Es war ein schw­er­er Entschluss der verbliebe­nen Belegschaft, ihren eige­nen Arbeit­splatz abzubauen, doch die Erken­nt­nis set­zte sich durch, dass hierin auch eine Chance lag. Die beschlosse­nen Abrüs­tungs­maß­nah­men sowie der spätere Beschluss zum Ausstieg der Bun­desre­pub­lik gaben neue Per­spek­tiv­en. »Kon­nten wir das Werk auf­bauen, kön­nen wir es auch abbauen«, hieß nun die Devise, die dazu führte, dass die EWN seit 2003 an Pro­jek­ten im Bere­ich der Stil­l­le­gung, Demon­tage und Entsorgung von kern­tech­nis­chen Anla­gen im In- und Aus­land arbeit­et. Das Bun­desmin­is­teri­um für Wirtschaft und Arbeit beauf­tragte die EWN als deutschen Pro­jek­tko­or­di­na­tor für das LzL Sai­da-Bucht auf der Kola-Hal­binsel, um die von Kan­zler Schröder einge­gan­genen Verpflich­tun­gen zu erfüllen. 

Das Greif­swald den Zuschlag bekam, war nicht nur Anerken­nung bish­er geleis­teter Entsorgungsar­beit von hoch‑, mit­tel- und schwachra­dioak­tivem Mate­r­i­al im eige­nen Haus zuzuschreiben, son­dern auch der min­is­teriellen Erken­nt­nis, dass beim EWN Fach­leute beschäftigt sind, die die sow­jetis­chen Tech­nolo­gien vor Ort, d.h. in der dama­li­gen Sow­je­tu­nion, studiert und ihren Auf- und später notge­drun­gen Rück­bau gel­ernt haben. Neben dem fach­lichen Wis­sen ver­fü­gen sie über die sprach­lichen Ken­nt­nisse auf höch­stem Niveau, die notwendig sind, mit den rus­sis­chen Kol­le­gen, Behör­den und Mil­itärs zusam­men­zuar­beit­en. Eine gemein­same Sprache zu sprechen ist in einem Pro­jekt, das von Geheimhal­tung und Spi­onageangst begleit­et ist, unumgänglich. Wohl über­flüs­sig zu erwäh­nen, dass der rus­sis­che Geheim­di­enst FSB hier mehr als ein Wort zu sagen hat, was geheim ist. Nach Ein­schätzung bei­der Seit­en ist es in den ver­gan­genen Jahren gelun­gen, Mis­strauen zu über­winden und mit gegen­seit­igem Respekt und Ver­trauen erfol­gre­ich zu arbeiten. 

Entsorgung und Langzeit­lagerung

Der erste Schritt ist die Ent­fer­nung der Raketen aus den U‑Booten. Dies geschieht ver­trauens­bildend, d.h. sicht­bar für die amerikanis­chen Überwachungssatel­liten. Die Atom­sprengköpfe und die Brennstäbe der U‑Boote wer­den anschließend per Cas­tor- Zug in die Atom­fab­rik »Majak« in Osjorsk im Ural geschafft, wo sie umgear­beit­et und anschließend in Bergstollen gelagert wer­den. Die Kapaz­itäten für den Trans­port dahin und die Ver­ar­beitung sind allerd­ings begren­zt, sodass jährlich nur 15 U‑Boote abgerüstet wer­den kön­nen. Die ver­strahlten Schiff­s­rümpfe liegen in der Sai­da-Bucht und sind hier Wind, Wet­ter, Salzwass­er, Eis­gang und Gezeit­en aus­ge­set­zt und verur­sachen laufende Kosten für die Wartung. 

Nach der Dearmierung wer­den Bug- und Heck­teile der U‑Boote abge­tren­nt und die Reak­torsek­tion behält nur jew­eils eine Sek­tion vorn und achtern als Auftrieb­skör­p­er. In diesem Sta­di­um wer­den die so genan­nten 3er Sek­tio­nen, die etwa 30 bis 35 m lang sind, von der Sai­da-Bucht zur Ner­pa-Werft geschleppt. Sie liegt im Mil­itär-Städtchen Sneschno­gorsk, 25 Kilo­me­ter nördlich von Murmansk. 

Marineforum - schwimmende Lagereinheiten (Foto: Michael Schmidt)
Schwim­mende Lagere­in­heit­en
Bildquelle: Michael Schmidt

Hier wer­den sie ver­siegelt, ober­flächen­be­han­delt und kon­serviert. Zunächst wird die Zis­terne unter dem Reak­tor zube­toniert und anschließend eine 27 Zen­time­ter dicke Plat­te am Reak­tor­bo­den befes­tigt, die je nach Ver­strahlungs­grad aus Beton, Blei oder Stahl beste­ht. Auf das Met­all, das durch Regen­wass­er ros­ten kann, kommt eine Schutzschicht aus Spezial­lack, die regelmäßig erneuert wer­den muss. 

Marineforum - an Land sind nur Reaktorteile gelagert (Foto: Michael Schmidt)
An Land sind nur Reak­torteile gelagert
Bildquelle: Michael Schmidt

39 U‑Boote sind zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt bere­its zer­legt, während 87 weit­ere darauf warten. Die Zer­legung eines U‑Bootes dauert etwa 6 bis 8 Monate und kostet zwis­chen drei und fünf Mil­lio­nen Euro. Nach der Zer­legung wer­den die Rumpfteile in das LzL in der Sai­da-Bucht geschleppt. Der erste Abschnitt wurde am 18.07.2006 in Betrieb genom­men, während der zweite im Mai dieses Jahres eingewei­ht wer­den wird und die endgültige Fer­tig­stel­lung für 2014 vorge­se­hen ist. Verzögerun­gen treten immer wieder auf, da der rus­sis­che Zoll beispiel­sweise der Ein­fuhr vitaler Teile für das LzL keine hohe Pri­or­ität beimisst und die poli­tis­che Aufmerk­samkeit nicht länger gegeben ist. 

Das LzL wird in den näch­sten Jahrzehn­ten auf 5,5 ha Platz für die Zwis­chen­lagerung der übri­gen U‑Boote bieten. Die Bauar­beit­en wer­den durch Hoch-Tief durchge­führt, während MAN Kiel­block­träger (Tragfähigkeit 400 t) und ein Rang­ier­sys­tem lieferte. Ein com­put­ergestütztes Abfal­l­entsorgungssys­tem ermöglicht die jed­erzeit­ige Nachver­fol­gung aller schwach- und mit­tel­ra­dioak­tiv­en Abfälle. Gelagert wer­den wird hier u.a. Kühlwass­er der Reak­toren, verun­reinigtes Werkzeug, Schiff­steile usw. Darüber hin­aus wird die Sai­da-Bucht von anderen Schiff­swracks der sow­jetis­chen Marine gereinigt. 

Inspek­toren der EWN kon­trol­lieren regelmäßig den Stand der Arbeit­en und ihre ord­nungs­gemäße Aus­führung entsprechend rus­sis­chen und deutschen Nor­men. Die Koor­dinierung erfol­gt in einem Tech­nis­chen Auss­chuss, der par­itätisch deutsch-rus­sisch beset­zt ist. Rus­sis­ch­er­seits sind das Kurtscha­tov-Insti­tut und die Ner­pa-Werft vertreten, die durch das rus­sis­che Atom­min­is­teri­um Minatom damit beauf­tragt wurden. 

Bish­er hat das BMWi mehr als 300 Mil­lio­nen Euro für das LzL und Entsorgungszen­trum Sai­da, etwa die Hälfte der geplanten Mit­tel, angewiesen. Weit­er­hin finanzierte die Bun­desre­pub­lik den Bau der Kon­servierungs- und Reparaturhallen auf der Ner­pa-Werft und die Reparatur des Schwim­m­docks, mit dem die kon­servierten Reak­torsek­tio­nen in die Sai­da-Bucht geschleppt werden. 

Team GlobDef

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