Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Ein kurzer Ausflug ins internationale Seerecht
Die EEZ im Nordpolarmeer Bildquelle: Karte bei globalsecurity.org |
Bis in die 50er Jahre ist die Verteilung der Hoheitsgewässer relativ einfach geregelt. Es gilt eine Dreimeilenzone, später eine Zwölfmeilenzone. Außerhalb ist die »Hohe See« für jeden nicht nur frei befahrbar, sondern auch nutzbar. Dann aber wird unter dem Meer Öl und Gas entdeckt, und es wird die Technologie entwickelt, es auch zu fördern. 1958 einigt man sich in Genf auf die Konvention zum Festlandssockel (Convention on the Continental Shelf). Nun kann ein Staat alle auf dem Festlandssockel vor seiner Küste im Meer (Fische) oder unter dem Meeresboden (Mineralien, fossile Brennstoffe) befindlichen Ressourcen sein eigen nennen. Das definierte Gebiet reicht zunächst einmal bis zu einer Wassertiefe von 200 m.
Die Verteilung fällt allerdings sehr ungleich aus. Während vor der Küste einiger Länder der Meeresboden gleich steil abfällt, ist im Norden Russlands der sibirische Festlandssockel an manchen Stellen sogar 1.500 km breit. Flache Meere wie z.B. die Nordsee müssen zwischen den Anliegernationen aufgeteilt werden. Streit entzündet sich an einem Nebensatz. Da heißt es bei der Definition des Festlandssockels auch »… oder, über diese (200-m-Linie) hinaus bis zu einer Tiefe, in der (dem Küstenstaat) noch ein Abbau der Ressourcen möglich ist«. De facto gilt also: je fortschrittlicher z.B. die Ölfördertechnologie, desto größer der territoriale Anspruch. Die technologisch in der zweiten Reihe stehenden Länder sehen sich im Nachteil. Wo sie selbst Ressourcen nicht nutzen können, dürfen sich ungehindert Andere gütlich tun.
Die 1973 einberufene UN-Seerechtskonferenz (UNCLOS) will u.a. auch diese Probleme lösen. Nach neun Jahren kontroverser Diskussionen verabschiedet sie 1982 das Seerechtsübereinkommen (SRÜ), das verschiedene Zonen für die Ausübung der Hoheitsgewalt und die Ausbeutung von Ressourcen definiert. Nun darf ein Küstenstaat in einer bis zu 200 sm auf See reichenden Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ; engl: EEZ) allein (eben ausschließlich) über alle natürlichen Ressourcen verfügen und deren wirtschaftliche Nutzung steuern. Außerhalb dieser definierten Zone beginnt internationales Gebiet, in dem grundsätzlich Jeder Zugang zu dort lagernden Ressourcen hat. Wer hier Mineralien oder fossile Brennstoffe fördern will, meldet seinen »Claim« bei der International Seabed Authority (ISA) an, die in diesem Gebiet als quasi internationale Behörde deren Abbau organisiert und überwacht.
Damit scheinen nun alle Unklarheiten beseitigt. Das Abkommen wird denn auch von mehr als 150 Staaten ratifiziert und ist in diesen seit 1994 geltendes Recht. Ausgerechnet im SRÜ begründen sich dann aber doch wieder überlagernde Ansprüche. Die »Crux« findet sich im Artikel 76, der breiten Spielraum für Interpretationen bietet. Hier ist nämlich plötzlich auch noch die Rede von einem »geologischen Kontinentalschelf«, der die untermeerische Fortsetzung des Festlandes darstellt und somit zur Wirtschaftszone eines Staates dazugerechnet werden müsse. Auch hier besteht »das Recht, Mineralien und nicht-lebende Ressourcen« (Fischfang ist also ausgenommen) abzubauen, und »andere Staaten dabei auszuschließen«.
Dieser geologische Kontinentalschelf ist die »natürliche Fortsetzung der Landmasse bis zur äußeren Grenze des Kontinents«. Das SRÜ liefert auch eine – komplizierte – Formel für die Bestimmung der Ausdehnung dieses Gebietes, aber selbst bei deren Anwendung bleiben die geografischen Grenzen unscharf. So ist nicht verbindlich definiert, was genau unter »Fortsetzung der Landmasse« zu verstehen ist. Ist dies »morphologisch« zu sehen, gilt also überall dort, wo der Meeresboden der Form der Landmasse folgt? Oder »geologisch«, d.h., die geologische Beschaffenheit des Meeresbodens entspricht der der Landmasse? Oder »tektonisch«, d.h., Steine am Meeresgrund haben den gleichen erdgeschichtlichen Ursprung wie Steine an Land?
Da nicht eindeutig geklärt ist, welcher dieser Faktoren einen rechtlichen Anspruch begründen kann, pickt sich zunächst einmal jede Nation für sich »die Rosinen« heraus, und dies gilt vor allem auch für die Arktis. Nach der SRÜ-Formel kann die Grenze des geologischen Kontinentalschelfs nämlich bis zu 100 sm jenseits der 2.500-m-Wassertiefenlinie liegen, reicht also bis weit in die Tiefsee hinein.
Quer durch das Nordpolarmeer erstreckt sich die Lomonosov Ridge. Der unterseeische Meeresrücken beginnt nördlich von Sibirien, führt fast genau über den Nordpol hinweg und setzt sich dann bis vor die Nordküste Grönlands fort. Wer die fast 1.700 km lange Lomonosov Ridge für sich reklamieren kann, wer also nachweisen kann, dass dieses Unterseegebirge die »Fortsetzung der eigenen Landmasse« ist, der könnte damit praktisch einen Anspruch auf den Löwenanteil der im Nordpolargebiet lagernden, untermeerischen Ressourcen begründen. Bis zu 10 Mrd. Kubikmeter Öl und Gas werden hier vermutet; daneben reiche Vorkommen an Gold und Diamanten. Der Abbau all dieser Rohstoffe könnte dann ohne Anmeldung bei der ISA, ohne deren Koordination und ohne jegliche Abstimmung mit anderen Anrainern beginnen – ja diese wären sogar effektiv von der Förderung ausgeschlossen. Da kann es nicht mehr verwundern, dass nun, da der Klimawandel mehr denn je einen Zugriff auf diese Ressourcen ermöglicht, sich jeder der Arktisanrainer »sein Stück vom Kuchen« sichern und ggf. verteidigen will.