Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
SEESICHERHEIT, PIRATERIE UND TERRORISMUS AUF SEE
(Vizeadmiral a.D. Lutz Feldt ist Präsident des Deutschen Marine Institutes und war in seiner letzten Verwendung Inspekteur der Marine. Konteradmiral a.D. Dr. Sigurd Hess ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schifffahrts- und Marinegeschichte und war in seiner letzten Verwendung Chef des Stabes des NATO HQ Ostseezugänge, Karup, Dänemark)
Es ist verständlich, dass nach der Lektüre der zahlreichen und unterschiedlichen Beiträge zur Seesicherheit im Allgemeinen und der Bekämpfung der Piraterie im Besonderen den Lesern des MarineForum – je nach eigenem Kenntnisstand – sehr konkrete und wichtige Fragen unbeantwortet geblieben sind. Dies hängt auch mit der Sache selbst zusammen: Einerseits handelt es sich bei allen Artikeln nur um »eine« Sicht der Dinge und andererseits ist anzuerkennen, dass wir uns, genau wie die Bürger unserer Nachbarstaaten und Verbündeten, in einem Prozess befinden, den man getrost als einen Lernprozess bezeichnen kann. Das gilt für alle Verantwortlichen und auch für die Beteiligten, die im Einsatz befindlichen Soldaten. Hier soll nun der Versuch unternommen werden, zumindest einige der in den Artikeln genannten Probleme mit Lösungsvorschlägen zu verbinden.
Dabei ist festzustellen, dass sich die Fragen an die Politik richten. Auch wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, die Deutsche Marine verfüge über alle Befugnisse, um erfolgreich handeln zu können, ist dies leider nur ein Teil der Antwort. Die Antworten oder das Schweigen der Politik haben direkte und langfristige Auswirkungen auf das Bewusstsein und Handeln der Soldaten.
Handeln sie, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend, zögern sie aus Unsicherheit oder sehen sie weg: Dies ist die Lage für die Soldaten auf allen Führungs- und Durchführungsebenen. Und diese Lage verlangt eine politische Antwort und am Ende neue Gesetzesnormen.
Die Verantwortung für die Formulierung der Mandate liegt im Bundesministerium der Verteidigung
Was darf die Deutsche Marine für die Aufgabe leisten, Seesicherheit zu bewahren oder wieder herzustellen? Die Deutsche Marine hat im Sinne des Artikels 87a des Grundgesetzes (GG) einen Verteidigungsauftrag, der durch das Bundesverfassungsgericht mit dem Urteil vom 12. Juli 1994 an ein Mandat des Deutschen Bundestages gebunden ist. Diese Mandatsvorschläge werden für jeden Einsatz weitestgehend im Bundesministerium der Verteidigung erarbeitet. Hier liegt also die Verantwortung für die Formulierung der Mandate.
Für die Operation Active Endeavour (OAE) im Mittelmeer wird die Deutsche Marine nach Artikel 5 des NATO-Vertrages eingesetzt, das Mandat wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vom Parlament gebilligt. Dies ist seitdem unverändert gültig. Die Marine verfügt damit über alle Befugnisse, die der NATO-Befehlshaber in Neapel in seinem Operationsbefehl festgelegt hat, und die im Mandat des Bundestages ausdrücklich benannt sind. Damit sind die im Rahmen von OAE eingesetzten Marineeinheiten handlungsfähig.
In ähnlicher Weise wurde das Mandat für die seit Herbst 2001 laufende Operation Enduring Freedom (OEF) gegen den internationalen Terrorismus entwickelt, an dem sich die Deutsche Marine durchgehend beteiligt hat. Wiederholt hat sie auch mit großem Erfolg den Befehlshaber in See gestellt, zuletzt wieder für sechs Monate bis Mitte 2009. Das Mandat ist allerdings auf den Terrorismus begrenzt und ist weiteren Bedrohungen im Seegebiet am Horn von Afrika nicht angepasst worden. Bei Piratenüberfällen durfte nur im Rahmen der Nothilfe gemäß Seerechtsübereinkommen eingegriffen werden, dies hat die Piraten allerdings wenig beeindruckt.
Marinesicherungskräfte auf Wunsch von Reedern und Kapitänen? (Foto: PIZM) |
In der Operation Atalanta der Europäischen Union (EU) ist die Deutsche Marine nach GG-Artikel 24, Abs. 2 eingesetzt. Das vom Bundestag verabschiedete Mandat basiert auf Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und einem Mandat der EU. Die Führung für Atalanta liegt beim EU-Marinehauptquartier in Northwood bei London. Der Operation liegt ein robustes Mandat zugrunde, das vom Verteidigungsministerium mit eigenen Prioritäten umgesetzt wurde. Auch hier ist die Marine handlungsfähig, und zwar im gesamten Spektrum ihrer Fähigkeiten. Das Mandat erlaubt auch die Einschiffung von so genannten »Vessel Protection Teams«, dafür ausgebildeten Soldaten der Marinesicherungskräfte auf Wunsch von Reedern und Kapitänen.
Die lange Zeit nicht geklärte Frage nach der Zuständigkeit bei der Festnahme/Festsetzung von Piraten, der Beweissicherung und der Strafverfolgung ist für diese Operation durch ein Abkommen der EU mit Kenia nun geklärt. Allerdings nimmt das Seerechtsübereinkommen die Staaten, die Piraten festsetzen, auch für die Strafverfolgung in die Pflicht. Insofern ist die gegenwärtige Lösung nur eine Zwischenlösung und nur auf Kenia begrenzt. Bei der Strafverfolgung der Piraten besteht Handlungsbedarf.
Die Embargo-Operation vor dem Libanon beruht auf einem Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Auch hier basiert der Einsatz der Marine auf GG-Artikel 24, Abs. 2. Das Mandat hat drei Komponenten: Die Erste betrifft die militärische Embargo-Operation, die Zweite die politische Aufgabe, die Blockade der libanesischen Küste durch die Israelische Marine zu beenden und die Dritte den Ausbildungsauftrag gegenüber der Libanesischen Marine. Die Operation wird von den Vereinten Nationen aus New York geführt. Der Befehlshaber in See ist über einen langen Zeitraum durch die Deutsche Marine gestellt worden. Das Mandat, wiederum im Verteidigungsministerium erarbeitet, gibt der Marine die notwendigen Befugnisse zur Auftragserfüllung.
Die Antwort auf die Frage nach den Befugnissen ist damit gegeben: Bei Einsätzen, die im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems auf der Grundlage des GG-Artikels 24 erfolgen und denen der Bundestag zugestimmt hat, verfügt die Marine über die im nationalen Mandat beschlossenen Handlungsspielräume. Wie mehrfach festgestellt, unterliegen sie der Kontrolle der Politik. Insoweit ist es richtig und auch angemessen festzustellen, dass eine Ergänzung des Grundgesetzes oder ein gesondertes Seesicherheitsgesetz für die oben genannten Einsätze nicht erforderlich ist.
Ganz anders sieht die Lage allerdings außerhalb dieser auf GG-Artikel 24 basierenden Einsätze aus. Dies lässt sich an einem möglichen Szenario sehr gut verdeutlichen: Eine Fregatte der Deutschen Marine hat ihre Teilnahme an der Operation Atalanta erfolgreich beendet.
Übergabe eines mutlamßlichen Piraten in Kenia (Foto: PIZM) |
Dabei hat die Besatzung Piraten festgesetzt und in Kenia den Strafverfolgungsbehörden übergeben, hat erfolgreich durch Präsenz und den Einsatz von Bordwaffen Piratenangriffe auf Handelsschiffe verhindert. Auf dem Rückmarsch als Einzelfahrer und unter nationalem Kommando wird sie Zeuge eines Angriffs von Piraten auf ein Handelsschiff. Dieselbe Besatzung, die vorher unter internationalem Kommando Piraten aktiv bekämpfte, darf nun nur noch im Rahmen der Nothilfe des Seerechtsüberein- kommens agieren. Dass dies nicht ausreicht, hat die Entwicklung am Horn von Afrika in den Jahren vor 2008 gezeigt.
Aber auch auf dem weiteren Rückmarsch, sowohl auf Hoher See wie auch in den eigenen Hoheitsgewässern, sind der Marine keine Befugnisse übertragen worden, die den möglichen Bedrohungen gerecht werden würden. Weder ist die Bekämpfung des Drogenhandels auf Hoher See zulässig, noch die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, noch die Bekämpfung von terroristischen Bedrohungen vor der eigenen Haustür und auch dort nicht, wo sie ihren Ursprung haben, noch die Bekämpfung von Menschenhandel oder illegaler Migration, noch die Bekämpfung von illegalem Waffenhandel über See. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen, die Bedrohungen sind real und Deutschland trägt eine im Seerechtsübereinkommen formulierte Mitverantwortung für die Sicherheit auf den Weltmeeren.
Sowohl die EU, als auch die NATO, als auch Sicherheitsbündnisse in anderen Regionen der Welt schätzen den Transport von Massenvernichtungswaffen über den Seeweg als eine der gefährlichsten Bedrohungen ein. Alle informellen Bitten unserer Verbündeten nach Beteiligung der Deutschen Marine sind schon im Bundesministerium der Verteidigung abschlägig beschieden worden. Die Begründungen der Ablehnung waren und sind die fehlenden Regelungen im Grundgesetz. Dies bezieht sich sowohl auf die Lage auf der Hohen See und in der Außenwirtschaftszone, also bis zu 200 sm von der Küste entfernt, wie auch in unseren eigenen Hoheitsgewässern, also in dem Seegebiet bis zu 12 sm von unserer Küste entfernt.
Auch hier verfügt die Deutsche Marine über keine Befugnisse und Zuständigkeiten und damit verbunden auch über keine Verantwortung. Diese teilen sich Bundes- und Länderministerien und deren Behörden. Die Marine kann auf Anforderung von Amtshilfe gem. GG-Artikel 34 nur diejenigen nichtmilitärischen Fähigkeiten ihrer Soldaten und Einheiten, Schiffe und Flugzeuge einbringen, über die auch die Polizei verfügen würde, nicht mehr und nicht weniger. Je nach Bedrohungslage ermöglicht das eine mehr oder weniger erfolgreiche Zusammenarbeit mit Bund und Ländern. Ist die Bedrohung durch die Polizei oder zivile Kräfte nicht erfolgreich abzuwehren, ist die Deutsche Marine nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht befugt zu handeln, nicht innerhalb der Hoheitsgewässer und auch nicht außerhalb. Täte sie es doch, um größeren Schaden oder eine Katastrophe abzuwenden, agierte sie in einer Grauzone des Rechts, manche würden später von Verstößen gegen das Grundgesetz sprechen. Dies ist den verantwortlichen Offizieren und Besatzungen nicht zuzumuten – und da hilft auch das Wort eines Ministers, mag es noch so ehrlich gemeint sein, nicht weiter.
Zwar hat die Begründung der Ablehnung des Luftsicherheitsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht wenig mit der Formulierung eines notwendigen und erforderlichen Seesicherheitsgesetzes zu tun, dennoch ist eine Passage für die gegenwärtige Rechtslage zu beachten. Die Streitkräfte dürfen bei Anforderung und Billigung der Amtshilfe nur diejenigen Fähigkeiten einbringen, über die auch die Polizei verfügt. Rechtssicherheit für die Soldaten zu schaffen ist die Grundlage für jeden Einsatz, aber dies ist auch unabdingbar, wenn die Sicherheit unseres Landes und seiner Bürger gewährleistet werden soll.
Dabei geht es um folgende Ergänzungen im GG-Artikel 35,Abs. 4 (neu): »Reichen zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalles polizeiliche Mittel nicht aus, so kann die Bundesregierung den Einsatz der Streitkräfte mit militärischen Mitteln anordnen. Soweit es dabei zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, kann die Bundesregierung den Landesregierungen Weisungen erteilen. Die Anordnung nach Satz 1 ist jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im Übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.« Diese Ergänzung des Grundgesetzes würde eine klare Rechtsposition schaffen und einen Teil der Lücke schließen, die zurzeit dazu führt, dass die Marine über die Mittel verfügt, aber keine Kompetenz hat und die anderen über die Kompetenz verfügen, aber keine ausreichenden Mittel haben.
Darüber hinaus wäre auch eine Ergänzung des GG-Artikels 87a,Abs. 5 notwendig, um Klarheit zu schaffen: »Außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland dürfen Streitkräfte nach den Regeln des Völkerrechts, auch zur Unterstützung der zuständigen Bundesbehörden, eingesetzt werden. Einsätze bedürfen der Zustimmung des Deutschen Bundestages; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.« Dieses Bundesgesetz wäre das schon lange notwendige Seesicherheitsgesetz.
Notwendig und überfällig:
Zusammenführung von Lebenswirklichkeit und Verfassungswirklichkeit
Liest man die vorgeschlagenen Ergänzungen und bedenkt man die Forderung nach einem Seesicherheitsgesetz, dann fällt es schwer, dahinter einen Anschlag auf die grundsätzliche und auch weiterhin richtige Trennung von polizeilicher und militärischer Zuständigkeit zu vermuten. Es handelt sich ganz im Gegenteil um die notwendige und überfällige Zusammenführung von Lebenswirklichkeit und Verfassungswirklichkeit. Dies dient der Sache, der Sicherheit unseres Landes und seiner Bürger.
Eine ebenso wichtige und überfällige Entscheidung betrifft die Regelung der unterschiedlichen und zum Teil konkurrierenden Zuständigkeiten der Bundes- und Länderbehörden innerhalb der Hoheitsgewässer und in den Hafenzufahrten und Häfen.
Der Aufbau eines »Maritimen Sicherheitszentrums« in Cuxhaven mit der Übergangslösung des »Gemeinsamen Lagezentrums« und die entsprechenden Verwaltungsvereinbarungen ermöglichen erste Schritte zur Zusammenarbeit. Dort fehlt es aber bis heute an einer klaren, durchsetzungsfähigen und einfachen Führungs- und Entscheidungsstruktur, die auch unter Handlungsdruck arbeiten kann und schon vorher in der Lage gelebt hat.
Es fehlt eine Küstenwache, wie sie einige unserer Nachbarn schon haben und andere ebenfalls aufbauen. Hier wäre dann auch auf das Polizeiaufgabengesetz einzugehen, dass ebenfalls ergänzt werden müsste. Dazu ist aber eine gesonderte Betrachtung notwendig (vergleiche den informativen Artikel von Professor Dr. Uwe Jenisch, Walther-Schücking-Insitut für Internationales Recht, Kiel und Deutsches Marine Institut, Bonn in Hansa Nr. 6 vom Juni 2009, Seite 66ff.). Das kann und soll hier nicht geschehen, auch wenn nicht verkannt wird, dass es zu einem Ressortübergreifenden Ansatz der Sicherheitsarchitektur dringend notwendig wäre.