Als Inselnation am Westrand Europas steht die Republik Irland vor der geostrategischen Herausforderung, ein großes Seegebiet mit begrenzten Mitteln glaubhaft überwachen und schützen zu müssen. Verschärft wird das maritime Dilemma des Inselstaates durch eine Bevölkerung von nur 4,6 Millionen Einwohnern, eine geringe Wirtschaftskraft und die konsequente Neutralitätspolitik des Landes, die eine langfristige Arbeitsteilung mit Marinestreitkräften anderer Staaten außen- und innenpolitisch erschwert.
Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.
Dennoch ist es Irland in den vergangenen Jahren gelungen, kleine aber effektive Marinestreitkräfte aufzubauen, die ihren Aufgaben weitgehend gewachsen sind, und das trotz zunehmender Auslandseinsätze fernab heimatlicher Gewässer. Insbesondere konnte die Marine ihren Umfang auch nach dem Ende des Kalten Krieges halten und ihr Fähigkeitsspektrum in mancherlei Hinsicht sogar ausbauen, womit sie sich von anderen europäischen Marinen spürbar abhebt. Gegenwärtig durchläuft die Marine der Inselrepublik ein umfangreiches Beschaffungsprogramm, das dem Land in wenigen Jahren eine Flotte mit recht niedrigem Durchschnittsalter bescheren wird, womit sich Irland künftig noch mehr als Partner im Rahmen maritimer EU‑, NATO- und UN-Missionen empfiehlt.
Historische Entwicklung
Die Marine der Republik Irland kann auf eine fast hundertjährige Geschichte zurückblicken, die ihren Anfang in den Wirren des irischen Unabhängigkeitskampfes gegen Großbritannien nach 1916 nahm. Der kurz nach der Unabhängigkeit der Republik Irland im Jahre 1922 ins Leben gerufene „Coastal and Marine Service“ bestand zunächst aus einer kleinen Flotte aus Schleppern, Trawlern und Flusspatrouillenbooten, das Personal rekrutierte sich überwiegend aus den Reihen der ebenfalls recht jungen Handelsmarine. Zu diesem Zeitpunkt unterhielt Großbritannien noch einige Marinestützpunkte auf irischem Boden und kontrollierte auch weiterhin die Gewässer rund um die Insel.
erstes irisches Schiff ‘Muirchu’ (Foto: INS)1924 wurden fast alle Schiffe der jungen Marine verkauft und die von Großbritannien gerade übernommene Marinebasis Haulbowline bei Cork eingemottet. Schon bald bestand die irische Marine aus lediglich einem Fischereikreuzer, der später dem Landwirtschafts- und Fischereiministerium unterstellt wurde und erst 1936 ein Geschütz zur Selbstverteidigung erhielt.
1938 räumte Großbritannien seine letzten Marinestützpunkte in Irland, womit die kleine Inselrepublik endgültig die volle Verantwortung für ihre Küstengewässer übernahm. Vor dem Hintergrund des im September 1939 beginnenden Zweiten Weltkriegs wuchs die irische Marine nun rasch an und bestand 1941 bereits aus zehn Schiffen, darunter sechs von Großbritannien gelieferte Torpedoboote. Auch die stillgelegte Marinebasis Haulbowline wurde eilig reaktiviert und zum Hauptstützpunkt der irischen Marine ausgebaut, deren wesentliche Aufgabe fortan in der Küstensicherung bestand, weshalb sie zu Beginn der 1940er Jahre zeitweilig als „Marine and Coastwatching Service“ firmierte.
FLOWER-Korvette ‘Macha’ (Foto: INS)Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Irland drei Flower-Korvetten aus britischen Kriegsbeständen, die als „LÉ Macha“, „LÉ Maeve“ und „LÉ Cliona“ („LÉ“ steht für „Long Éireannach“, dt. „irisches Schiff“) nun den gesamten Bestand der seit September 1946 als „Naval Service“ bezeichneten Marine bildeten. 1970 hatten die drei Kor- vetten das Ende ihrer Nutzungsdauer erreicht, für einige Monate musste die Marine nun ohne Schiffe auskommen. Erst ein Jahr später standen drei gebrauchte Küstenminensuchboote der britischen TON-Klasse zur Verfügung: „LÉ Grainne“, „LÉ Banba“ und „LÉ Fola“. 1972 stieß mit dem Offshore Patrol Vessel (OPV) „LÉ Deirdre“ schließlich nicht nur erstmals ein Schiffsneubau, sondern auch das erste in Irland selbst gebaute Schiff zur Flotte.
Einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung des Naval Service bildete die Erweiterung der Fischerei- bzw. Wirtschaftszone (Exclusive Economic Zone, kurz EEZ) auf 200 Seemeilen am 1. Januar 1977, mit der vor allem die Fischbestände in diesen Gewässern besser geschützt werden sollten. Eilig wurde die Marine nun durch zwei gebrauchte Schiffe ergänzt, den Trawler „LÉ Ferdia“ und das Hilfsschiff „LÉ Setanta“, die jedoch nur Übergangslösungen darstellten. Beide Schiffe wurden schon 1978 bzw. 1984 außer Dienst gestellt und durch drei neue OPV der EMER-Klasse ersetzt. „LÉ Emer“, „LÉ Aoife“ und „LÉ Aisling“ bildeten mit ihren 1.025 t leicht vergrößerte Varianten von „LÉ Deirdre“ und wurden überwiegend aus Mitteln der damaligen Europäischen Gemeinschaft finanziert; zu Beginn der 1980er Jahre bestand der Naval Service damit erstmals für kurze Zeit aus acht Schiffen.
‘Eithne’ (Foto: Michael Nitz)Als Ersatz für die zwischen 1984 und 1987 außer Dienst gestellten Küstenminensuchboote der TON-Klasse erwarb der Naval Service 1984 mit „LÉ Eithne“ zunächst ein Helicopter Patrol Vessel (HPV), 1988 stießen mit „LÉ Orla“ und „LÉ Ciara“ zwei gebrauchte britische Coastal Patrol Vessel (CPV) zur Flotte. Auf die 2001 außer Dienst gestellte „LÉ Deirdre“ folgten mit „LÉ Róisín“ und „LÉ Niamh“ schließlich zwei Large Patrol Vessel (LPV), fortan unterhielt der Naval Service wieder acht Schiffe.
Zwischen 2014 und 2016 wurden die OPV der EMER-Klasse sukzessive durch rund doppelt so große OPV-Neubauten aus britischer Produktion ersetzt. Diese nunmehr größten und modernsten Schiffe des Naval Service tragen im Gegensatz zum Rest der Flotte keine Namen aus der irisch-keltischen Geschichte und Mythologie, sondern wurden nach herausragenden Vertretern der englischsprachigen Literatur Irlands benannt („LÉ Samuel Beckett“, „LÉ James Joyce“ und „LÉ William Butler Yeats“). Mit Gesamtkosten von 213 Mio. € stellte das ehrgeizige Beschaffungsprojekt den Verteidigungshaushalt des kleinen Landes (2016 rund 904 Mio. €, was etwas mehr als 0,4% des Bruttoinlandsprodukts entspricht) naturgemäß vor große Herausforderungen.
Wachsendes Aufgabenspektrum
Der Naval Service und seine Vorgängerorganisationen hatten über die Jahrzehnte ein stetig wachsendes Aufgabenspektrum zu bewältigen. Bis zum Ende der 1930er Jahre, als Großbritannien noch einige Marinestützpunkte auf irischem Boden unterhielt, stand vor allem der Fischereischutz im Mittelpunkt der maritimen Interessen Irlands; erst mit dem Zweiten Weltkrieg traten der Küstenschutz und die Sicherung der irischen Neutralität hinzu.
Der Fischereischutz gewann infolge der massiven Ausdehnung der EEZ im Jahre 1977 wieder an Bedeutung, woran sich aufgrund der enormen Größe des Seegebiets bis heute nichts geändert hat. So kontrollierte der Naval Service allein 2015 nicht weniger als 1.079 Schiffe im Rahmen von Fischereiinspektionen, teilweise auch außerhalb der eigenen EEZ unter Einbeziehung von EU-Inspektoren. Zusätzlich ist seit einer Gesetzesänderung 1994 die Bekämpfung der Drogenkriminalität in Zusammenarbeit mit Polizeibehörden in den Fokus des Naval Service gerückt.
Das traditionell umfangreiche Engagement Irlands im Rahmen multinationaler UN-Blauhelmeinsätze hatte hingegen lange Zeit nur bedingt Auswirkungen auf den Naval Service. Die Anschaffung immer größerer Schiffe ermöglichte es dem Land in den letzten Jahren jedoch zunehmend, international auch maritim in Erscheinung zu treten. So wurden irische UN-Blauhelme in Eritrea 2002 durch „LÉ Niamh“ versorgt; von Ostafrika aus startete „LÉ Niamh“ dann zu einer diplomatischen Mission nach Asien, die unter anderem nach China und Japan führte. 2006 bzw. 2010 statteten „LÉ Eithne“ bzw. „LÉ Niamh“ im Zuge ähnlicher Missionen mehreren Staaten auf dem amerikanischen Kontinent einen Besuch ab.
In der jüngeren Vergangenheit hat sich der Naval Service im Rahmen der Operation Pontus auch an der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer beteiligt. So operierten zwischen Mai und November 2015 nacheinander „LÉ Eithne“, „LÉ Niamh“ und „LÉ Samuel Beckett“ unter italienischer Führung im Mittelmeer und retteten dabei zusammen rund 8.500 Flüchtlinge aus Seenot, was von der irischen Medienöffentlichkeit aufmerksam verfolgt wurde. Auch im Sommerhalbjahr 2016 befanden sich einzelne Schiffe des Naval Service im Mittelmeereinsatz und retteten dabei erneut einige tausend Flüchtlinge. Es darf davon ausgegangen werden, dass Irland einen Schwerpunkt seiner maritimen Anstrengungen auch künftig im Bereich multinationaler – vor allem humanitärer – Operationen unter EU‑, NATO- oder UN-Führung sieht.
Klassische SAR- und Umweltschutzaufgaben fallen in Irland hingegen in die Verantwortung der Küstenwache (Irish Coast Guard), die nicht dem Naval Service unterstellt ist und auch keine eigenen Schiffe unterhält. Stattdessen verfügt die Irish Coast Guard über eine Flotte aus fünf geleasten Sikorsky S‑92 Hubschraubern, die auf vier Stützpunkte im Land verteilt sind.
Struktur des Naval Service
Heute bildet der Naval Service zusammen mit dem Heer (Army) und der Luftwaffe (Air Corps) der Republik Irland die Irish Defence Forces. Von den gegenwärtig rund 9.100 aktiven Angehörigen der Streitkräfte entfallen 7.300 auf das Heer, über 700 auf die Luftwaffe und fast 1.100 auf die Marine, was in etwa ihrer Sollstärke entspricht. Dem Hauptquartier des Naval Service in Haulbowline bei Cork unterstehen als wesentliche Kommandos das Naval Operations Command (zuständig für alle maritimen Operationen), das Naval Support Command (Marineunterstützungskommando) und das Naval College, das für die Ausbildung aller Marineangehörigen verantwortlich zeichnet. Als Oberkommandierender fungiert der Flag Officer Commanding the Naval Service (FOCNS) im Rang eines Commodore.
Der Naval Service unterhält gegenwärtig acht Schiffe, was nach dem 2015 veröffentlichten White Paper on Defence auch langfristig so bleiben soll. Die Schiffe sind zwischen 700 und 2.250 t groß und weisen Besatzungsstärken zwischen 39 und 54 Personen auf, womit sie in den meisten Marinen allesamt als OPV klassifiziert werden würden. Der Naval Service teilt die Schiffe jedoch in vier verschiedene Klassen ein, die die unterschiedlichen Aufgaben der Schiffe zum Ausdruck bringen sollen (HPV, LPV, OPV und CPV).
In allen Fällen verfügen die Schiffe über je ein großes Hauptgeschütz (76-mm-OTO Melara oder 57-mm-Bofors), zwei kleinere Geschütze des Kalibers 20-mm und meist noch einige Maschinengewehre, womit die Fähigkeitsspektren gewisse Schnittmengen aufweisen, was aber letztlich nur die traditionellen Hauptaufgaben des Naval Service in den Bereichen Fischereischutz und Seeüberwachung widerspiegelt.
Als Flaggschiff dient dem Naval Service gegenwärtig „LÉ Eithne“, die 1986 als erstes Schiff der irischen Marine den Atlantik überquerte. „LÉ Eithne“ verfügt mit ihren 1.960 t und 81 m Länge trotz ihrer Klassifizierung als HPV über keinen eigenen Bordhubschrauber, dient aber landgestützten Hubschraubern als mobile Landeplattform. Als dienstältestes Schiff der irischen Marine soll „LÉ Eithne“ in den nächsten Jahren durch ein Mehrzweckschiff (Multi-Role Vessel, kurz MRV) mit Hubschrauberdeck und gewisser Transportkapazität ersetzt werden. Speziell die im jüngsten White Paper on Defence erwähnte Forderung nach hoher Flexibilität und Anpassungsfähigkeit empfiehlt dieses MRV in besonderer Weise für Operationen in Übersee.
Für die Überwachung küstennaher Gewässer stehen dem Naval Service mit „LÉ Orla“ und „LÉ Ciara“ zwei CPV zur Verfügung, die mit ihren 700 t und 63 m Länge zwar die kleinsten Schiffe der Marine sind, dafür aber über eine recht hochkalibrige Hauptwaffe verfügen (76-mm-OTO Melara). Die von der Royal Navy 1988 übernommenen Schiffe werden in absehbarer Zeit das Ende ihrer Dienstzeit erreichen und sollen nach dem Willen des White Paper on Defence 2015 durch neue CPV ersetzt werden, die zusätzlich über Fähigkeiten in den Bereichen IED-Bekämpfung und Minenabwehr verfügen sollen und damit das Fähigkeitsspektrum der Marine qualitativ erweitern werden.
Die um die Jahrtausendwende in Dienst gestellten LPV der RÓISÍN-Klasse („LÉ Róisín“ und „LÉ Niamh“) haben die Möglichkeiten des Naval Service für Einsätze fernab heimischer Gewässer entscheidend erweitert, wie beispielsweise die für irische Verhältnisse spektakulären Überseemissionen von „LÉ Niamh“ in den Jahren 2002, 2010 und 2015 eindrucksvoll belegen. Beide Schiffe sind mit ihren 1.600 t und 79 m Länge sowie ihrer robusten Bauweise in besonderer Weise für die rauen Verhältnisse des westlichen Atlantik, aber auch für längerfristige Operationen in Übersee geeignet.
Jüngster Zulauf des Naval Service sind die drei OPV der SAMUEL BECKETT-Klasse, die letztlich modernisierte und größere Varianten der RÓISÍN-Klasse darstellen. Mit 2.250 t und 90 m Länge bilden „LÉ Samuel Beckett“, „LÉ James Joyce“ und „LÉ William Butler Yeats“ die größten Schiffe der irischen Marine und sind für eine Vielzahl an Aufgaben geeignet, unter anderem auch für den Einsatz von Unmanned Aerial Vehicles (UAV). Mittlerweile ist ein viertes Schiff der Klasse für 66 Mio. € bei Babcock in Großbritannien in Auftrag gegeben worden, das bis 2018 zur aktiven Flotte stoßen soll.
Ausblick
Aufgrund seines mehrmals erweiterten Aufgabenspektrums gehört der irische Naval Service zu wenigen europäischen Marinen, die über die Jahrzehnte quantitativ und qualitativ gewachsen sind. Verfügte der Naval Service 1950 noch über lediglich drei gebraucht erworbene Korvetten mit zusammen rund 3.000 t, hatte er 1990 einen Bestand von sieben Schiffen mit über 7.900 t, der bis 2016 auf acht Schiffe mit rund 13.400 t anwuchs, von denen die meisten neu erworben wurden. Der im White Paper on Defence von 2015 in Aussicht gestellte baldige Ersatz für „LÉ Eithne“ und die beiden kleineren CPV wird das Durchschnittsalter der Schiffe des Naval Service weiter sinken lassen.
Inwieweit das in Auftrag gegebene vierte OPV der SAMUEL BECKETT-Klasse als Ersatz für „LÉ Eithne“ vorgesehen ist, bleibt dabei abzuwarten. Als MRV im Sinne des jüngsten White Paper on Defence eignen sich die OPV der SAMUEL BECKETT-Klasse jedenfalls nur bedingt; nicht zuletzt können die OPV keine Hubschrauber an Bord nehmen. Insofern erscheint es durchaus denkbar, dass der Naval Service in den kommenden Jahren weiteres quantitatives Wachstum erfahren wird.
Zusätzliche Nahrung haben diese Spekulationen durch eine Aussage von Premierminister Enda Kenny im Oktober 2016 erhalten, wonach der Naval Service in Zukunft über ein Lazarettschiff verfügen soll, das Irlands Möglichkeiten bei humanitären Operationen erweitern würde. In der Tat würde ein solches Lazarettschiff ein maritimes Analogon zu den langjährigen Blauhelmeinsätzen des irischen Heeres bilden und das Land künftig noch stärker in humanitäre Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft einbinden. In jedem Falle wird der Naval Service in Zukunft verstärkt darauf vorbereitet sein müssen, auch in Übersee Flagge zu zeigen.