von Peter Boßdorf
Es ist nun zehn Jahre her, dass Wladimir Putin die Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz mit einem konfrontativen Redeauftritt verstörte. Eine derart undiplomatische Rhetorik passte nicht zum Bild des Stabilitätspartners, das man sich zu diesem Zeitpunkt noch vom Kremlchef machte. Die Aufregung verflüchtigte sich jedoch rasch. Die Kassandrarufe, man solle vielleicht einmal darüber nachdenken, wie stabil und sicher die Lage an der Ostflanke der NATO ist und ob das Bündnis wohl angemessen aufgestellt wäre, verhallten. Erst die Ukraine-Krise sollte ein Umdenken auslösen.
Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.
Putins Rede war aber nicht die einzige vertane Chance für einen kritischen Blick auf den Zustand des Bündnisses. Eine weitere bot sich im Juni 2011. Der scheidende US-Verteidigungsminister Robert Gates stattete dem NATO-Hauptquartier in Brüssel einen Abschiedsbesuch ab, um vor hochrangigen Repräsentanten der Mitgliedsstaaten das Fazit aus seiner Amtszeit zu ziehen. Seine Rede war, wenn auch aus anderen Gründen, nicht weniger verstörend als Putins Auftritt in München und blieb genauso folgenlos.
Gates las den Europäern die Leviten und malte die Zukunft des Bündnisses in düsteren Farben. Der Libyen-Krieg hätte gezeigt, wie es um die militärischen Fähigkeiten der europäischen Verbündeten wirklich bestellt wäre. Manche von ihnen seien nach dem einstimmigen Beschluss zur Intervention erst gar nicht in der Lage gewesen, Truppen zu stellen, und jene, die dazu bereit waren, hätten selbst gegen diesen weit unterlegenen Gegner eine Durchhaltefähigkeit von nicht mehr als drei Wochen gehabt. Die NATO sei zu einer Zwei-Klassen-Allianz verkommen, in der die einen willens wären, militärisch zu handeln, und die anderen nur auf Gespräche und Peacekeeping aus seien. Wenn dieser Trend nicht gestoppt würde, wenn die Europäer nicht endlich bereit seien, mehr in ihre militärischen Fähigkeiten zu investieren, dürften sie sich nicht wundern, wenn eine neue Generation amerikanischer Politiker, die nicht mehr von den Erfahrungen des Kalten Krieges geprägt wäre, das Interesse an der NATO verlöre.
Donald Trump ist zwar sicher kein Repräsentant dieser „neuen Generation“, aber die Skepsis gegenüber der NATO, die aus seinen Aussagen immer wieder herausklingt, fällt nicht aus dem Rahmen dessen, was in den vergangenen Jahren auf der anderen Seite des Atlantiks zu hören war. Das besonders Bedauerliche an dieser Kritik ist, dass sie sich mit Argumenten kaum entkräften lässt. Wenn die Europäer aufrichtig sind, können sie nur eingestehen, dass sie tatsächlich über Jahrzehnte Friedensdividenden einfahren und Sparzwängen folgen konnten, weil sie sich als Trittbrettfahrer der kollektiven Sicherheit auf die Amerikaner verlassen durften. Allerdings sollte der Fairness halber auch nicht vergessen werden, dass die langjährige Fokussierung auf friedenserhaltende und Stabilisierungsoperationen transatlantischer Konsens in der NATO war – und dafür weniger Ressourcen als für die Bündnisverteidigung zur Verfügung stehen mussten.
Der Appell der Amerikaner, dass die Europäer mehr in ihre Verteidigung investieren müssen, ist ernst zu nehmen. Die Weichen für eine Abkehr vom Kaputtsparen der Streitkräfte wurden aber bereits gestellt, bevor Trump auf der politischen Bildfläche erschien. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg konnte vor kurzem in seinem Jahresbericht bilanzieren, dass die Bündnispartner 2016 ihre Ausgaben um 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert haben. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, und Deutschland ist mit der eingeleiteten Trendwende ein Vorreiter. Der Verteidigungshaushalt wächst. Eine umfassende Modernisierung der materiellen Ausstattung ist angestoßen.
Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf den Erhalt und Ausbau der maritimen Fähigkeiten gelegt. Dies ist die logische Konsequenz aus der sicherheitspolitischen Lagebeurteilung, die die Bundeskanzlerin auf der 10. Nationalen Maritimen Konferenz im April vorgetragen hat. Die Außengrenzen, die wir heute zu schützen haben, sind nicht mehr unsere nationalen, sondern durch den Schengen-Raum definiert. Die Herausforderungen, die es an ihnen zu meistern gilt, sind zu einem großen Teil eine Aufgabe für Seestreitkräfte im Zusammenwirken mit der Grenzschutzpolizei der EU.
Das zweite Los der Korvette K130 ist in diesem Zusammenhang – neben anderen wie dem Mehrzweckkampfschiff MKS180 – ein zentrales Vorhaben, damit Deutschland seiner gewachsenen Verantwortung für die maritime Sicherheit Europas zeitnah noch besser gerecht werden kann. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung hat es einen besonderen Stellenwert. Der politische Wille, es auf den Weg zu bringen, ist stark, und Mittel zu seiner Finanzierung sind avisiert. Nun kommt es darauf an, dass der öffentliche Auftraggeber und die Industrie zu praktikablen Verträgen zusammenfinden. Gelänge dies in dem angestrebten ambitionierten Zeitrahmen, ließe sich von einem Signal sprechen. Man dürfte den weiteren Modernisierungsvorhaben der Bundeswehr mit Optimismus entgegensehen.