(Dr. Sebastian Bruns ist am Institut für Sicherheitspolitik Universität Kiel (ISPK) gGmbH tätig)
Die Deutsche Marine steht vor einer umfassenden Modernisierung. Nach mehr als zwei Jahrzehnten Schrumpfkur wachsen die Seestreitkräfte endlich wieder. Neben zwei zusätzlichen Unterseebooten Typ 212NG stehen bis Mitte der 2020er Jahre ein zweites Los Korvette K130 (fünf Boote) und vier bis sechs Mehrzweckkampfschiffe MKS180/F126 auf dem Einkaufszettel. Die Wunschliste enthält darüber hinaus Ersatz für die Tanker „Rhön“ und „Spessart“, die sechs Tender der ELBE-Klasse und die Flottendienstboote „Alster“, „Oste“ und „Oker“. Die Nachfolge der Minenabwehrfahrzeuge der HAMELN‑, KULMBACH‑, FRANKENTHAL- und ENSDORF-Klasse wird sich ebenfalls zum gegebenen Zeitpunkt regeln, von den Mehrzwecklandungsbooten „Lachs“ und „Schlei“ sowie einem neuen Segelschulschiff ganz zu schweigen.
Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.
Von den U‑Booten abgesehen, die seit Einführung in Deutschland meist schlichtweg durchnummeriert werden, besteht die Notwendigkeit, die Neubauten mit (prägnanten) Taufnamen zu versehen. Die Führung der Marine sollte mithilfe der maritimen Community diese Gelegenheit nutzen, über die Auswahl der Namen einer breiten Öffentlichkeit die Traditionen der Marine zu vermitteln.
Ein kurzer Rückblick auf die „Dickschiffe“ sei gestattet: Die ersten Zerstörer, von der US-Marine übernommen, wurden als „Z1“-„Z6“ eingestellt. Preußische Militärs standen für die gebraucht erworbenen Schulfregatten der damaligen Bundesmarine Pate. Auf „Brommy“, „Gneisenau“, „Hipper“ und Co. wuchsen der jungen Marine im Westen die Seebeine. Ob die Namen, die teilweise auch von der Kriegsmarine genutzt wurden, bei Auslandsausbildungsfahrten hochgezogene Augenbrauen provozierten, bleibt hier spekulativ.
Die Eigenbauten Westdeutschlands bekamen, angefangen mit den Zerstörern Z101/ HAMBURG über die Fregatten F120/KÖLN und F122/BREMEN dann unstrittige, wenngleich z.T. traditionsreiche Städte- und Bundesländernamen. Die Volksmarine (DDR) wählte für die meisten ihrer Einheiten übrigens auch Städtenamen, natürlich aus Ostdeutschland, ergänzt um Namen von Einzelpersonen, denen sozialistische Vorbildfunktion zugedacht wurde. An das Erbe anderer deutscher Marinen wollte man ausdrücklich nicht anschließen.
Nach 1990 ist die Deutsche Marine bei den Fregatten der Baureihen F123/BRANDENBURG, F124/SACHSEN und F125/BADEN-WÜRTTEMBERG nunmehr vollständig auf Bundesländer umgeschwenkt. Die Einsatzgruppenversorger der Marine sind nach Stätten gesamtdeutscher Demokratiegeschichte benannt. „Berlin“, „Frankfurt am Main“ und „Bonn“ sind damit ein Beispiel für die Begründung einer neuen Tradition und Ausbau der selbigen. Dafür finden sich bei den Korvetten vom Typ K130/BRAUNSCHWEIG einige Traditionsnamen wieder.
Wenn es nun an die Namensfindung für die Neubauten geht, wäre es wünschenswert, eine umfassende Debatte über maritime Traditionslinien anzuregen. Eltern konsultieren für ihren Nachwuchs entweder dicke Bücher oder Google: Wie verhält es sich aber mit der Deutschen Marine? Auf welches Buch, welchen Experten oder welche Website greift man zurück? Wie findet man einen griffigen und identitätsstiftenden Namen, der auch in ein paar Jahrzehnten noch wirkt?
Sicherlich stehen Mölders, Rommel und Lütjens (die älteren werden sich erinnern) nicht mehr zur Diskussion. Ein Grund mehr, in der Auswahl der Namensgebung ebenso präzise wie geistreich zu sein. Wenn die Wahl auf Traditionsnamen fiele, könnte die in Deutschland vom Aussterben bedrohte Zunft der Marinehistoriker zeigen, welche Umbrüche, Irrwege, Traditionen und Erfolge die Geschichte aufweist. Die fünf neuen Korvetten nach den traditionsreichen „Städte“-F122ern zu taufen (Köln, Lübeck, Emden, Karlsruhe und Augsburg) würde Kontinuitäten und Wandel unterstreichen und wäre, ganz nebenbei, Ausdruck von Verbundenheit mit Großstädten in gleich fünf verschiedenen Bundesländern.
Für MKS180 und andere künftige Kriegsschiffe wäre auch denkbar, Mut zur Lücke zu beweisen. Muss es immer der [Ortsname] an [Fluss/Höhenzug] sein? Was, wenn künftig FGS „Einigkeit“, FGS „Recht“ und FGS „Freiheit“ zur See fahren? Oder gibt es Bundespräsidenten oder Kanzler, die sich besonders für die Marine eingesetzt haben und die man auf diese Art würdigen könnte? Erstrebenswert ist eine selbstbewusste Debatte, die von einer kreativen Öffentlichkeitsarbeit flankiert wird.
Warum nicht „cross-medial“ ansetzen, „Die Rekruten“ in einem Spin-Off bei Youtube auf marinegeschichtliche Entdeckungstour gehen lassen? Bietet die entstehende Fernsehserie über die Marineschule Mürwik (MSM) Raum für das Einspleißen solcher Narrative? Auch eine Internetabstimmung ist denkbar, wenn eine gewisse begründete Vorauswahl getroffen wird, um achteraus treibende Voten auszuschließen. Selbstironie muss dabei nicht zwangsläufig zu kurz kommen. Beinahe wäre ein britisches Forschungsschiff von der Internetmehrheit auf „Boaty McBoatface“ getauft worden. Diesen Namen bekommt nun die Drohne, die die künftige RSS „Sir Richard Attenborough“ mitführt.