Als Fazit des aktuellen Quartalsberichtes des International Maritime Bureau steht die Erkenntnis, dass es weltweit noch nie so viele Piratenüberfälle gegeben hat wie in diesem Jahr; mit in den ersten neun Monaten insgesamt 352 gemeldeten Kaperversuchen sei ein neuer Rekord erreicht worden. Positiv sei allerdings zu vermelden, dass die Erfolgsquote somalischer Piraten deutlich zurück gegangen sei. Nur noch relativ selten gelänge es ihnen, ein Schiff tatsächlich in ihre Gewalt zu bringen. Grund dafür seien zum einen die zunehmend koordinierten Einsätze zahlreicher internationaler Marinen, vor allem aber auch effektivere Eigenschutzmaßnahmen (bewaffnete Sicherheitsteams, Schutzräume) an Bord von Handelsschiffes. Immer weniger Kapitäne und Reedereien vertrauten bei der Passage von piraten-gefährdeten Seegebieten auf ihr „Glück“.
Karte: gcaptain.comgcaptain |
Die abgelaufene Woche unterstreicht dies nachdrücklich. Unter weiter verbessertem Wetter hat es eine ganze Reihe von Überfällen gegeben, die allerdings sämtlich scheiterten. Die Orte der versuchten Kaperungen — vom Westeingang zum Golf von Aden, über das Arabische Meer und die Seegebiete nördlich der Seychellen bis ins Somaliabecken östlich von Tansania – zeigen, dass die somalischen Piraten nach dem Ende der Monsunzeit nun wieder in der ganzen Region aktiv werden.
Am 15. Oktober griffen sie im nördlichen Arabischen Meer einen malaysischen Frachter an, konnten aber wegen effektiver Schutzmaßnahmen (u.a. Stacheldrahtverhaue) nicht an Bord gelangen. Am gleichen Tag versuchte eine andere Bande nordwestlich der Seychellen ihr Glück nacheinander bei drei Fischereifahrzeugen, blieb aber auch hier erfolglos. Im Ostausgang des Golfs von Aden griffen Piraten am 16. Oktober mit zwei Skiffs den türkischen Frachter BURAK A an, beschossen diesen auch mit Panzerfaustgranaten. Der Kapitän befahl die Besatzung in den Maschinenraum (einen speziell gesicherten Schutzraum gab es nicht; ein Sicherheitsteam war nicht an Bord). Nur drei Mann blieben auf der Brücke, und diese konnten die Piraten mit heftigen Ausweichmanövern am Entern hindern bis sie schließlich aufgaben. Vor der Küste von Sansibar näherten sich am gleichen Tag Piraten mit einem Skiff dem Frachter GAS BALI, drehten aber schon nach dem ersten Warnschuss eines eingeschifften Sicherheitsteams ab.
Mitten auf dem von Kriegsschiffen gesicherten Transitweg (IRTC) durch den Golf von Aden versuchten Piraten, eine Fracht-Dhau zu kapern, vermutlich mit der Absicht, sie als Mutterschiff für weitere Überfälle zu nutzen. Im Arabischen Meer wurde ein Frachter von drei Skiffs „gejagt“, konnte aber entkommen. Zwei Zwischenfälle gab es am 17. Oktober vor der Küste Tansanias. Zunächst meldete ein Frachtschiff die „verdächtige Annäherung“ eines Skiffs, konnte sich aber mit Ausweichmanövern einem möglichen Angriff entziehen. Nächstes Ziel der vermutlich gleichen Bande war das Containerschiff EMIRATES ZAMBESI, das in der Nacht etwa 35 sm vor Sansibar angegriffen wurde. Hier war man vorbereitet. Die Besatzung wurde in den Schutzraum befohlen, Ausweichmanöver eingeleitet, und als dann auch noch ein eingeschifftes Sicherheitsteam die Schüsse der Piraten erwiderte, brachen diese ihr Vorhaben schnell wieder ab.
Zwei weitere Angriffe wurden schließlich am 19. Oktober gemeldet. Knapp nördlich der Meerenge des Bab el Mandeb versuchten Piraten, den Massengutfrachter MSC KALINA (Flagge Panama) zu kapern, brachen ihr Vorhaben aber ab, als die pakistanische Fregatte BABUR (CTF-151) am Schauplatz des Geschehens erschien. Nördlich der Seychellen versuchten Piraten an einem weiteren Fischereischiff ihr Glück, scheiterten aber auch hier. Nur einmal wären die Verbrecher fast erfolgreich gewesen. Vor Südsomalia konnten sie ein kenianisches Fischerboot kapern, durften sich allerdings nur kurz über die Beute freuen. Die Fischer konnten ihre Entführer überwältigen und sich in den Hafen von Mogadischu retten.
Nicht nur dass in der abgelaufenen Woche kein einziger Überfall mit der tatsächlichen Entführung eines Schiffes endete: insgesamt neun von Kriegsschiffen aufgebrachte und „neutralisierte“ Pirate Action Groups (PAG) verstärkten noch die aktuelle „Negativbilanz“ somalischer Piraten. Am 16. Oktober war die britische Fregatte SOMERSET (NATO) erfolgreich. 100 sm vor der somalischen Küste traf sie auf die pakistanische Fischer-Dhau HIBID FIDI. Das Fahrzeug versuchte die Flucht, wurde aber durch Warnschüsse des Bordhubschraubers gestoppt. Bei der Durchsuchung stellte sich heraus, dass Piraten die Dhau einige Tage zuvor gekapert hatten und seitdem als Mutterschiff nutzten. Unter anderem war die HIBID FIDI auch Basis für den Überfall auf die italienische MONTECRISTO (11 Oktober) gewesen. Nun wurde die pakistanische Besatzung befreit, die Piraten in Gewahrsam genommen, ihre Waffen und Ausrüstung konfisziert.
HIBID FIDI wird aufgebracht (Foto: NATO) |
Am 18. Oktober brachten Kriegsschiffe unmittelbar vor der Küste Zentralsomalias zwei Dhaus auf, die sich offenbar gerade auf den Weg zu einer Kaperfahrt machen wollten. Zwei Tage später konnte vor Südsomalia eine weitere PAG mit einem offenen Mutterboot (Whaler) abgefangen werden. Details zu diesen Vorfällen werden in Medien nicht genannt. Üblicherweise werden Waffen und Ausrüstung konfisziert, „überzählige“ Boote (Angriffs-Skiffs) versenkt oder unbrauchbar gemacht und die mutmaßlichen Piraten, denen zu diesem Zeitpunkt ja noch kein spezifisches Verbrechen nachzuweisen ist, dann an die Küste zurück geschickt. So auch am 18. Oktober geschehen, als das Wachschiff SUKANYA der indischen Marine im Golf von Aden eine Dhau mit einem Skiff im Schlepp abfing.
Auf der internationalen politischen Bühne gibt es weitere Vorstöße, die zahlreichen Anti-Piraterie Operationen von multinationalen Verbänden oder einzelnen Marinen unter einen Hut zu bringen. Auf dem zur Zeit am US Naval War College in den USA stattfindenden 20. Internationalen „Seapower Symposium“ erneuerte Indiens Marinebefehlshaber Admiral Verma die Forderungen nach einer gemeinsamen, von den Vereinten Nationen mandatierten, koordinierten und auch geführten Operation. Ägyptens Marinechef stieß in das gleiche Horn: seine Marine würde sich erst dann in internationale Anti-Piraterie Operationen einbringen, wenn diese „unter einem Mandat“ der Vereinten Nationen stünden. Wahrscheinlich meint der Admiral wie sein indischer Amtskollege allerdings „Führung“ durch die Vereinten Nationen. Ein umfassendes Mandat für Anti-Piraterie Operationen am Horn von Afrika (und zwar bis in somalische Hoheitsgewässer hinein) haben die Vereinten Nationen mit den Resolutionen Nr. 1816, 1846 und 1851 des UN Sicherheitsrates nämlich bereits 2008 erteilt. Die größeren am Horn von Afrika operierenden Marinen stehen einer UN-geführten Operation eher skeptisch gegenüber, befürchten u.a. eine Verwässerung der operativen Rahmenbedingungen (u.a. Rules of Engagement) auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
Indische Do-228 (Foto: ind. Marine) |
Die iranische Fregatte JAMARAN (Teil der 16. iranischen Anti-Piraterie Einsatzgruppe) ist am 17. Oktober zu einem Versorgungsstopp in Salalah, Oman, eingelaufen. Für das erst im vergangenen Jahr in Dienst gestellte, neue iranische Kampfschiff ist es der erste Besuch in einem ausländischen Hafen. Die iranische Militärführung hat noch einmal Absichten zu „Operationen im Roten Meer“ betont. Möglicherweise macht die JAMARAN im Rahmen ihres derzeitigen Anti-Piraterie Einsatzes demnächst einen „kleinen Ausflug“ nach Norden.
Der russische Hochsee-Bergeschlepper MB-304 (SORUM-Klasse) hat seinen dreimonatigen Einsatz im Golf von Aden beendet und den Rückmarsch zur Schwarzmeerflotte angetreten. Der Schlepper hatte u.a. den Einsatz des Nordflottenzerstörers SEVEROMORSK unterstützt, der inzwischen in seinen Heimathafen zurück gekehrt ist.
Wie schon in den letzten zwei Jahren, wird die indische Marine während der „Piratensaison“ erneut Einheiten „vorgeschoben“ auf den Malediven stationieren. Neben einigen (ungenannten) Schiffen und Booten soll ein Seeaufklärungsflugzeug Dornier 228 nach Male verlegen und in den kommenden drei Wochen von dort aus Einsätze über dem südlichen Arabischen Meer und dem Somaliabecken fliegen. In den letzten Jahren hatten somalische Piraten ihre Raubzüge mehrfach bis direkt vor die Malediven und die indischen Lakkadiven ausgedehnt.
Immer mehr Reeder heuern offenbar bewaffnete Sicherheitsteams für ihre Schiffe an, und damit wächst natürlich auch die Nachfrage bei zivilen Firmen, die entsprechende Dienst anbieten. So will die britische International Protection Vessel, die bereits 750 ehemalige Soldaten (meist frühere Angehörige der Royal Marines oder anderer britischer Special Forces) unter Vertrag hat, weitere 250 Mann einstellen.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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