Während im nordöstlichen Arabischen Meer und im Golf von Oman der einsetzende Monsun die Handelsschifffahrt inzwischen weitgehend, aber nicht völlig, vor Piratenüberfällen schützt, gehen diese in anderen Seegebieten unvermindert weiter. Auch in dieser Woche wurden eine ganze Reihe Kaperversuche gemeldet, die glücklicherweise aber sämtlich erfolglos blieben. Noch gutes Wetter — dies wird sich in den kommenden Wochen allmählich ändern – erleichtert den somalischen Piraten vor allem im Golf von Aden, vor der Ostküste Somalias und weiter südlich im Somaliabecken vor Tansania die Suche nach Beute.
Am 16. Mai werden gleich drei Zwischenfälle gemeldet; bei allen dreien greifen US-Kriegsschiffe ein, aber das dabei gezeigte Verhalten gegenüber Piraten ist doch erstaunlich unterschiedlich. Vor Socotra trifft die Fregatte STEPHEN W. GROVES (NATO) auf das im März 2010 gekaperte und seitdem als Mutterschiff genutzte taiwanesische Fischereifahrzeug JIH CHUN TSAI 68. Es kommt zu einem kurzen Feuergefecht; dann entern US-Soldaten das Fahrzeug. Der Kapitän der JIH CHUN TSAI 68 und drei Piraten werden tot gefunden; zwei weitere Besatzungsmitglieder sind verletzt; vom Rest der einst 14 Mann Besatzung findet sich keine Spur. Die überlebenden Piraten werden in Gewahrsam genommen, kurz darauf dann aber wohlbehalten an der somalischen Küste abgesetzt.
JIH CHUN TSAI 68 Bildquelle: EU NavFor |
Beim zweiten Zwischenfall reagiert der Zerstörer BAINBRIDGE (NATO) auf den Notruf des Frachters MSC ALAYA, der im Ostausgang des Golfs von Aden angegriffen wird, sich durch Ausweichmanöver schließlich aber selbst retten kann. Als die BAINBRIDGE vor Ort eintrifft, sind die Piraten schon wieder zu ihrem Mutterschiff — eine vier Tage zuvor entführte Dhau — zurück gekehrt. Die vier Piraten werden „überredet“, die Dhau und die als Geiseln festgehaltene Besatzung freizugeben und mit einem Skiff zur somalischen Küste zurück zu kehren. Das kleine Boot erweist sich jedoch als seeuntüchtig. Als es zu sinken droht, nimmt die BAINBRIDGE die Piraten auf, wahrscheinlich um sie selbst zur somalischen Küste zu bringen.
Bei beiden Vorfällen bleiben die Piraten trotz nachweislicher Geiselnahme, im Fall der JIH CHUN TSAI 68 sogar nach einem Feuergefecht mit toten Geiseln, völlig unbehelligt. Beide US-Kriegsschiffe operierten unter NATO-Führung, unterliegen damit auch den für die NATO Operation „Ocean Shield“ geltenden Rules of Engagement. Diese sind unter dem kleinsten gemeinsamen (politischen) Nenner der NATO-Staaten offenbar so ausgelegt, dass Piraten grundsätzlich kaum etwas zu befürchten haben.
Völlig anders dagegen der dritte Zwischenfall des 16. Mai. Im Golf von Oman greifen Piraten den mit Rohöl beladenen, aus dem Persischen Golf kommenden deutschen (Flagge: Panama) Supertanker ARTEMIS GLORY an. In der Nähe steht der US-Zerstörer BULKELEY. Er gehört zur im Arabischen Meer im Rahmen der Operation Enduring Freedom (Afghanistan) operierenden ENTERPRISE Carrier Strike Group der US Navy. Der Bordhubschrauber wird sofort gestartet. Als er vor Ort eintrifft, sind die Piraten noch immer mit ihrem Angriff auf den Supertanker beschäftigt. Offenbar sofort (von Warnschüssen wird nicht berichtet) wird vom Hubschrauber aus das mit vier Piraten besetzte Skiff unter Feuer genommen und zerstört; keiner der Piraten überlebt. Für das unter nationaler US-Führung operierende Schiff gelten die sehr restriktiven Rules of Engagement der NATO nicht; hier kommt allein das allgemeine „Recht zur Selbstverteidigung“ zum Tragen, das (so der Kommandant) in zulässiger Erweiterung auch bei einem Angriff auf andere Schiffe gilt.
Die drei Beispiele sind symptomatisch für die völlig unterschiedlichen Rahmenbedingungen, unter denen Seestreitkräfte in der Region operieren. Paradoxerweise scheint das persönliche Risiko für Piraten ausgerechnet dann am größten, wenn sie auf ein Kriegsschiff treffen, das sich nicht in einem dezidierten Anti-Piraterieeinsatz befindet.
Karte: gcaptain.com |
Neben diesen drei Vorfällen des 16. Mai gibt es natürlich weitere gemeldete Überfälle. Am 14. Mai greifen Piraten mit einem Skiff mitten im Arabischen Meer den Gastanker MAERSK GLORY an. Auf das Schiff mit seiner brisanten Ladung geschossene Panzerfäuste verfehlen glücklicherweise ihr Ziel, und der Tanker kann sich schließlich mit Ausweichmanövern retten. Am 17. Mai nehmen südöstlich von Garacad (Somalia) Piraten in zwei Skiffs den Frachter PUNCHDAN unter Feuer; auch dieses Schiff kann sich durch Ausweichmanöver retten. Ebenfalls am 17. Mai werden schließlich weiter südlich vor der Küste Tansanias der Frachter FELICITY ACE und das spanische Fischereischiff ALAKRANTXU von somalischen Piraten angegriffen. Der Frachter kann durch Ausweichmanöver ein Entern vermeiden: der Angriff auf das spanische Fischereischiff wird sofort abgebrochen, als ein eingeschifftes bewaffnetes Sicherheitsteam die Schüsse der Piraten erwidert.
Am gleichen Tag vereitelt die iranische Marine vor der Südostküste Somalias einen Angriff auf den iranischen Frachter ATTAR. Staatliche iranische Medien berichten von einem „iranischen Kriegsschiff“, das sich ein „einstündiges Feuergefecht“ mit einem Skiff geliefert habe. Ob dieses nun beschädigt oder versenkt wurde, bleibt allerdings unerwähnt; auch zum Schicksal der Piraten schweigt man sich aus.
Dies legt natürlich die Schlussfolgerung nahe, dass die iranische Marine sich grundsätzlich damit begnügt, Piraten durch Warnschüsse zu vertreiben, sie ansonsten aber völlig unbehelligt lässt. Tatsächlich hat es auch noch nie eine Medienmeldung gegeben, in der von einer Festnahme von Piraten die Rede war. Andererseits scheinen iranische Medien es aber mit Details nicht sonderlich genau zu nehmen. Wann immer die iranische Marine einen Überfall vereitelt, berichten sie sofort von einem „Kriegsschiff“. Der Verlauf einiger Zwischenfälle lässt jedoch den Schluss zu, dass oft gar kein Kriegsschiff beteiligt ist, sondern vielmehr an Bord des angegriffenen Schiffes eingeschiffte iranische Marinesoldaten die Piraten abwehren. Hier gibt es dann natürlich keine Verfolgung oder Festnahme von Piraten, und in der Regel werden die angreifenden Skiffs auch nur auf Distanz gehalten und nicht versenkt. Heroische Berichte über „stundenlange Seeschlachten“ von Kriegsschiffen mit Piraten scheinen den iranischen Medien allerdings wohl besser geeignet, der Bevölkerung den erfolgreichen Anti-Piraterieeinsatz der Marine nahe zu bringen.
Zwei weitere, schon einige Tage zurück liegende aber erst nachträglich gemeldete Vorfälle unmittelbar vor der somalischen Küste sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Am 12. Mai stößt das dänische Mehrzweckschiff ESBERN SNARE (NATO) auf eine von Piraten entführte und anschließend als Mutterschiff missbrauchte iranische Dhau. Nach kurzem Feuergefecht kann ein Boardingteam das Boot „unter Kontrolle bringen“. Vier Piraten werden getötet, weitere 24 festgesetzt und bis zur politischen Entscheidung über ihr weiteres Schicksal an Bord der ESBERN SNARE in Gewahrsam gehalten. Die 16 befreiten iranischen Geiseln dürfen sich mit ihrer Dhau auf die Heimreise machen. Einen Tag später sichtet die portugiesische Fregatte VASCO DA GAMA (EU NavFor) direkt vor der somalischen Küste eine Dhau, die sich offenbar gerade von einem bekannten Piratenlager auf den Weg zu einer Kaperfahrt machen will. Warnschüsse vom sofort eingesetzten Bordhubschrauber zwingen die Piraten zurück zur Küste.
Kurzmeldungen
— Unverblümt fordert der Oberbefehlshaber der chinesischen Streitkräfte, General Chen Bingde, eine Ausweitung des Kampfes gegen die somalische Piraterie. „Wir sollten Piraten nicht nur auf See, sondern auch an Land bekämpfen. Auf See finden wir nur die Helfer; die Bosse sitzen an Land.“
— Das Maritime Safety Committee (MSC) der International Maritime Organization (IMO) hat am 20. Mai eine einstweilige Handlungsempfehlung („interim guidance“) für die Einschiffung bewaffneter ziviler Sicherheitskräfte an Bord von piraten-gefährdete Gebiete vor Somalia und im Indischen Ozean passierenden Handelsschiffen gebilligt.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
— Auf dem Weg von der Kola Halbinsel ins Einsatzgebiet am Horn von Afrika ist der russische Zerstörer SEVEROMORSK am 17. Mai zu einem dreitägigen geplanten Besuch in Lissabon (Portugal) eingelaufen.
— Die spanische Fregatte CANARIAS hat am 19. Mai mit Einlaufen im Heimathafen ihren mehrmonatigen Einsatz zur Unterstützung der EO „Operation Atalanta“ beendet.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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