Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
In normalen Zeiten freue ich mich als Chefredakteur des Marineforum, zur Feder greifen zu können, um einen ausführlicheren Artikel oder kurzen Beitrag zu einem maritimen Sachthema zu schreiben. Aber die Zeiten scheinen für die Marine bei Redaktionsschluss für die März-Ausgabe des Marineforum nicht normal zu sein. Vordergründig geht es um eine Sachangelegenheit: die Ausbildung auf einem Segelschulschiff. Sieht man aber genauer hin, geht es – wie immer – vor allem auch um die handelnden Menschen, um Politik, um Interessen und um Meinungsbildung. Die Gesamtthematik, die unter dem medienwirksamen Titel »GORCH FOCK« firmiert, hat in einer Vielzahl der veröffentlichten Meinungen die Sachebene – leider – deutlich verlassen.
Jürgen E. Kratzmann |
Tatsache ist, dass im November 2010 Sarah Lena S. während der Hafenausbildung in einem südamerikanischen Hafen aus der Takelage der GORCH FOCK stürzte und wenige Stunden später im Krankenhaus verstarb. Wir alle trauern mit der Familie und den Freunden der jungen Offiziersanwärterin und wünschen ihnen Kraft, um diese ganz besondere Situation zu bewältigen. Der Tod einer Kameradin während eines Ausbildungsabschnittes kann aus meiner Sicht niemals einen »hinzunehmenden Betriebsunfall« darstellen, sondern sollte für alle in dieser Ausbildung befindlichen Soldatinnen und Soldaten und für ihre Ausbildungsverantwortlichen ein Anlass sein, innezuhalten und über ihr Tun intensiv nachzudenken.
Fast zwei Monate nach dem Unfall wendet sich der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, in einem Schreiben an den Bundesminister der Verteidigung, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, und bittet um Aufklärung von Ereignissen, die ihm Besatzungsangehörige der GORCH FOCK durch Eingaben berichtet haben. Damit fällt der Startschuss für ein Medienspektakel, welches das Bundesministerium der Verteidigung, die Marine, die GORCH FOCK und einzelne aktive und ehemalige Marineangehörige erfasst. Mit dem Untersuchungsauftrag des Verteidigungsministers zur Aufklärung der Ereignisse auf der GORCH FOCK, der – nicht nur in der Marine diskutierten – Entbindung des Kommandanten von seinen Pflichten, bis hin zur Infragestellung des Ausbildungskonzepts und damit auch des Schiffes selbst, findet das Geschehen einen medialen Höhepunkt.
Was wollen wir in dieser Situation tun? Das Marineforum wird sich an Vorverurteilungen, Vermutungen, Gerüchten bis hin zu bewertenden Aussagen – egal von welcher Seite diese auch immer geäußert werden – nicht beteiligen. Wir werden als maritimes Fachmagazin der Regel folgen: Erst untersuchen, dann bewerten, um daraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Soll konkret heißen: Erst nach Vorliegen gesicherter und damit belastbarer Erkenntnisse werden wir anlassbezogen berichten. Davon ausgenommen sind natürlich unsere Forums-Beiträge, die anderen Kriterien unterliegen.
Dass eine Ausbildung auf einem Segelschulschiff im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen hinterfragt wird, sollte niemanden wirklich verwundern. Die Frage, warum die Deutsche Marine eine Ausbildung auf einem Segelschulschiff für erforderlich hält, darf nicht unbeantwortet bleiben. Nicht nur die Öffentlichkeit kann eine Begründung dafür erwarten, wie dieses Schiff in eine moderne, kleiner werdende und auf Effektivität ausgerichtete Marine passt, wie sie der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Axel Schimpf, in seiner Abschlussrede anlässlich der 51. Historisch-Taktischen-Tagung beschreibt. Mit zwei uns zugegangenen Leserbriefen stellen wir die beiden »Antipoden« zur Segelschulschiffausbildung im Forumsteil dieses Heftes dar: eine deutliche Befürwortung durch einen Marineoffizier der Reserve und ein Plädoyer zur Abschaffung dieser Ausbildung von einem ehemaligen Berufsoffizier der Marine.
Die GORCH FOCK hat mehr als fünf Jahrzehnte als Segelschulschiff in der Offiziers‑, Sanitätsoffiziers- und seemannschaftlichen Unteroffizierausbildung gedient und als schwimmende Botschafterin für die Bundesrepublik Deutschland weltweit Sympathie erworben. Die mit diesem Schiff verbundene Ausbildung hat es aus meiner ganz persönlichen Sicht verdient, sich auch in schwerer See zu bewähren. Ich selbst war im Rahmen meiner Ausbildung zum Seeoffizier weder vom Zeitpunkt der Ausbildung auf der GORCH FOCK (Oktober bis Dezember) noch durch die besuchten Auslandshäfen (Visby und Sunderland) besonders begünstigt. Dennoch bin ich seit vielen Jahren davon überzeugt, dass dieses Schiff eine Bereicherung für zukünftige Marine- und Sanitätsoffiziersanwärter/innen und seemännische Unteroffiziere darstellen kann. Die Seefahrt unserer Nation wäre ohne sie ein Stück ärmer.
Mit der Veröffentlichung von Bildern der GORCH FOCK auf ihrem Weg um Kap Hoorn in diesem Heft möchten wir diese besondere seglerische und seemännische Leistung, welche unter erschwerten Bedingungen erbracht wurde, würdigen. Nicht nur für die anstehende Rückreise nach Kiel wünscht die Redaktion des Marineforum Schiff und Besatzung die gerade für einen Rahsegler so notwendigen fair winds and following seas.