EU — Intensivierter Strom illegaler Einwanderer über das Mittelmeer

Die poli­tis­chen Umwälzun­gen in Nordafri­ka haben einen in den Mit­telmeer­staat­en der EU uner­wün­scht­en Neben­ef­fekt: einen deut­lich inten­sivierten Strom ille­galer Ein­wan­der­er über das Mit­telmeer.
Unter den sich auflösenden poli­tis­chen Struk­turen in Tune­sien brach auch die Überwachung der Mit­telmeer­häfen zusam­men; Polizei und Zoll nah­men ihre Auf­gaben nicht mehr wahr. Zahlre­iche Tune­si­er, aber auch Ange­hörige ander­er (nicht nur nord-)afrikanischer Staat­en, begrif­f­en dies sofort als willkommene Gele­gen­heit, über das Mit­telmeer nach Ital­ien bzw. die zu Ital­ien gehörende Insel Lampe­dusa zu gelan­gen. Bin­nen nur vier Tagen wur­den rund um die Insel mehr als 100 teils völ­lig über­ladene Fahrzeuge (von Schlauch­booten bis hin zu dere­lik­ten Fis­cher­booten) mit ins­ge­samt mehr 5.600 ille­gale Ein­wan­der­er aufge­grif­f­en. Der Strom ebbte erst ab, als am 14. Feb­ru­ar die tune­sis­che Marine die Kon­trolle über die Häfen über­nahm. Das Prob­lem ist damit allerd­ings nicht gelöst, son­dern nur ver­schoben. Am 16. Feb­ru­ar trafen auch mehr als 100 in Ägypten aufge­broch­ene Flüchtlinge auf Lampe­dusa ein, und die derzeit­ige Lageen­twick­lung in Libyen und Alge­rien lässt nichts Gutes erah­nen.

Marineforum - Foto: noborder.org
Bildquelle: noborder.org

Ital­ien hat für Lampe­dusa den Not­stand ver­hängt und sucht nun drin­gend nach Möglichkeit­en, zum einen den Zus­trom über das Mit­telmeer zu begren­zen, zum anderen Flüchtlinge aufzu­greifen, bevor sie mit ihren für Fahrten auf dem offe­nen Meer völ­lig ungeeigneten Booten Schiff­bruch erlei­den. Eigene Marine, Küstenwache und Guardia Finan­za sind an die Gren­zen ihrer Möglichkeit­en gestoßen. 

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Am 15. Feb­ru­ar wurde nun die “Euro­pean Agency for the Man­age­ment of Oper­a­tional Coop­er­a­tion at the Exter­nal Bor­ders” (kurz: Fron­tex) offiziell um Unter­stützung gebeten und hat inzwis­chen auch eine Hil­f­szusage gegeben. 

Fron­tex wurde 2004 gegrün­det, um die Europäis­che Union bei der Sicherung ihrer Außen­gren­zen (Land und See) zu unter­stützen. Das Haup­tquarti­er der Organ­i­sa­tion hat im Okto­ber 2005 in Warschau (Polen) seinen Betrieb aufgenom­men und seit­dem eine ganze Rei­he von Ein­sätzen zur auch seegestützten Gren­zsicherung geführt. EU Mit­gliedsstaat­en stell­ten dazu jew­eils Ein­heit­en ihrer Mari­nen oder Küstenwachen für zeitlich befris­tete Oper­a­tio­nen ab. Schw­er­punkt der bish­eri­gen Aktio­nen waren die Kanarischen Inseln und die Alb­o­ransee zwis­chen Spanien und der nordafrikanis­chen Küste, wo es vor allem galt, ille­gale Ein­wan­der­er aus Marokko und Alge­rien abz­u­fan­gen und zur Durch­führung von Asylver­fahren zu internieren. Vor Tune­sien und Ägypten waren Fron­tex-Ein­heit­en bish­er nicht im Ein­satz – und auch nicht gefragt; dort stellt sich das Prob­lem erst mit dem aktuellen Zer­fall staatlich­er Strukturen. 

Libyen ist dage­gen schon seit Jahren beliebter Absprung­punkt für Afrikan­er, die über Ital­ien nach Europa gelan­gen wollen. Den­noch wurde Fron­tex auch hier bish­er nicht benötigt, denn Ital­ien und Libyen haben sich gemein­sam des Prob­lems angenom­men. Ende 2007 wurde ein bilat­erales Abkom­men zur „inten­sivierten Koop­er­a­tion beim Kampf gegen Schlep­per­ban­den“ geschlossen. Seit­dem patrouil­liert die ital­ienis­che Marine mit mehreren Ein­heit­en und mit eingeschifften libyschen Offizieren sowie mit der libyschen Marine koor­diniert vor der nordafrikanis­chen Küste, wobei das vere­in­barte Oper­a­tions­ge­bi­et aus­drück­lich auch die libyschen Ter­ri­to­ri­al­gewäss­er ein­schließt. Flüchtlinge sollen so möglichst schon direkt beim Ver­lassen der nordafrikanis­chen Küste ent­deckt und dann sofort nach Libyen zurück geführt wer­den. Die gemein­samen Oper­a­tio­nen sind durch­weg effek­tiv, auch wenn eine lück­en­lose Überwachung von fast 1.800 km libysch­er Küste unmöglich ist, und immer wieder in Libyen ges­tartete Flüchtlinge die Gewäss­er um Lampe­dusa und vor Südi­tal­ien erreichen. 

Sollte allerd­ings im poli­tis­chen Tumult auch in Libyen die staatliche Ord­nung (und damit auch die Koop­er­a­tion mit der libyschen Marine) zusam­men­berechen, dro­ht eine nie gekan­nte Migra­tions­be­we­gung über das Mit­telmeer in Rich­tung Europa, und es wer­den nicht nur poli­tis­che Flüchtlinge sein, die sich aus Furcht um Leib und Leben auf den Marsch machen. Glaub­hafte Berichte sprechen von ins­ge­samt 1,5 Mil­lio­nen Afrikan­ern, die bere­its aus meist rein wirtschaftlichen Grün­den ihre Heimatlän­der ver­lassen haben und zur Zeit in Libyen nur noch auf eine Gele­gen­heit zur Fahrt über das Mit­telmeer warten. 

In Koop­er­a­tion mit “Marine­Fo­rum — Zeitschrift für mar­itime Fra­gen

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