Mit dem Ende der Monsunzeit werden Piraten wieder in vollem Umfang aktiv. Nun besteht für sie auch weniger Notwendigkeit, ihr „Glück“ im durch internationale Seestreitkräfte dicht patrouillierten Golf von Aden zu suchen. Von dort werden in der abgelaufenen Woche denn auch keinerlei neue Überfälle gemeldet. Medien berichten über einen einzigen Zwischenfall in der Meerenge des Bab el-Mandeb, dem Südeingang zum Roten Meer. Hier sollen Piraten mit einem Skiff am 28. September versucht haben, ein russisches Handelsschiff zu entern; sie seien aber durch ein eingeschifftes Vessel Protection Detachment (VPD) der russischen Marine sofort unter Feuer genommen worden und hätten daraufhin abgedreht.
Die Priorität der Piraten gilt jetzt wieder den weiten Seegebieten des Somaliabeckens, die nicht lückenlos zu überwachen sind. Der britische Kommandeur der EU „Operation Atalanta“ erklärte: „Wir bräuchten 83 mit Hubschraubern ausgerüstete Kriegsschiffe, um innerhalb einer Stunde an jedem Ort des Somaliabeckens präsent zu sein”. Aber selbst dann wären Überfälle nicht gänzlich zu verhindern, benötigen Piraten doch meist nur wenige Minuten, um an Bord eines Schiffes zu gelangen. So konnten sie – wie in der letzten Woche an dieser Stelle berichtet – am 25. September fast 900 sm von der somalischen Küste entfernt den Frachter LUGELA (Flagge: Panama) kapern, gaben das Schiff aber einen Tag später wieder auf. Die gesamte Besatzung (elf Ukrainer) hatte sich im Schiffsinneren in einem „Safe Room“ verbarrikadiert. Ohne Möglichkeit einer wirklichen Geiselnahme war den Piraten das Risiko einer Intervention durch alarmierte Kriegsschiffe wahrscheinlich zu groß, und sie setzten sich in ihrem Skiff wieder ab.
Schwerpunkt der Aktivitäten von Piraten sind derzeit die Gewässer des südlichen Somaliabeckens, vor allem vor der Küste von Tansania. Von dort wurden in der abgelaufenen Woche fast täglich Zwischenfälle gemeldet. Zunächst hatte es am 26. September einen versuchten Angriff auf den Frachter GEO BARENTS gegeben, der jedoch durch ein eingeschifftes VPD abgewehrt werden konnte. Einen Tag später lieferten sich Piraten ein heftiges Feuergefecht mit einem Wachboot der tansanischen Marine. Das Marinefahrzeug wurde schwer beschädigt; weitere Marineeinheiten und auch Boote der tansanischen Küstenwache verfolgten die Piraten, konnten aber nur einen Mann festnehmen; die anderen entkamen.
Am 28. September gab es den nächsten Überfall. Ziel war diesmal der 13.000 dwt Produktentanker MISSISSIPPI STAR der Bremer Reederei Rigel (Flagge: Malta), der auf dem Weg von Mombasa nach Dar es Salaam angegriffen und auch beschossen wurde. Das Schiff konnte sich durch Ausweichmanöver retten. Einigen Meldungen zufolge soll auch die Annäherung der italienischen Fregatte LIBECCIO (EU NavFor) und eines französischen Marinehubschraubers die Piraten zum Abbruch ihres Vorhabens veranlasst haben. Am 29. September waren die Verbrecher dann aber doch erfolgreich. Etwa 100 Seemeilen südöstlich von Dar es Salaam konnten sie den Asphalttanker ASPHALT VENTURE (Flagge: Panama, 3.900 dwt, Besatzung 15 Inder) kapern und in Richtung somalische Küste (Haradhere) steuern.
Neben dem Geleit von Frachtern des World Food Program der Vereinten Nationen nach Somalia und der Sicherung von Konvois im Golf von Aden konzentrieren sich die eingesetzten internationalen Kriegsschiffe zur Zeit vor allem darauf, Piraten möglichst schon beim Auslaufen direkt vor ihren Lagern an der somalischen Küste abzufangen. Schon am 24. September hatte das spanische Docklandungsschiff GALICIA eine kenianische Dhau aufgebracht. Das Fahrzeug war von Piraten gekapert worden und sollte – mit seiner Besatzung als Geiseln – als Mutterschiff bei Überfällen genutzt werden. Die vier mutmaßlichen Piraten wurden festgesetzt und an die kenianischen Behörden übergeben.
GALICIA stoppt verdächtige Dhau Bildquelle: EU NavFor |
Zwei Tage später konnte die türkische Fregatte GÖKCEADA (z.Zt. Flaggschiff der multinationalen CTF-151) etwa 100 Seemeilen südlich von Mogadishu direkt vor der Küste ein Piratenskiff aus dem Verkehr ziehen. Waffen, Ausrüstung und 21 (!) Kraftstoffbehälter wurden konfisziert, die sieben Männer mit einem Beiboot am Strand abgesetzt und ihr Skiff versenkt. Am 30. September fing die italienische Fregatte LIBECCIO (EU NavFor) schließlich vor der kenianischen Küste eine iranische Dhau ab. Auch dieses Fahrzeug war von Piraten zur Nutzung als Mutterschiff gekapert worden. Nach längerer Verfolgung gaben die Piraten auf. Unter einem Abkommen der EU mit Kenia werden sie wohl zur strafrechtlichen Verfolgung an Kenia übergeben.
Nach tatkräftiger finanzieller Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft gewinnen dort die Strafverfahren gegen festgesetzte mutmaßliche Piraten an Fahrt. Am 29. September verurteilte ein kenianisches Gericht elf somalische Piraten zu jeweils fünf-jährigen Haftstrafen verurteilt. Sie waren im April 2009 beim Überfall auf das Containerschiff SAFMARINE von der französischen Fregatte NIVOSE (EU NavFor) festgesetzt und an Kenia übergeben worden.
Der Kommandeur der „somalischen Marine“, Admiral Farah Ahmed, hat den Beginn „offensiver Operationen“ gegen Piraten verkündet. Wie genau dies in der Praxis aussehen soll, bleibt allerdings vorerst unklar. Die somalische Zentralregierung kontrolliert nur einen sehr kleinen Teil der somalischen Küste nahe Mogadishu; die meisten Piratencamps liegen weitab — hunderte, teils sogar mehr als 1.000 km entfernt. Welche und wie viele Fahrzeuge sich im Bestand der „somalischen Marine“ finden und welche operative Reichweite sie haben, ist unbekannt.
Mehrere britische Versicherungsgesellschaften wollen zum Schutz von Handelsschiffen in piratengefährdeten Gebieten eine kleine private Flotte mit etwa 20 Booten und bewaffneten Kräften aufstellen. Sie solle gemeinsam mit den eingesetzten internationalen Seestreitkräften und sogar „unter militärischer Kontrolle“ mit auf der Basis internationalen Rechts erstellten Rules-of-Engagement operieren. Der Kommandeur der EU „Operation Alatanta“ erteilte dem Vorstoß eine klare Absage. Fremde, nicht-militärische Kräfte in die eigenen Operationen einzubeziehen bedeute nicht nur hohen Koordinationsaufwand, sondern letztendlich auch “ein immenses Risiko für die eigenen Soldaten, für Fischer und zivile Seefahrer.“
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
Am 1. Oktober hat sich die italienische Fregatte BERSAGLIERE dem NATO-Einsatzverband SNMG‑1 angeschlossen. Die ständige Einsatzgruppe führt derzeit vor der somalischen Küste die Anti-Piraterie Operation „Ocean Shield“ durch.
Finnischer Minenleger POHJANMAA Bildquelle: Michael Nitz |
Das finnische Parlament hat den ersten operativen Auslandseinsatz der finnischen Marine im Rahmen der EU gebilligt. Im Januar soll sich der Minenleger POHJANMAA auf den Weg ans Horn von Afrika machen und dort dann für drei Monate die EU NavFor bei der Durchführung der „Operation Atalanta“ unterstützen.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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